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Die Brandmauer zur AfD hält – vorerst: Was die neuen Angriffe wirklich zeigen
Einzelne Unionspolitiker und Lobbyisten plädieren für einen anderen Umgang mit der rechtsextremen AfD. Die Reaktionen darauf sind sehr aufschlussreich.

Stand:
Wer die Nachrichten verfolgt, kann leicht zu dem Schluss kommen, dass die Brandmauer zur AfD kurz vor dem Einsturz steht. Seit Monaten wird sie immer wieder attackiert, und zwar nicht nur von rechten Empörungsplattformen oder der AfD selbst, sondern auch aus weniger erwartbaren Richtungen.
Eine Frage, die mich gerade umtreibt, lautet: Sind die handelnden Personen eigentlich zufrieden mit ihren Vorstößen und den Reaktionen? Halten sie ihre Angriffe rückblickend für einen klugen Schachzug, der sie ihrem Ziel näherbringt – oder für einen Misserfolg?
Zum Beispiel der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Mitte Oktober stellte er zunächst im „Stern“ und danach im Podcast von Paul Ronzheimer die Brandmauer infrage. Das überraschte auch deshalb, weil Tauber bislang eher der gesellschaftsliberalen Mitte der CDU zugeordnet wurde.
Im Podcast brachte er die Idee einer CDU-Minderheitsregierung ins Spiel, bei der die Christdemokraten dann Positionen durch gemeinsame Abstimmungen mit der AfD durchbringen könnten – auch im Bildungsbereich und im Bereich der inneren Sicherheit. Die CDU solle ihre Positionen jeweils zur Abstimmung stellen, Grüne und SPD könnten gern mitstimmen. Täten sie dies jedoch nicht, müsse man halt „woanders nach Mehrheiten für uns suchen“.
Da werden bewusst Leute vorgeschickt, die nicht mehr in der aktiven Politik sind, um das Wasser zu testen.
Paul Ronzheimer, Podcaster
Paul Ronzheimer schrieb später auf X: „Da werden bewusst Leute vorgeschickt, die nicht mehr in der aktiven Politik sind, um das Wasser zu testen. Und so etwas geschieht normalerweise nicht unabgesprochen.“
Andere Redaktionen griffen den Vorstoß auf und versuchten, weitere prominente Unionspolitiker zu finden, die sich für ein Ende der Brandmauer starkmachten. Die Gelegenheit wäre schließlich perfekt gewesen: Wenn sich schon einer wie Peter Tauber offen gegen die Brandmauer ausspricht, könnten ihm weiter rechts stehende Vertreter leicht beispringen, ohne Empörungsstürme fürchten zu müssen.
Für die CDU Deutschlands ist es völlig irrelevant, was Peter Tauber sagt.
Jens Spahn, Fraktionschef der Union
Die „Bild“ titelte dann auch: „Immer mehr CDU-Politiker fordern: Die Brandmauer zur AfD muss fallen“. Doch das traurige Häuflein der im Artikel aufgeführten Namen zeigte, dass nicht „immer mehr“, sondern nur die üblichen Verdächtigen das Ende der Brandmauer fordern.
Noch mehrere Tage lang bestand für Gegner der Brandmauer die Möglichkeit, aus der Deckung zu kommen. Doch nichts passierte. Am Ende, ganze fünf Tage nach Ausstrahlung des Podcasts, griffen Friedrich Merz und Markus Söder mit deutlichen Worten ein, sprachen sich gegen jede Annäherung an die AfD aus.
Taubers Vorstoß war offiziell gescheitert, und Jens Spahn erklärte: „Ich kann Ihnen eins sagen: Für die CDU Deutschlands ist es völlig irrelevant, was Peter Tauber sagt.“ Falls dies tatsächlich ein Testballon war, endete er kläglich.
Kurios ist auch, wie Tauber eigentlich zu seiner neuen Überzeugung kam und welche Expertise ihn leitete. Im Podcast wurde er nach dem Moment gefragt, der ihn persönlich zum Umdenken bewegt habe. Tauber verwies auf eine Diskussionsveranstaltung, bei der er auf den Historiker Per Leo getroffen sei.
Dieser habe erklärt, dass er die Brandmauer für keine gute Idee halte. Das habe ihn selbst hellhörig werden lassen, und er habe sich gedacht: „Peter, vielleicht ist es jetzt spätestens an der Zeit, dass du dich selber mal kritisch fragst: Musst du nicht auch bereit sein, deine bisherige Meinung zu ändern?“
Meinungswandel im Zeitraffer
Die Diskussionsveranstaltung gab es tatsächlich. Sie fand am 16. September statt, nur vier Wochen vor Taubers Vorstoß im „Stern“. Vier Wochen reichten für Tauber also aus, sich selbst in einer zentralen, für die Zukunft der Bundesrepublik womöglich existenziellen Frage kritisch zu hinterfragen, radikal die eigene Meinung zu ändern und eine neue Position zu finden – und diese dann auch direkt in den Medien auszubreiten.
Handelt so einer, der verantwortungsbewusst und wissensgestützt eine wirklich wichtige Debatte führen möchte?
Besonders irritiert mich, dass ein zentraler Punkt in der Argumentation des Historikers Per Leo unter den Tisch fiel. Zwar glaubt Leo tatsächlich, die Union könne von einer Abkehr der Brandmauer profitieren, jedoch unter einer Voraussetzung: Alle anderen Parteien müssten dabei „mitmachen“.
Nötig sei „eine Kultur der Minderheitsregierung, in der auch die linken Mitte-Parteien tolerieren, dass in bestimmten Punkten“, sowohl bei Personal- als auch bei Sachentscheidungen, Mehrheiten mit der AfD gefunden würden.
Die Hoffnung der CDU soll also ernsthaft darin bestehen, dass zum Beispiel Sozialdemokraten es künftig hinnehmen werden und sich nicht empören, wenn die Union mithilfe der AfD Personal- und Sachentscheidungen trifft? Auch innerhalb der Union gilt diese Vorstellung als komplett weltfremd.
Ähnlich erfolgreich wie Taubers Angriff auf die Brandmauer verlief vergangene Woche der Vorstoß des Verbands der Familienunternehmer. Das „Kontaktverbot“ zu AfD-Bundestagsabgeordneten sei aufgehoben, erklärte Präsidentin Marie-Christine Ostermann.
Die Folge waren entschiedener Widerspruch, ein vermutlich nachhaltiger Imageschaden sowie die Ankündigung bedeutender Unternehmen, den Verband zu verlassen. Am Ende ruderte der Verband zurück und erklärte, die Einladung von AfD-Abgeordneten habe sich als Fehler erwiesen.
Wie wirksam sind die Vorstöße also? Jede einzelne Annäherung an die AfD trage zu einer schrittweisen Normalisierung der Partei bei, sagt die grüne Bundestagsabgeordnete Marlene Schönberger. Denn dabei entstehe jeweils der Eindruck, die Partei könne doch „nicht so schlimm“ sein, wenn es zu derartigen Annäherungen komme.
Besonders besorgniserregend seien die „Signale aus Teilen der Wirtschaft, die Brandmauer zur AfD aufzugeben“, erklärt Schönberger: „Dass Unternehmerinnen und Unternehmer der extremen Rechten Rosen auf den Weg streuen, hat in Deutschland eine gewisse historische Kontinuität.“
Man könne das Ganze aber auch anders sehen, heißt es aus der Union. Denn solange die Testballons derart verheerend für ihre Urheber verliefen, führe dies nicht zu einer Schwächung, sondern eher zu einer Stabilisierung der Brandmauer.
Dies habe man bereits am Jahresanfang gesehen, als Friedrich Merz im Bundestag erstmals auf die Stimmen der AfD gesetzt habe und „dafür eine Reaktion bekam, die er in diesem Leben kein zweites Mal riskieren wird“. So gesehen habe auch Peter Tauber nicht die Brandmauer geschwächt, sondern diene als abschreckendes Beispiel und Warnung.
Es gibt in diesen Zeiten nicht viel Grund zu Optimismus. Die Gefahr einer Machtbeteiligung der rechtsextremen AfD ist sehr real, die Folgen wären verheerend. Doch die Brandmauer zur AfD wird nicht so leicht fallen, wie sich das viele jenseits und auch manche diesseits der Mauer erhoffen.
Im Gegenteil: Jeder missglückte Vorstoß zeigt, wie teuer eine Annäherung an die AfD wäre. Ich bin gespannt, wer den nächsten Testballon starten wird.
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