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Die Gen Z und der Krieg: „Ich würde lieber in Deutschland von Putin beherrscht werden“
Die provozierenden Worte eines Schülers in einer ARD-Sendung lösen eine Debatte aus. Wie halten es junge Deutsche mit der Wehrpflicht – und mit Verantwortung?
Stand:
Es sind Sätze, die für Lacher im Fernsehstudio sorgen, aber einen todernsten Hintergrund haben. Am Tag danach sind sie Thema in Büros und Kaffeeküchen der Republik, in den sozialen Medien läuft ein kurzer TV-Clip mit ihnen hoch und runter.
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ schreibt auf seiner Webseite von „Aufruhr in ARD-Politshow“. Und das alles wegen eines 18-jährigen Schülers aus Hannover, der mit etwas brüchiger Stimme über die Wehrpflicht spricht.
Was ist geschehen?
In der ARD-Sendung „Die 100: Was Deutschland bewegt“ geht es um das Thema „Putin rüstet auf: Brauchen wir jetzt eine Wehrpflicht für alle?“. Das Konzept der Sendung ist einfach: 100 Menschen diskutieren miteinander und positionieren sich auf einer übergroßen Skala stehend je nach Standpunkt ein.
Das Ziel ist klar: Wer die besseren Argumente hat, soll und kann die Menschen überzeugen und ihre Standpunkte im wahrsten Sinne des Wortes verändern.
Nach wenigen Minuten geht Moderator Ingo Zamperoni zu einem jungen Mann im grauen Pulli, der mit seiner gewählten Position am linken Rand verdeutlicht, dass er eine Wehrpflicht eindeutig ablehnt. Als Zamperoni nachfragt, sagt der 18-Jährige: „Ich habe keine Lust auf Wehrpflicht.“ So weit, so normal.
Ich würde Deutschland nicht verteidigen wollen.
18-Jähriger in der ARD-Sendung „Die 100“
Auf die Nachfrage, was er im Fall eines Angriffs auf Deutschland tun würde, antwortet der Schüler: „Dann würde ich es nicht verteidigen wollen.“
Danach allerdings zieht der junge Hannoveraner eine Parallele zum Ukrainekrieg, die ihn über Nacht bekannt machen wird. Die Ukrainer, so die Argumentation, hätten sich mit dem Kampf gegen Russland keinen Gefallen getan, sie hätten lieber aufgeben sollen. Denn: „Im Krieg leben ist deutlich schlimmer als in der Herrschaft von Putin leben. Ich würde lieber in Deutschland von Putin beherrscht werden als im Krieg in Deutschland sein.“
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Zamperoni reagiert irritiert, die Kamera schwenkt weg, kurz sieht man noch den lächelnden Teenager. Die Brisanz seiner Aussage scheint ihm offenbar klar zu sein.
Streit in der schwarz-roten Koalition
Wie ist diese Aussage, die erst einmal eine Einzelmeinung ist, einzuordnen? Und welche Rolle spielt die „Gen Z“ in der Debatte über die Wehrpflicht, die aktuell für Streit in der schwarz-roten Koalition sorgt?
Joachim Weber, Sicherheitsexperte an der Universität Bonn, sieht in der Aussage „zwei Denkfehler“. Zunächst seien „unsere Verteidigungsanstrengungen dazu da, dass es nicht zu Krieg oder Putin-Herrschaft“ komme. Ein Land müsse „kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen”. Derjenige, der sich verweigere, „macht den Krieg für uns alle wahrscheinlicher oder verhilft Putin zur Macht über ganz Europa“.

© Universität Bonn
Der zweite Denkfehler beziehe sich auf den Kremlherrscher und die Vermutung, dass seine Herrschaft hier „halb so schlimm“ wäre. „Die Opfer von Vergewaltigung und Massenmord in den Dörfern und Städten der Ukraine haben andere Erfahrungen sammeln müssen“, sagt Weber. „Sich dem auszuliefern zu wollen, ist schon sehr realitätsfern und eine ziemlich ,luxuriöse‘ Haltung.“
Weber sagt, dass „die Wehrpflicht wieder nötig werden wird“, allerdings müsse sie mit einer „Wehrgerechtigkeit einhergehen“. Der Politologe hat eine Vermutung, wo die ablehnende Haltung des Schülers ihren Ursprung haben könnte: „Die Gesellschaft stellt jungen Menschen immer weniger Perspektiven zur Verfügung.“
Ich verteidige nur, wovon ich auch leben kann.
Joachim Weber, Sicherheitsexperte an der Universität Bonn
Die handelnden Politiker redeten viel, unternähmen allerdings wenig, um der Jugend eine angstfreie Zukunftserwartung zu ermöglichen. „Dieses Land hat Reformstau an allen Ecken und Enden. Aber ich verteidige nur, wovon ich auch leben kann“, sagt Weber.
Die Zahlen bestätigen die Aussagen des Forschers, ein Beleg ist die „Jugendtrendstudie 2025“ aus dem April. Demnach erklärten 81 Prozent der „Gen Z“, dass sie nicht bereit wären, für ihr Land zu sterben. 69 Prozent sagten, sie wären nicht bereit, ihr Land mit einer Waffe zu verteidigen.
„Für die meisten jungen Menschen ist ein verpflichtender Dienst geradezu absurd und völlig außerhalb ihrer Vorstellung“, sagt Generationenforscher Rüdiger Maas. Die jungen Menschen hätten vor allem Selbstbestimmung und ihre persönliche Freiheit als Gründe gegen einen Wehrdienst genannt. „Nach dem Motto: ,Ich lass‘ mir doch nicht vorschreiben, was ich mit meinem Leben mache.’“
Simon David Dressler würde für Deutschland ebenfalls nicht zur Waffe greifen. Das hat der linke Politik-Influencer bereits in einem „Watson“-Interview klargestellt und für den „Freitag“ aufgeschrieben. Der 25-Jährige erklärt auf Instagram und auf TikTok vor allem jungen Menschen, was sich gerade in der Politik abspielt. Und das mit Erfolg: Auf Instagram folgen ihm fast 38.000 Menschen, auf TikTok rund 60.000.

© Marcus Höhn
Dass sich der 18-Jährige traue, seine Meinung in der ARD so offen zu sagen, das findet Dressler „respektabel“. Die Bedrohungslage, dass „Putin morgen vor Berlin steht“, hält er allerdings für „nicht kompatibel mit der Realität“.
Die Aufregung kann Dressler nicht nachvollziehen: „Die Leute können sich darüber echauffieren, nur ändert das nichts daran, dass das eine rein fiktive Sache ist.“ Dem „progressiven Populisten“ – so Dresslers biografische Selbstbeschreibung auf Instagram – geht es um etwas anderes.
Angst vor Putin oder Angst vor Verelendung?
„Wenn ich mit meiner Followerschaft diskutiere oder mit Menschen auf Veranstaltungen rede, haben die Angst, aber nicht vor Putin, sondern vor einer weiteren gesellschaftlichen Verelendung von jungen Leuten.“
Es gehe um einen „dysfunktionalen Arbeitsmarkt“ und eine „Konkurrenzgesellschaft, in die wir seit Geburt geworfen werden“. Höre er, wie „sehr wohlhabende Menschen in der Regierung und im Bundestag davon reden, dass wir wieder an die Waffen müssen und Disziplin lernen, macht das den Leuten Angst“.
Man kann für nichts Verantwortung übernehmen, auf das man keinen Einfluss hat.
Simon David Dressler, Politik-Influencer
Am Ende gehe es um Verantwortung, sagt Dressler, der damit allerdings eine Verantwortung meint, die für junge Menschen im Kriegsfall nicht gelte. Denn letztlich seien es die Nationalstaaten, die durch eine ökonomische Konkurrenz zueinander Kriege auslösten. „Man kann ja für nichts Verantwortung übernehmen, auf das man keinen Einfluss hat.“
Und was würde er selbst in einem Kriegsfall machen? „Ich lasse mich ungern einspannen. Sollte es so kommen, würde ich mich vom Krieg wegbewegen.“
David Mateis Blick auf die „Gen Z“ ist weniger linkstheoretisch geprägt, genauer gesagt: gar nicht. Der 32-Jährige ist Offizier bei der Bundeswehr und Content Creator. Auf Instagram und TikTok bezeichnet er sich schlicht als „sicherheitspolitik“, nimmt man beide Plattformen zusammen, erreicht er dort etwa 435.000 Menschen.
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Über den Teenager in der ARD sagt er: „Mit 18 hatte ich auch keine Lust auf die Wehrpflicht. Ich habe mich mit Händen und Füßen gegen sie gewehrt und habe mir trotzdem die Bundeswehr angeschaut. 15 Jahre später bin ich immer noch Soldat.“ Rückblickend sei das eine der besten Entscheidungen seines Lebens gewesen.
Die Aussage des Schülers zeige für ihn „weniger Gleichgültigkeit als Überforderung“. Matei: „Wir leben in einem Land, das seit 80 Jahren Frieden kennt. Aber Frieden ist kein Naturzustand, er existiert nur, so lange Menschen bereit sind, ihn zu verteidigen.“

© David Matei/privat
Matei weigert sich, den moralischen Zeigefinger zu heben. „Zu sagen, man würde lieber unter einer Diktatur leben, als sich zu wehren, ist keine moralische Schwäche. Es zeigt, wie weit sich unsere Gesellschaft von der Erfahrung existenzieller Bedrohung entfernt hat.“
Er glaubt nicht, dass die Aussagen des Schülers für eine gesamte Generation stehen. „Definitiv nicht“, sagt Matei. „Der Großteil sieht Russland klar als Aggressor und wünscht sich eine stärkere Bundeswehr.“
Und die Wehrpflicht? Da setzt der Offizier, ganz wie Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), auf Freiwilligkeit. „Wenn es nicht reicht, um die Verteidigungsfähigkeit sicherzustellen, dann wird man über eine Pflicht neu nachdenken müssen.“
Was bleibt am Ende von der Aussage des jungen Schülers übrig? Als Einzelmeinung erscheint sie radikal und kaum mit der politischen Realität vereinbar. Aber sie entsteht aus dem subjektiven Empfinden heraus, dass vielen jungen Menschen in Deutschland schlicht eine Perspektive fehlt, sie Orientierung suchen und in einem Staat aufwachsen, der oft blockiert und reformunfähig erscheint.
Wer sich die ARD-Politikshow bis zum Ende ansieht, erkennt, dass der Teenager aus Hannover auch nach über einer Stunde ganz links steht, die Wehrpflicht also weiter ablehnt. Die politische Realität – und dazu zählt auch der Ukraine-Krieg – dürfte diese Meinung in den kommenden Jahren auf den Prüfstand stellen.
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