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„Kid Sharing“ ist modern und für alle am erträglichsten? Die größte Last trägt das Kind.

© Ute Grabowsky/imago/photothek

Wenn Eltern sich trennen: Fifty-fifty kann für Kinder so ungerecht sein

Eine Woche hier, eine Woche da? Es ist egal, ob ein Scheidungskind hauptsächlich bei Mama oder bei Papa ist. Hauptsache hauptsächlich.

Um ein Kind zu erziehen, heißt es ja in diesem klugen afrikanischen Sprichwort, braucht es ein ganzes Dorf. Was aber, wenn es zwei Dörfer gibt, in denen das Kind erzogen wird, weil das Kind sowohl in Prenzlauer Berg, als auch in Kreuzberg wohnt?

Seit die Trennungsrate in den Großstädten 50 Prozent erreicht hat, haben sich mindestens die Hälfte aller getrennter Eltern mindestens einmal die Frage gestellt, ob fifty-fifty wirklich die gerechteste Lösung in der Betreuungsfrage ist.

Viele Männer haben verstanden, dass es keine Alternative ist, sich nach der Geburt nicht um das Kind zu kümmern. Wie das dumme deutsche Sprichwort suggeriert: „Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr.“ Nun, nicht schwerer als Mutter zu sein. Wenn man bedenkt, dass sie nicht die Lasten der Schwangerschaft und Stillzeit tragen müssen, sogar um ein Vielfaches leichter.

Als das Kind Sprechen lernte, kannte es nur das Leben aus dem Köfferchen

Dass sich Väter heute ihrer Verantwortung nach der Zeugung bewusst sind und sich um ihren Nachwuchs kümmern, ist eine erfreuliche Entwicklung und unterscheidet sie grundsätzlich schon mal von, sagen wir: Waschbären. Die sich gleich nach der Paarung trollen und von denen es in Berlin ja doch überraschend viele gibt. Es scheint also modern und fair, im Falle einer Trennung der Eltern die Brutpflege halbe-halbe aufzuteilen. Als Tochter eines Waschbären leuchtete mir diese Regelung meines Mannes und seiner Ex nicht nur ein, ich unterstützte sie auch.

Aline von Drateln, Mutter vom Kollwitzplatz.
Aline von Drateln, Mutter vom Kollwitzplatz.

© Christobal

Sehr lange ging das sehr gut. Für uns Erwachsene. Stolz, avantgardistisch bereits Jahre vor „Car Sharing“ „Kid Sharing“ zu praktizieren, klopften wir uns gegenseitig bei der wöchentlichen Kindsübergabe auf die Schultern. Leider übersahen wir dabei, auf wessen Schultern die größte Last dieses Arrangements lag: Das Kind war zu klein zum Sprechen, und als es damit anfing, kannte es kein anderes Leben als das aus dem Köfferchen.

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Aber wie groß ist der Stress, wenn in den zwei Dörfern, in denen man erzogen wird, unterschiedliche Gesetze gelten? Wenn in Villarriba immer Mutti den Abwasch macht, während in Villabajo Machogehabe nicht geduldet wird?

Spätestens, wenn die neue Stiefmutter eigene Kinder in die Familie mitbringt oder bekommt, werden kleinste Unterschiede in der Weltanschauung für alle sichtbar. Auch für die Kinder. Wie kontert man als Stiefmutter elegant den Hinweis, dass das Halbgeschwisterkind Handyspielen/ Chipsessen/ Pietro Lombardi hören darf, ohne die Ex als die schlechtere Mutter darzustellen? Da dürfen am Frühstückstisch schon mal die Gesichtszüge nicht entgleiten, wenn ein Stiefkind erwähnt: „Mama findet den Christian Lindner ganz süß!“

Nach acht Jahren war bei uns das Wechselmodell gescheitert

Wenn in „Mamaland“ Handys am Tisch verboten sind, dagegen in „Papaland“ beim Abendessen „Simpsons“ laufen - sollte das jedes Kind hinkriegen? Was, wenn nicht? Wenn „Hü“ und „Hott“ zu weit auseinander gehen und die gesamte Familie ständig aus dem Rhythmus bringen?

Nach acht Jahren war bei uns das Wechselmodell gescheitert. Irgendwann drehten alle am Rad: Das Stiefkind, die Stiefgeschwister. Und weil in unserer Familie die Stiefmutter am schlechtesten erzogen ist, sprach sie es irgendwann als erste aus: Besser doch das 14-Tage Papa Besuchsmodell?

[Lesen Sie auf Tagesspiegel-Plus: Wie Scheidungskinder wieder glücklich werden]

Die Gefühle waren geteilt: Die Mutter befürchtete, in ein altes Rollenmodell gezwängt, und der Vater, von seiner Verantwortung entbunden zu werden. Auch als Stiefmutter fühlte ich mich zunächst schlecht. Und ich genierte mich, weil wir uns eingestehen mussten, dass Emanzipation vielleicht doch nicht immer die Hälfte von allem heißt. Dass es keine Garantie auf männliche Entlastung geben kann, weil man Kinder eben nicht teilen kann wie Autos.

Dem Stiefkind ging es sehr viel besser. Überraschend schnell entspannte sich damit die Familiensituation für alle Beteiligten. Es ist wichtig zu wissen, als welchem Stall man kommt. Und weil Eltern unterschiedliche Personen sind, können das natürlich unterschiedliche Orte sein. Aber manchmal müssen sich die Erwachsenen für den einen Heuhaufen entscheiden, der dem Kind die Grund-Nestwärme gibt. Egal, ob hauptsächlich bei Mama oder Papa. Hauptsache hauptsächlich.

Ein Kind sollte nicht immer wieder das Englischheft, das Lieblingsshirt oder das eigene Zuhause bei Mama oder Papa suchen müssen.
Ein Kind sollte nicht immer wieder das Englischheft, das Lieblingsshirt oder das eigene Zuhause bei Mama oder Papa suchen müssen.

© imago images/Westend61

Ein Zuhause, in dem das Kind nicht nur halb ist. Sonst hat es ständig den Stress, um Harmonie bemüht, eben nicht die Nadel, aber immer wieder das Englischheft, Lieblingsshirt oder das eigene Zuhause bei Mama oder bei Papa zu suchen. Und halbe Sachen machen in Berlin Erwachsene ja schon genug.

Aline von Drateln, selbst Scheidungskind, wuchs mit Mutter, Stiefvater und insgesamt vier Schwestern und Halbschwestern auf. Mit 24 wurde sie unerwartet Stiefmutter, als ihr heutiger Ehemann neun Monate nach ihrem Kennenlernen ein Kind von seiner Ex bekam. Mittlerweile haben sie noch zwei gemeinsame Kinder.

Alle 14 Tage erzählt sie im Tagesspiegel von der Zerreißprobe Patchwork: Wie es sich anfühlt, ein Leben lang „die Neue“ zu sein, weshalb sie daran gescheitert ist, die beste Stiefmutter der Welt sein zu wollen – und sich wundert, dass es zwar „Familienväter“ gibt, aber keine „Familienmütter“.

Lesen Sie hier Folge 1: Blut ist dicker als Wasser? Deswegen schwimmen wir noch lange nicht im gleichen Viren-Pool!

Lesen Sie hier Folge 2: Von wegen böse Stiefmutter - Aschenputtel!

Lesen Sie hier Folge 3: Wir Stiefmütter sind ein vollwertiger Teil der Familie!

Lesen Sie hier Folge 4: Unser Baby, die Exfrau und ich

Aline von Drateln

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