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Ahmed Kathrada, Gefährte von Nelson Mandela.

© Eric Miller

Nelson Mandelas Gefährte: „Ich spürte niemals Lust auf Rache“

Nelson Mandela war wie ein Bruder für Ahmed Kathrada. Hier verrät der 84-Jährige, wie er dem ANC-Führer mit Haaröl einen Streich spielte und zum Schmugglerchef wurde.

Ahmed Kathrada, 84, Freiheitskämpfer aus Südafrika, wurde 1964 zusammen mit Nelson Mandela zu lebenslanger Haft verurteilt. Er kam nach 26 Jahren im Oktober 1989 frei, arbeitete später als Berater Mandelas und gründete eine Stiftung, um Rassismus zu bekämpfen. Kathrada stammt aus einer indisch-muslimischen Familie

Sonntag, 1. Dezember 2013. Robben Island. Wir sind in Section B, der Abteilung für politische Gefangene. Ahmed Kathrada scherzt: „Nur kurz in die Zelle von Mandela, dann weiter! Sonst spiele ich den Wärter!“ Kathrada war hier 18 Jahre inhaftiert, in der Einzelzelle schräg gegenüber von Mandela. Nur ausnahmsweise führt er Besucher umher. Seine Stimme bricht manchmal ab, man muss in sein rechtes Ohr sprechen, sonst hört er nichts. In der Hand hält er den Generalschlüssel, zwei Stunden lang, bis es zurück auf die Fähre geht. Erst als ein Museumsmitarbeiter ihn darauf aufmerksam macht, gibt er den Schlüssel ab. Kathrada lächelt. Er schaut auf das Diktiergerät: „Nimmt das gut auf?“ Der Motor springt an, das Schiff legt nach Kapstadt ab.

Herr Kathrada, die Verfilmung von Nelson Mandelas Autobiografie „Long Walk to Freedom“ bricht in Südafrika gerade alle Rekorde. Haben Sie den Film schon gesehen?

Ja, hier in Kapstadt, ich war auf der Premiere. Eine sehr gute Verfilmung des Buchs.

Riaad Moosa, ein bekannter südafrikanischer Komiker, verkörpert Sie. Ein seltsames Gefühl?

Keineswegs. Er hat seine Arbeit sehr gut gemacht. Zu Vorbereitung war Riaad einige Male mit mir auf Robben Island, um alles zu verstehen und zu lernen, wie ich spreche.

Sie waren ein enger Weggefährte Nelson Mandelas, der Ikone des südafrikanischen Freiheitskampfes. Er wurde verehrt wie ein Heiliger.

Mandela hat immer wieder gesagt, dass er sich sehr unwohl dabei fühlt, wenn die Öffentlichkeit nur ihm allein den Kampf gegen die Apartheid zuschreibt. Wir waren ein Kollektiv, auch im Gefängnis. Wir waren sieben, jede Meinung zählte.

Trotzdem wurde Mandela Ihr Anführer. Warum er?

Seine Karriere war vorgezeichnet. Er war als Führer aufgewachsen, kam als Sohn eines Häuptlings zur Welt, der zu einer königlichen Stammesfamilie gehörte. Jede Etappe seines Lebens ist davon geprägt. Als er in die Politik einstieg, trat er zuerst der Jugendliga des ANC bei – und wurde dann deren Vorsitzender. Es ging Schlag auf Schlag, bis er 1994 zum Präsidenten gewählt wurde.

Sie haben seine Führungsqualitäten nie in Zweifel gezogen?

Nie! Als wir auf Robben Island landeten, sagte er: „Wir sind nun nicht mehr Führer unserer Bewegung, wir sind Gefangene. Unsere Führer sitzen im Ausland, sie machen die Politik, sie treffen die Entscheidung, nicht wir. Wir konzentrieren uns auf unsere Lage im Gefängnis.“ Das haben wir getan.

Ein Führer, der über sich lachen konnte

Ahmed Kathrada, Gefährte von Nelson Mandela.
Ahmed Kathrada, Gefährte von Nelson Mandela.

© Eric Miller

Sie haben gesagt, dass Mandela manchmal eitel gewesen sei. Stimmt es, dass er Freund eines speziellen Haaröls gewesen ist?

Pantene, ich erinnere mich. Wir waren bereits von Robben Island nach Kapstadt verlegt worden, da hat er sich einmal beschwert, dass die Wärter ihm nicht das richtige Haaröl besorgt hatten. Zu seinem 80. Geburtstag haben wir ihm einen kleinen Streich gespielt. Damals gab es das Öl nicht mehr in Südafrika, wir konnten aber ein paar Flaschen in den USA auftreiben. Derselbe Wärter aus Kapstadt, der ihm damals das Öl nicht geben konnte, wurde damit beauftragt, es in Amerika ausfindig zu machen. Und er schaffte es. Wir sagten zu Mandela: „Siehst du, er konnte dein Haaröl doch noch besorgen!“ Mandela musste herzlich lachen. Er war einer der wenigen politischen Führer, die über sich lachen konnten.

Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?

Als er das letzte Mal im Krankenhaus war, im Sommer. Ansonsten gönnte ich ihm Ruhe.

Einer der wichtigsten Auftritte Mandelas war seine Rede 1964 vor der Urteilsverkündung im Rivonia-Prozess. Wie erinnern Sie sich daran?

Sie dauerte vier Stunden und schloss damit, dass er für seine Ideale zu sterben bereit sei. Wir waren darauf eingestellt, es ihm gleichzutun. Offiziell durfte er nicht in unserem Namen sprechen, weil er ein Insasse wie wir war. Alle, die in den Zeugenstand traten, hatten den gleichen Ansatz: Du erklärst deine politischen Überzeugungen, du entschuldigst dich nicht, bittest nicht um Gnade, und wenn das Todesurteil verhängt wird, gehst du nicht in Revision. In diesem Verfahren, bis zum letzten Tag, rechneten wir mit dem Todesurteil. Dann entschied der Richter: lebenslange Haft. Unter uns war auch Denis Goldberg, der weiß ist. Die Apartheid-Regeln besagten, dass wir getrennt bleiben mussten, bis zum Tod. Er wurde in Pretoria eingesperrt.

Wie kamen Sie nach Robben Island?

In der Nacht nach dem Urteil wurden wir geweckt. Man verband uns die Augen, kettete uns mit Handschellen aneinander und brachte uns zum Militärflughafen nach Pretoria, wo sie uns die Augenbinden abnahmen, ins Flugzeug schubsten, und wir sind hier gelandet, auf Robben Island. Danach wurden wir auf Jahre zu menschlichen Hacken und Schaufeln.

Sie mussten im Kalksteinbruch schuften.

Ja. Später wurde ich Chef des Komitees, das fürs Schmuggeln verantwortlich war. Ich wurde einmal zu sechs Monaten isolierter Einzelhaft verurteilt, weil eines meiner Briefchen abgefangen wurde. Aber wir mussten ja den Kontakt untereinander halten. Anfangs durften wir zwei Briefe im Jahr und zwei Besuche empfangen. Die Briefe waren auf 500 Worte festgelegt, jedes weitere Wort wurde abgeschnitten. Es durfte nur um Familienangelegenheiten gehen.

Wärter wurden von Ihnen bestochen und erpresst.

Darauf bin ich nicht stolz. In den 60er Jahren war da ein alter Wärter, der uns um Hilfe bei seinen Kreuzworträtseln bat: „Ihr seid doch gebildet!“ Eines Nachts gab ihm ein Gefangener einen Zettel für Walter Sisulu und bat ihn, die Antwort zurückzubringen. Wir durften nachts nicht kommunizieren, tagsüber standen die Wachen um uns herum. Als der Wärter den Brief zurückbrachte, sagten wir: „So, jetzt haben wir hier Ihre Fingerabdrücke. Wenn Sie nicht wollen, dass das rauskommt, tun Sie, was wir sagen.“ Die Drohung reichte aus. Er half uns, Zeitungen hineinzuschmuggeln.

Später wurden Sie im Gefängnis Fan von Whitney Houston. Wie denn das?

Nach 1982 wurden fünf von uns nach Kapstadt verlegt, nach Pollsmoor. Ab 1985 durften wir fernsehen, wir hatten einen Videorekorder. Ein Wärter war besonders freundlich zu uns. Er gab uns Videokassetten, selbst welche, die der Rest Südafrikas schwer sehen konnte. Zum Beispiel das Mandela-Konzert im Wembley-Stadion ’88.

Wo Whitney Houston auch auftrat.

„I wanna dance with somebody“! Einmal schrieb ich einem Freund nach London, dass Walter Sisulu und ich große Fans von ihr seien. Irgendwie erreichte Whitney die Nachricht, nach unserer Freilassung bekamen wir einen Brief von ihr mit einem Autogramm: „Für Walter“. Ich war sehr neidisch.

Die Tage nach der Entlassung

Ahmed Kathrada, Gefährte von Nelson Mandela.
Ahmed Kathrada, Gefährte von Nelson Mandela.

© Eric Miller

Ihre trockene Art haben Sie nie verloren. Als Sie 1989 entlassen wurden, sagte der diensthabende Offizier: „Wir haben heute morgen ein Fax bekommen, das Ihre unverzügliche Freilassung anordnet“...

... und ich fragte ihn: „Was ist ein Fax?“ Na ja, das waren alles neue Dinge für uns.

Wie war es, als Sie nach Ihrer Entlassung 1989 tausenden feiernden Menschen gegenüberstanden?

So viel passierte in so kurzer Zeit. Wir hatten keinen Urlaub, keine Zeit, um uns darauf vorzubereiten. Die Medien gaben uns keine Chance. Präsident de Klerk erklärte am Dienstagabend, dass acht Gefangene entlassen werden würden – aber er sagte nicht wann. Seit dieser Nachricht campierten Reporter vor unseren Häusern. Als wir am Sonntagmorgen entlassen wurden, waren alle Kameras auf uns gerichtet. Es gab Wichtigeres.

Zum Beispiel?

Ich wollte mal wieder Kinder sehen. Das habe ich während der Zeit im Gefängnis am meisten vermisst. Das erste Mal sah ich nach 20 Jahren ein kleines Kind, als ich bereits in Pollsmoor saß. Mein Anwalt besuchte mich eines Tages, er hatte seine dreijährige Tochter dabei, die nicht allein im Auto bleiben konnte. Die Wärter gestatteten ihm ausnahmsweise, das Mädchen mit hineinzunehmen. Das war unglaublich. Sie saß während der halben Stunde auf meinem Schoß, ich strich ihr über das Haar, das war sehr berührend. Gestern habe ich einen Brief von ihr erhalten, sie lädt mich zu einem Fest ein.

Zurück zu Hause, was taten Sie?

Draußen standen Leute, die uns neugierig anstarrten. Wir waren eine Kuriosität. Sie wollten uns berühren, weil sie nicht glauben konnten, dass wir frei waren. Wir hatten keine Chance, uns zu erholen. Im Februar 1990 kam endlich Mandela nach 27 Jahren frei, der ANC wurde wieder zugelassen, wir nahmen unsere politische Arbeit im Büro auf.

Wie erlebten Sie den Tag, an dem Mandela Präsident wurde?

Das Militär salutierte vor ihm, zehntausende Flaggen wehten. Da dachte ich: Das ist unser Land!

Gibt es eine Angewohnheit aus Robben Island, die Sie heute immer noch haben?

Zehn Jahre lang hatten wir kein warmes Wasser, sehr gesund übrigens. Das habe ich beibehalten, obwohl ich beim Einseifen heute warmes Wasser nehme, muss ich immer mit kaltem enden. Ich muss das so machen, egal wie kalt es draußen ist, selbst in Europa. Kann ich nur empfehlen.

2014 feiert Südafrika 20 Jahre Demokratie. Waren die 26 Jahre im Gefängnis das wert?

Auf jeden Fall. Ich vergleiche uns gern mit den Vereinigten Staaten, die haben dort seit ein paar Jahrhunderten Demokratie – und es gibt nach wie vor Armut und Rassismus. Ich sehe viel Fortschritt.

Ja? Große Teile der politischen Eliten gelten als bestechlich, täglich geschehen furchtbare Verbrechen…

… das Hauptproblem ist der Hunger. Den müssen wir bekämpfen. Armut, Arbeitslosigkeit, Bildung, Wohnen, Gesundheit, das sind die Probleme des modernen Südafrika. Wir können in 20 Jahren nicht alles schaffen.

Südafrikas Brain-Drain

Ahmed Kathrada, Gefährte von Nelson Mandela.
Ahmed Kathrada, Gefährte von Nelson Mandela.

© Eric Miller

Was ist die größte Errungenschaft?

Ich bin stolz, dass die Unis gemischt sind. Beinahe jeder Dekan ist heute schwarz.

Viele junge Menschen reagieren genervt, wenn die Alten von früher erzählen. Sie wollen nichts mehr vom Befreiungskampf gegen die Apartheid hören.

Jetzt leben wir in Freiheit, die jungen Menschen wollen nicht mehr über Politik reden, sondern davon profitieren, welche Möglichkeiten sie heute haben. Ich besitze ein altes Schild, das ich gern hochhalte. Das war an jedem Postamt oder jedem Hotel angeschlagen. Darauf steht: „Nur für Europäer, Nicht-Weiße haben keinen Zutritt“. Die jungen Menschen können es kaum fassen. Ihre Eltern haben das vielleicht noch erlebt, aber sie scheinen ihre Erfahrungen nicht weiterzugeben.

Südafrika leidet unter einem massiven „Brain Drain“. Die Jungen gehen ins Ausland, um dort zu studieren.

Ich verstehe ihre Gründe, ja. Viele verlassen das Land, weil ihnen die Kriminalitätsrate zu hoch ist.

So gut wie jeder Südafrikaner hat Einbrüche und Überfälle erlebt oder kennt einen Nachbarn, dem das passiert ist. Sie auch?

Bei mir in Johannesburg wurde zweimal eingebrochen. Einmal war ich sogar im Haus, als es passierte. Ich schlief ruhig in meinem Zimmer, offensichtlich kamen sie nicht in das Schlafzimmer, erst am nächsten Morgen bemerkte ich, dass mein Laptop und ein paar Sachen gestohlen waren.

Sie müssen sich furchtbar unsicher gefühlt haben.

Nein, ich dachte nur daran, bessere Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Sehen Sie, in Johannesburg schlafen wir Menschen gern bei offenem Fenster. Das musste ich ändern.

Sein Besuch in Ost-Berlin

Ahmed Kathrada, Gefährte von Nelson Mandela.
Ahmed Kathrada, Gefährte von Nelson Mandela.

© Eric Miller

Herr Kathrada, Sie waren 1951 in Ost-Berlin, wo Sie die Weltjugendfestspiele besuchten.

Wir waren in beiden Teilen der Stadt. In West-Berlin ist es mir passiert, dass Jungs mit einem Eimer Wasser und einer Bürste auf mich zutraten, weil sie dachten, ich hätte mich seit Tagen nicht waschen können. Das ist mir nur dort passiert.

Wie furchtbar.

Ja, auf der anderen Seite waren diese Kinder unschuldig. Sie wussten es nicht besser, ihre Eltern, die Zeitungen hatten es ihnen so eingebläut. Trotzdem, ich war so von diesem freien Leben eingenommen, dass ich überall hingehen konnte. Komischerweise erinnere ich mich an diese Tage als eine glückliche Zeit. Doch danach ging es weiter nach Polen, wo wir Auschwitz besuchten.

Wie sah es dort sechs Jahre nach der Befreiung aus?

Das werde ich nie vergessen können. Es war noch keine offizielle Gedenkstelle wie heute. Wir sahen überall menschliche Knochen auf dem Weg, Kissen, die mit Menschenhaaren gefüllt waren. Wir kamen an Containern vorbei, in denen das Zahngold lagerte. Einen Knochen habe ich aufgehoben.

Und mitgenommen?

Ja. Auf Veranstaltungen habe ich ihn hochgehoben und gesagt: Das ist das logische Ende, wohin extremer Rassismus führt.

Hatten Sie so ein Ende für Südafrika befürchtet?

Nein, der Unterschied in Südafrika war: Die unterdrückten Menschen waren zahlenmäßig in der Mehrheit. Sie hätten nicht alle Schwarzen, Inder, Farbigen umbringen können.

Nach all dem, was Ihnen die Helfer des Systems Apartheid angetan haben – hatten Sie wirklich nie das Bedürfnis nach Vergeltung?

Ich spürte niemals Lust auf Rache.

Es wäre menschlich gewesen.

Hass, Rache – das stand nur unserer Politik der Staatsbildung im Weg, der Versöhnung zwischen den Rassen. Als wir die Büros im Präsidentenpalast bezogen, mussten wir zu den weißen Angestellten gehen, um zu fragen, wie alles funktioniert. Weiße Regierungsbeamten zeigten uns den Weg, wir hatten keine Erfahrung darin, in jedem Ministerium waren wir auf ihre Hilfe angewiesen. Wir brauchten sie und ihr Vertrauen.

Heute hören Sie manchmal Vorwürfe, zu viele Kompromisse gemacht zu haben.

Die kommen von Schönwetterhelden! Sie waren nicht dabei, als wir kämpften. Sie saßen nicht mit am Tisch, als wir nach 1990 verhandelten. Es war kein militärischer Sieg, den wir errungen haben, es war eine Friedensverhandlung, in der jede Partei etwas geben und nehmen musste. Man kann nie alles haben.

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