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Von außen ist dem Seat Leon das gasbetriebene Herz nicht anzusehen. Die Ausrüstung ab Werk gibt sich dezent.

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Praxistest Seat Leon ST TGI: Der Knauserer

Ist Erdgas die unterschätzte Alternative zum Elektroauto? Theorie und Praxis mit dem Seat Leon ST 1.4 TGI oder warum man in diesem Leon ständig auf der Suche ist.

Prolog: Eine nüchterne Meldung zu Anfang: 2014 endete für die deutsche Erdgas-Fraktion ernüchternd, denn nur 621 Autofahrer entschieden sich im Dezember für den Kauf eines CNG-Neuwagens. Insgesamt wurden im abgelaufenen Jahr lediglich 8195 neue Erdgasautos zugelassen. So kam es, dass 2014 erstmals 322 Elektroautos mehr verkauft wurden als Erdgasfahrzeuge. Das muss doch Gründe haben, warum diese umweltfreundlichen Erdgasautos so wenig gekauft werden. Wir haben sie in unserem Praxistest mit dem neuen Seat Leon ST 1.4 TGI Style gesucht – und auch gefunden. 

Hauptakt: Kurz hinter dem Ortsausgangsschild von Tangermünde warnt die Anzeige im Infodisplay: „Nur noch 25 km Reichweite. Bitte CNG tanken“. Also an diesem ungemütlichen Wintertag rechts ran,  das iPhone gezückt und die App „mehr- tanken“ aufgerufen. Die nächste CNG-Tankstelle befindet sich in Premnitz, 39 Kilometer entfernt. Also hin – und langes Gesicht gemacht. Die Säule der in einem Gewerbegebiet stehenden Selbstbedienungstanke ist defekt. Also wieder Smartphone raus: Die nächste CNG-Station befindet sich in Brandenburg an der Havel, weitere 24 Kilometer entfernt. Da wollte ich zwar nicht hin, aber was soll`s. Endlich: Die beiden Gasflaschen sind voll, und das Display zeigt nach dem Tanken von 15,7 Kilogramm Erdgas eine Reichweite von 270 Kilometern an. Nur 270 Kilometer? Vom Werk sind ja 400 Kilometer Reichweite zugesagt worden. Ein theoretischer Phantasiewert, der in der Praxis so gut wie nie erreicht wird, weil er auf unrealistischen Angaben beruht. Statt versprochener 3,5 Kilogramm wurden es auf der insgesamt 1700 Kilometer langen Testfahrt in der Realität im Durchschnitt 4,7 Kilogramm pro 100 Kilometer. Auf einer Sparfahrt am Tage mit stark gemäßigtem Tempo (80,  90, max. 100 km/h) und ausgeschalteten elektrischen Verbrauchern wie Radio, Klima und Licht konnte der Verbrauch auf 3,9 Kilogramm gedrückt werden. Doch so fährt man eigentlich nicht.

Seat Leon TGI befindet sich stets auf der Suche nach Gas

Das Hauptproblem ist die zu geringe praktische Reichweite im CNG-Betrieb. Zwischen 240 und maximal 320 Kilometern, je nach Fahrweise (siehe oben). Das zweite Problem: Es gibt zwar mittlerweile gut 920 Erdgas-Tankstellen in Deutschland, doch die stehen kaum dort, wo man sie wirklich braucht. Nicht selten sind  lästige Umwege nötig, welche Sprit und Zeit kosten. Das erlebte ich das auf einer Autobahnfahrt von Berlin über Dresden, Chemnitz und Stollberg (A13, A4 und A72) ins Erzgebirge: Gesamtstrecke 338 Kilometer. Auf den gut 300 km Autobahn gibt es am nur Lausitzring eine einzige Erdgas-Tankstelle! Man kommt also mit einer Erdgasfüllung nicht ans Ziel. Und im Erzgebirge ist das CNG-Netz außerdem sehr dünn.

Hier wird angeflanscht: Die Betankung erfolgt neben den Einfüllstutzen für Benzin.
Hier wird angeflanscht: Die Betankung erfolgt neben den Einfüllstutzen für Benzin.

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Das dritte Problem, quasi die Ursache des zweiten: Auch Seat legt den Leon bivalent aus, was ja an sich gut ist. Er kann also mit Erdgas und Benzin fahren. Primär verbrennt er Erdgas. Erst wenn die beiden CNG-Drucktanks leer sind, schaltet er automatisch auf Benzinbetrieb um. Die 15 Kilogramm Erdgas sollen im unrealistischen Normzyklus für 400 Kilometer reichen. Mit den zusätzlichen 50 Litern Benzin an Bord schafft der Seat eine Gesamtreichweite von über 1300 Kilometern. Der Antrieb im Seat Leon ST TGI ist nahezu baugleich mit den Erdgasmodellen vom VW Golf,  Audi A3 und Skoda Octavia. Das Problem: Dieser bivalente Antrieb ist inkonsequent ausgelegt. Warum nur zwei Gasflaschen für eine solch geringe Reichweite? Warum ein so großer Benzintank in einem Auto mit alternativem Antrieb? Wie es besser geht, zeigt der VW-Konzern ja beim Erdgas-Caddy. Der hat drei Gasflaschen für eine Reichweite von gut 400 Kilometern tatsächlicher Reichweite. Der Benzintank wurde dafür auf 15 Liter verkleinert. Das reicht für die „Suche“ nach der nächsten CNG-Säule allemal.

Seat Leon TGI ist günstiger als der kleinste Diesel

Das Plus für die Umwelt und den Geldbeutel ist unbestreitbar: Die Vorteile des Erdgasbetriebs sind einmal die saubere Verbrennung – 25 Prozent weniger CO2 sowie 80 Prozent weniger Kohlenmonoxid- und Stickoxid-Ausstoß als beim Benzinmotor. Und zum anderen die geringen Kraftstoffkosten. Und auch bei den monatlichen Kosten unterbietet der Seat Leon 1.4 TGI, egal ob mit oder ohne Wertverlust, sogar den schwächsten Diesel mit 90 PS. So fällt die Tankrechnung erfreulich niedrig aus – mit Summen zwischen 4,50 und 5,50 Euro für 100 Kilometer Fahrt. Da kann auch ein sparsamer Diesel nicht mithalten, der überdies höher besteuert wird und für den eine teurere Versicherung zu zahlen ist.

Welcher Antrieb darf es denn sein? Auch im Innern sind die Unterschiede überschaubar. Aber es darf auf Knopfdruck gespart werden beim Seat Leon TGI.
Welcher Antrieb darf es denn sein? Auch im Innern sind die Unterschiede überschaubar. Aber es darf auf Knopfdruck gespart werden beim Seat Leon TGI.

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Mal abgesehen von der nervigen Sucherei nach der nächsten Tankstelle, ist der Erdgas-Leon (ab 22 240 Euro für den ST in der sehr guten Ausstattung Style) ein tolles Auto mit einem hohen Spaßfaktor. Er fährt sich knackiger als ein Golf und bietet in der von uns gefahrenen Version Style fast alle Annehmlichkeiten modernen Autofahrens.  Die ebenso bequemen wie sicheren Halt gebenden Sportsitze werden auch nach stundenlanger Fahrt nicht zur Last. Und der 1,4 Liter große Direkteinspritzer-Turbobenziner reicht mit seinen 110 PS völlig aus, um flott und dennoch sparsam ans Ziel zu kommen. Er agiert angenehm leise und zieht, bis auf ein kleines Turboloch, auch stämmig los. Mehr an Leistung braucht es eigentlich im Normalfalle nicht. Die Cockpit-Anzeigen sind mustergültig klar. Sehr gut: Es gibt im mittigen gestochen-scharfen Info-Display eine Anzeige bei beide Kraftstoffsorten, und es werden die vom Computer errechneten Restreichweiten für beide Sorten getrennt und außerdem auch die Gesamtreichweite angezeigt. So ist man immer genau im Bilde. Darüber hinaus warnt der Computer rechtzeitig, wann es wieder Zeit ist, CNG nachzutanken. Und da kommt leider wieder die inkonsequente Auslegung an anderer Stelle ins Spiel. Das 690 Euro teurere Navi zeigt zwar Tankstellen im Umkreis an,  nicht aber auch die Info, welche auch eine Erdgas-Säule besitzen. Spätestens jetzt muss also das Smartphone ins Spiel kommen, wenn man sich nicht vorher schlau gemacht hat, wo auf der geplanten Route sich  Erdgas-Tankstellen befinden. Es gibt Apps wie „mehr-tanken.de“, welche  nächst gelegene CNG-Säulen anzeigen und einen bei Bedarf sogar dorthin lotsen. Kein Erdgasauto ohne Smartphone!

Der Tankvorgang bei CNG selbst dauert nicht länger als der bei einer Benzin-Säule. Nach kurzer Übung hat man den Dreh raus. Wer doch mal aus bestimmten Gründen oder im Ausland längere Zeit mit Benzin fährt,  wird angenehm überrascht: 6,0 Liter Super zeigt der Bordcomputer bei normaler Fahrweise im Benzinbetrieb an.

Nur bei kurzen Wegen sparsam

Fazit: Doch nur wer konsequent mit Gas fährt, der spart auch wirklich. Deshalb sollte sich jeder vor dem Kauf eines Erdgasautos  schlau machen, ob in seiner näheren Umgebung ausreichend CNG-Tankstellen vorhanden sind. Denn nur bei halbwegs kurzen Wegen zur nächsten Zapfsäule fährt man deutlich günstiger als mit Diesel und Benzin.  Allerdings erst nach gut 50000 Kilometern! So lange braucht es nämlich, um erst einmal den Mehrpreis des Erdgas-Leon von 2500 Euro gegenüber dem normalen Leon ST mit 110-PS-Benziner (ab 19 740 Euro) raus zu fahren. Erst danach fährt man im grünen (Spar-)Bereich. Und spätestens angesichts dieser Rechnung muss jeder für sich selbst entscheiden, ob ein CNG-Auto das Richtige für ihn ist. Hinzu kommt die Crux der heutigen CNG-Autos aus dem VW-Konzern: Die geringe reale Reichweite im Gasbetrieb,  denn die vom Werk angegebenen  400 Kilometer lassen sich im Alltag nicht annähernd erreichen. Zwischen 240 und 320 Kilometer realer Fahrstrecke sind einfach zu wenig. Und weil sich die meisten der derzeit rund 920 Erdgas-Tankstellen nicht dort befinden, wo man sie gerade braucht, ist man irgendwie ständig auf der Suche nach der nächst gelegenen CNG-Säule. Denn nur wer mit Gas fährt, der spart. Das muss hier extra wiederholt werden.

Epilog: Die beste Nachricht zum Schluss: In dem Dezember 2014 verabschiedeten "Aktionsprogramm Klimaschutz 2020" hat das Bundeskabinett die Verlängerung der Steuerbegünstigung für Erdgas und Bio-Erdgas als Kraftstoff angekündigt. So wird dieser alternative Kraftstoff also auch nach 2018 günstig zu haben sein. Denn machen wir uns nichts vor, Benzin und Diesel werden nicht so billig bleiben wie derzeit.  

Das Tankstellen-Netz: Besser, aber noch nicht richtig gut

Das Netz an Erdgastankstellen wird immer dichter. Laut Erdgas Mobil GmbH werden in den kommenden Monaten sieben weitere Erdgastankstellen in Berlin, München, Paderborn und Jena in Betrieb gehen. Deutschland gehört mit derzeit 920 CNG-Stationen neben Italien europaweit zu den Spitzenreitern. Und wie der Geschäftsführer von Erdgas Mobil, Timm Kehler erklärt, seien mittlerweile mehr als zwei Drittel aller Erdgastankstellen 24 Stunden am Tag geöffnet. Dennoch ist der Abstand zwischen den einzelnen Erdgas-Tankstellen noch zu groß. Am besten ist es deshalb,  sich vor einer längeren Reise schlau zu machen. Zum Beispiel im Internet mit entsprechenden Erdgas-Tankstellen-Findern, von denen solche wie http://www.erdgas.info/erdgaskraftstoff/tankstellen/tankstellenfinder/  sogar integrierte Routenplaner anbieten. 

Zum Vergleich:  Das Autogas-Tankstellennetz in Deutschland wurde in den letzten Jahren auf mittlerweile über 6.500 öffentlich zugängliche LPG-Tankstellen ausgebaut. Noch besser sieht es bei den konventionellen Tankstellen aus. Laut ADAC gab es in Deutschland vor zwei Jahren 14328 Tankstellen – also fast an jeder Ecke eine.

Die Technik bei CNG-Motoren

Da Erdgas (auch CNG für Compressed Natural Gas) bei atmosphärischem Normaldruck eine sehr geringe Speicherdichte hat, wird das Erdgas auf etwa 200 bar verdichtet, damit eine ausreichende Energiemenge mitgeführt werden kann. Beim Seat TGI befinden sich zwei mit Kohlefaser verstärkte Drucktanks unter dem Gepäckraumboden. Das komprimierte Gas strömt von den Tanks in den Hochdruckregler. Hier wird der Speicherdruck auf sieben bar reduziert. Mittels computergesteuerter Ventile wird CNG bedarfsgerecht in den Ansaugtrakt eingeblasen. Das Erdgas wird mit der Ansaugluft verwirbelt, und dann verbrennt das Gemisch im Zylinder wie bei einem konventionellen Ottomotor. Dieser wird auf die heißen Verbrennungstemperaturen von Erdgas speziell ausgelegt – so mit anderer Ventilperipherie, angepassten Steuerzeiten, einem modifizierten Turbolader sowie einer neuen Motorsteuerung einschließlich der Gaseinblasdüsen.

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