
© Andres Blumenthal
Kochkurse für Wild- und Weinfreunde: Dinner nach der Pirsch
Christofer Radic, Jäger und Weinhändler, lässt seine regionale Beute vom Profikoch zubereiten. Wer will, kommt hin, lernt und genießt.
Stand:
Um die Fährte des Wildes aufzunehmen, braucht es rund um den Schlachtensee nur ein paar Schritte. Parallel zur Straße, zwischen Sträuchern und Bäumen, ist der Boden weiträumig umgepflügt. Regelmäßig suchen Rotten von Wildschweinen die Gegend heim. Das Schild „Hier gibt’s Wild aus der Region“, das am Gartenzaun von Christofer Radic hängt, schreckt die nächtlichen Besucher nicht ab. In seinem Garten steht das ehemalige Atelierhaus, das sich der Architekt Josef Paul Kleihues Anfang der Siebziger aus Backstein, Beton und Glas errichtet hat. „Wir haben lange darüber nachgedacht, was wir mit dem Bau anfangen sollen“, sagt Radic. Dann fand alles zusammen: die Leidenschaft für hochwertige Lebensmittel, eine berufliche Umorientierung, Zeit, den Jagdschein zu machen und zuletzt die Weinhandlung „Pracht“, die Radic gerade in der Nachbarschaft eröffnet hat.
Da hängt ein Reh
Die Kleihues-Klause hat sich in ein kulinarisches Atelier verwandelt mit Küchenblock aus Edelstahl, Temperierschrank für Wein und Reifekammer für Wild. Seit zweieinhalb Jahren jagt Radic mit zehn Kollegen in einem Revier von 700 Hektar Größe in Teltow-Fläming. Dort sitzt er auf Reh-, Dam- und Schwarzwild an, wie das in der Jägersprache heißt, schießt mit bleifreier Munition und bricht das erlegte Tier noch vor Ort auf, wobei die inneren Organe entnommen werden.
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Am Schaukelgestell im Garten hängt ein Reh, dem das vor drei Tagen widerfahren ist. „Es ist etwa ein Jahr alt und wiegt zwölf bis 15 Kilo“, schätzt Radic, der das Tier nun ins Atelier trägt. Dort baumelt es an einem Haken und wird mit einem Messer „aus der Decke geschlagen“. Ohne Fell und Haut sieht es noch viel zierlicher aus, beinahe wie ein übergroßer Hase. Wenn man schon Tiere isst, sollte man sie auch ganz verwerten und sich nicht nur ein paar vermeintliche Edelteile herauspicken, während der Rest weggeworfen wird.
Kulinarische Neugier
Christofer Radic bewegen Respekt vor der Natur, Nachhaltigkeit, aber auch kulinarische Neugier. Als er vor zehn Jahren beruflich oft in London war, begeisterte er sich für die Küche von Fergus Henderson, der in seinem Restaurant „St. John“ vorlebte, was dann als „Nose to Tail“ zum Schlachtruf einer neuen, bewussten Fleischküche wurde. Ganz selbstverständlich bewirkt die Beschäftigung mit dem ganzen Tier auch Aufklärung darüber, was wir eigentlich essen und wie es produziert wird. Das würde auch der Gastronomieszene in Berlin guttun, fand Radic. 2014 traf er in Michael Köhle und Christoph Hauser Gleichgesinnte und gründete mit ihnen das Restaurant „Herz und Niere“. Dessen Geschichte geht 2020 zu Ende, doch das Thema bleibt eine Herausforderung.

© Ulrich Amling
Um mehr darüber zu erfahren, wie man Wild zubereiten kann, veranstaltet Christofer Radic Kochkurse in kleiner Runde in seinem Atelier. Weil er selbst dazulernen will, steht er bewusst nicht im Mittelpunkt, sondern lädt wechselnde Köche ein. Das Reh nimmt sich Julius Nowak vor, der im „Reinstoff“ Stellvertreter von Daniel Achilles war. Seine Schürze verrät eine weitere Station seiner Laufbahn: die „Schwarzwaldstuben“ in Baiersbronn, unter Harald Wohlfahrt jahrzehntelang das Mekka der deutschen Hochküche. „Da haben wir viel Wild zubereitet, auch ganze Tiere“, sagt Nowak.

© Ulrich Amling
Geläufig verteilt sein Messer das Reh, etwa sechs Kilo Fleisch bleiben. Fast alles davon eignet sich zum Kurzbraten, ist überaus zart. Die Sehnen aber müssen raus, die werden nur beim Schmoren weich. Nowak sortiert die Stücke, kocht einen Soßenansatz mit und einen ohne Knochen, glaciert mit kleinen Schlucken Rotwein und verwendet Butter in klassischen Ausmaßen, also nie zu wenig. Eine Keule landet auf dem Grill, die andere wird ausgelöst. „Die Keule kostet nur ein Viertel eines Rückens“, sagt Nowak und schneidet daraus falsches Filet und Tafelspitz für die Gusseisenpfanne.
Haugout? Gibt's nicht
Aus dem Filet schneidet der Koch ein Tatar, das er puristisch anrichtet: Schalotte, Schnittlauch, langsam gegartes schmelziges Eigelb, Olivenöl und etwas Zitronenzeste. Radic öffnet dazu einen Puligny-Montrachet 2018 aus dem eigenen Sortiment. Der leicht trüb abgefüllte Chardonnay überdeckt den überaus feinen Wildgeschmack nicht, gibt ein bisschen Fülle hinzu und eine Spur von Rauch. Vom strengen Hautgout, der durch überlanges warmes Lagern von Wild entsteht, keine Spur. Für Jäger Radic gehört das auch nicht zum Wildgenuss. Im Reifeschrank hängt ein Reh, das er am nächsten Tag für einen Berliner Sternekoch vorbereitet: Micha Schäfer, Küchenchef des „Nobelhart und Schmutzig“, gehört zu seinen Kunden.

© Ulrich Amling
Nachhaltig jagen
Eine direkte Verbindung, die Transparenz und hohe Qualität garantiert, gibt es bei Wildfleisch noch viel zu selten, findet Christofer Radic. „Wie man das Tier verarbeitet und wie man es vermarktet, das kommt bei der Jagdprüfung einfach zu kurz.“ Die Folge: Das meiste erlegte Wild wird von Großhändlern aufgekauft, die oft nur 50 Cent bis 1,50 Euro pro Kilo zahlen. Dieser Preis wiederum bietet Jägern nur wenig Anreiz, sich um eine optimale „Versorgung“ der Tiere nach dem Schuss zu kümmern. Doch ohne zügiges Ausnehmen und sorgfältiges Reifen leidet am Ende die Fleischqualität. Eine Abwärtsspirale, die Radic stoppen möchte. Für ihn ist nachhaltiges Jagen in lokalen Wäldern ein Handwerk mit Potenzial. „Auch viele Vegetarier interessieren sich für Wild, weil es ein hochwertiges, ursprüngliches Lebensmittel ist“, sagt er und gießt einen gereiften Merlot vom Weingut Radikon aus dem italienisch-slowenischen Grenzgebiet ein.

© Kerstin zu Pan
Inzwischen ist die Dämmerung über Schlachtensee hereingebrochen und das Schmorfleisch aufgetischt. Noch ein paar Stunden, dann werden hier die Wildschweine pflügen. Ihnen wendet sich der nächste Wildkochkurs im November zu. Allerdings nicht den Exemplaren vor Radics Haustür, er ist ja schließlich kein Stadtjäger. Daniele Bragato wird die Messer wetzen und zeigen, warum die italienische Küche Schwarzwild in allen Variationen liebt. Davon kann man sich in Deutschland noch ein paar Scheiben abschneiden. Wildschweine werden hier jedes Jahr zu Hunderttausenden geschossen, um die Population halbwegs in den Griff zu bekommen. Das feinwürzige Fleisch ist dem der domestizierten, leidgeplagten Artgenossen aus der Massentierhaltung in allen Punkten überlegen. Nur nicht an Popularität. Bis jetzt.
- Pracht – Wild und Wein. Breisgauer Str. 9, Schlachtensee. Der Wildschwein-Kochkurs findet statt am 22. November. Kosten: 120 Euro pro Person, mehr unter www.pracht.berlin
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