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Friedrich Merz und der Zirkuszelt-Vergleich: Worte haben Macht – ein Kanzler sollte das wissen
Merz will in der Debatte um die Regenbogenfahne nicht, dass der Bundestag zum „Zirkuszelt“ wird – und zeigt, wie gefährlich Sprache in Zeiten wachsender Queerfeindlichkeit sein kann.

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Zeigte sich da am Dienstagabend einmal mehr das alte Gesicht von Friedrich Merz? Oder ist ihm nur eine Formulierung verrutscht? In der ARD-Talkshow „Maischberger“ erklärte der Bundeskanzler auf die Frage, wie er zur Entscheidung der Bundestagspräsidentin Julia Klöckner stehe, die Regenbogenfahne zum Christopher Street Day nicht am Reichstag zu hissen: „Der Bundestag ist ja nun kein Zirkuszelt“. Man könne dort nicht beliebig beflaggen.
Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Die Regenbogenflagge sei kein Symbol für einen Zirkus, betonte der frühere SPD-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auf der Plattform X. Sie stehe für die Rechte von Menschen, die heute vielfach noch Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt seien. Andere Nutzer verwiesen darauf, dass sich unter einem Zirkuszelt Clowns, Freaks und wilde Tiere tummeln – ein Vergleich, der queere Menschen entwürdige und diskriminiere.
Ob nun flapsig dahergesagt oder bewusst gesetzt: Ein Bundeskanzler muss seine Wortwahl sorgfältig bedenken; andernfalls drohen seine Äußerungen zum Brandbeschleuniger von Queerfeindlichkeit zu werden.
Zur Wahrheit gehört: Merz brach den Satz mit dem Zirkuszelt ab. Man könnte wohlwollend annehmen, weil ihm das Bild unangemessen erschien. Vielleicht wollte er tatsächlich nur zum Ausdruck bringen, dass ein fortwährender Flaggenwechsel der Würde des Hohen Hauses nicht zuträglich sei. Doch ein Bundeskanzler kann es sich nicht erlauben, einfach gedankenverloren daherzureden.
Queere Sichtbarkeit ist kein schrilles Spektakel
Seine Ausführungen setzen politische Akzente – vor allem in Zeiten, in denen das Bundeskriminalamt einen drastischen Anstieg von Straftaten gegen queere Menschen registriert. Beleidigungen, Gewalttaten und Bedrohungen sind längst Alltag für viele von ihnen. Rechtsextreme nehmen die Community zunehmend ins Visier. Deshalb wäre es mehr als angebracht, sich für die Wortwahl zu entschuldigen.
Denn das Bild des „Zirkuszelts“ reduziert queere Sichtbarkeit auf ein schrilles Spektakel, das in einer seriösen demokratischen Institution keinen Platz hat. Die Regenbogenfahne hingegen steht für Werte wie Menschenwürde, Gleichberechtigung und Minderheitenschutz – klar verankert im Grundgesetz.
Solange der Wowereit sich mir nicht nähert, ist mir das egal.
Friedrich Merz über das Coming-out des früheren Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit
Viele erkennen in Merz‘ Worten sogar keine bloße Ungeschicktheit, sondern eine bewusste Strategie, die auch US-amerikanische Konservative aktuell häufig nutzen: Dann verwenden sie vermeintlich harmlos wirkende Ausdrücke, die aber für die eigene Klientel eindeutige Signale senden. Mit dem Bild vom „Zirkuszelt“ könnte Merz der konservativen Wählerbasis demzufolge bewusst signalisiert haben: „Mir wird das hier langsam auch zu bunt.“
Homophobe Ausfälle
Dabei hatte Merz im Bundestagswahlkampf und danach noch versucht, sein konservatives Image abzuschwächen. Er mäßigte seine oft scharfe Rhetorik, stellte inhaltlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Vordergrund und konnte zuletzt sogar als einziger Spitzenpolitiker seine Beliebtheitswerte steigern. Doch nach der Zirkuszelt-Aussage muss er sich nicht wundern, wenn seine homophoben Äußerungen aus der Vergangenheit wieder in den Fokus der Wahrnehmung rücken.
Als der frühere Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit 2001 sein Coming-out hatte, polterte Merz: „Solange der Wowereit sich mir nicht nähert, ist mir das egal.“ Und 2021 erklärte er über einen möglichen homosexuellen Bundeskanzler: „Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft (…) ist das kein Thema für die öffentliche Diskussion.“ Was sogar sein Parteifreund Jens Spahn als problematische Anspielung auf einen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Pädophilie kritisierte.
Viele schätzen Friedrich Merz dafür, dass er in politischen Debatten direkter und kantiger kommuniziert als sein Vorgänger Olaf Scholz. Doch wenn diese Klarheit mit unreflektierter oder gar bewusst herabsetzender Sprache einhergeht, wird es gefährlich. Will der Bundeskanzler glaubwürdig für gesellschaftlichen Zusammenhalt stehen, muss er dafür politische Verantwortung übernehmen – das beginnt bei seiner Wortwahl.
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