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Menschen gehen über eine Fußgängerampel (Symbolbild).

© imago/Schöning

Emotionen blockieren den Diskurs: Deutsche nehmen ihr Land als gespalten wahr – Zuwanderung polarisiert am stärksten

Zuwanderung, Klimaschutz, Ukraine-Hilfe: Eine neue Studie zeigt, welche Themen Deutschland am meisten spalten. Doch die größte Gefahr liegt laut Forschern woanders.

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Gut 81 Prozent der Deutschen nehmen ihr Land laut einer Studie als gespalten wahr. Dabei wird dem Thema Zuwanderung das größte Spaltungspotenzial zugeschrieben, teilte das Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) an der Technischen Universität Dresden mit.

Das stärkste Maß an ideologischer Polarisierung betreffe Klimaschutzmaßnahmen und Hilfe für die Ukraine. Zusammen mit dem Thema Zuwanderung sei hier auch die höchste „affektive Polarisierung“ festzustellen. Ideologische Polarisierung betrifft inhaltliche Meinungsunterschiede, affektive die emotionale Abwertung Andersdenkender.

Bei manchen Themen gehen die Meinungen weit auseinander, ohne dass der demokratische Zusammenhalt leiden muss. Bei anderen eskalieren Konflikte, weil aus politischen Gegnern Feinde werden.

Befund der MIDEM-Forscher

Die MIDEM-Forscher hatten für ihr „Polarisierungsbarometer“ knapp 34.000 Menschen in acht EU-Ländern befragt, darunter fast 4400 in Deutschland. „Bei manchen Themen gehen die Meinungen weit auseinander, ohne dass der demokratische Zusammenhalt leiden muss. Bei anderen eskalieren Konflikte, weil aus politischen Gegnern Feinde werden“, lautet ein Befund. Selbst dort, wo inhaltlich weitgehend Konsens herrsche, blockiere eine hohe Emotionalität die konstruktive Auseinandersetzung.

Polarisierung bis zu gewissem Grad notwendig

„Es vergeht kein Tag, an dem nicht mahnend auf eine wachsende Spaltung hingewiesen wird“, sagte Studienleiter Hans Vorländer. Das verkürze aber die Analyse. „Wir müssen differenzieren: Wann gefährdet Polarisierung die Demokratie wirklich? Und wann ist sie normaler Bestandteil pluralistischer Politik?“

Ideologische Polarisierung sei bis zu einem gewissen Grad in Demokratien notwendig. Affektive Polarisierung hingegen könne den demokratischen Zusammenhalt schwächen, weil sie Verständigung blockiere und aus politischem Wettbewerb Feindschaft mache.

Ältere, Männer und Geringverdiener polarisieren besonders

Nach den Ergebnissen der Studie sind ältere Menschen, Männer und Geringverdiener besonders stark affektiv polarisiert. „Auffällig: Wer sich politisch klar ‚links‘ oder ‚rechts‘ verortet, ist stärker polarisiert – am rechten Rand allerdings deutlich stärker. Besonders ausgeprägt ist die emotionale Ablehnung Andersdenkender bei Anhängern von AfD und Grünen – zwei Lager, die sich in dieser Haltung ähneln“, hieß es. Bei CDU/CSU-, SPD- und FDP-Unterstützern blieben die Werte deutlich niedriger.

„Politik, Medien und Zivilgesellschaft müssen unterschiedlich agieren – je nachdem, ob sie es mit einem Spaltungsthema, einem Konfliktthema oder einem Reizthema zu tun haben“, erklärte Vorländer. Pauschale Warnungen vor einer Spaltung würden nicht weiterhelfen. „Wir brauchen differenzierte Diagnosen für differenzierte Strategien.“

Hohe emotionale Aufladung beim Thema Klimaschutz

Stark entgegengesetzte Meinungslager und eine hohe emotionale Aufladung werden beim Thema Klimaschutz deutlich. 41,6 Prozent der Befragten tendieren zu der Ansicht, die aktuellen politischen Maßnahmen gingen „noch lange nicht weit genug“. Demgegenüber stehen 39,6 Prozent, die die Maßnahmen schon als „viel zu weit“ empfinden.

Nicht jede Differenz ist eine Spaltung, und nicht jeder Konflikt gefährdet den Zusammenhalt.

Christiane von Websky, Leiterin des Bereichs Teilhabe und Zusammenhalt bei der Stiftung Mercator

Beim Thema Zuwanderung allgemein fordern 67 Prozent der Befragten Beschränkungen. In den zum Vergleich herangezogenen EU-Ländern sind es 28 Prozent. 40 Prozent der Befragten in Deutschland fordern eine umfassende kulturelle Anpassung von Migranten, 47 Prozent halten Spracherwerb und Rechtstreue für ausreichend.

„Politik steht heute unter Druck unmittelbar artikulierter Interessen. Diskurse werden von emotional aufgeladenen Interventionen in digitalen Medien geprägt“, sagte Vorländer. Deshalb habe sich die Studie auf 15 Sachfragen in den Themenfeldern Zuwanderung, Sicherheit, Klimawandel, Wirtschaft und Soziales sowie Wertvorstellungen fokussiert. Zu jedem Feld wurden die Befragten nicht nur nach ihrer Position, sondern auch nach ihrer emotionalen Haltung gegenüber Andersdenkenden gefragt.

Lebendige Demokratie braucht Streit

„Eine lebendige Demokratie braucht Streit – aber sie darf nicht an ihm zerbrechen“, sagte Christiane von Websky, Leiterin des Bereichs Teilhabe und Zusammenhalt bei der Stiftung Mercator. „Das Polarisierungsbarometer zeigt eindrücklich, dass wir genauer hinschauen müssen: Nicht jede Differenz ist eine Spaltung, und nicht jeder Konflikt gefährdet den Zusammenhalt. Entscheidend ist, ob wir in der Lage bleiben, miteinander zu sprechen – auch über das, was uns trennt.“ (dpa)

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