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Glückssache! Doch manchmal lässt die Spieleerfinderin Kinder gewinnen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Interview mit Spieleautorin Sophia Wagner: „Den Würfel kann man ja schlecht verbieten“

Misslungene Entwürfe fliegen bei ihr auch mal an die Wand. Ist Spielen wirklich ein Traumjob, Sophia Wagner? Ein Interview.

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Sophia Wagner, 34, entwirft Brettspiele. Geboren wurde sie in Zell unterm Eichelberg bei Göppingen, zog aber schon als Schulkind nach Berlin und studierte in Potsdam Geowissenschaften. Neben der Uni begann sie, sich für Brettspiele zu interessieren und selbst welche zu entwickeln. 2015 gewann sie das Stipendium des Spieleautoren-Treffens Göttingen. 2017 veröffentlichte sie ihr erstes Spiel „Noria“, ein Jahr später folgte „The Boldest“. Jetzt erschien mit „Ratzzia“ ihr drittes Werk. Sophia Wagner empfängt im Gemeinschaftsraum des Potsdamer Künstlerhauses „Scholle 51“, in dem sie vor wenigen Wochen ein eigenes Büro bezogen hat. „Zu Hause arbeiten war auf Dauer etwas einsam“, sagt sie. Sie hat Tee vorbereitet und nimmt Platz an dem Holztisch in der Mitte des Raumes. „Um 12.30 Uhr müssen wir aber fertig sein“, sagt sie, „dann wird hier fürs Mittagessen gedeckt.“

Frau Wagner, Weihnachten ist bei vielen Familien traditionell Spielezeit. Genauso traditionell eskaliert es in den Tagen aber auch. Mit welchem Spiel kommt man harmonisch durch die Heilige Nacht?
Versuchen Sie es doch mal mit „Codenames“. Dabei tritt man in Teams gegeneinander an und muss verschiedenste Begriffe mit übergeordneten zusammenfassen. Das ist lustig, weil man sieht, wie unterschiedlich Leute denken. Das Tolle an Spielen ist ja, dass sie Menschen zusammenbringen können. Wenn man sich auf der spielerischen Ebene kennenlernt, sind die Leute oftmals lockerer, offener. Das macht extrem viel mit einem, wenn man einfach mal zusammen lacht.

Sie haben gerade Ihr drittes Spiel veröffentlicht. Kann man den Würfel wirklich neu erfinden?
Es stimmt schon, ganz viele Spiele-Mechaniken wie Würfeln und die Augenzahl ziehen, oder dass jeder einen Spielstein hat, sind heute so normal, da denkt man gar nicht mehr drüber nach. Wenn ich etwas für Kinder entwerfe, lass ich mich vom Material leiten. Ich schaue mich um, was man benutzen könnte: im Wald, im Bastelladen, im Internet. Dann spiele ich ein bisschen rum, bis ich eine Idee habe, was man damit machen kann. Bei Entwürfen für Erwachsene geht es schon eher darum, eine Mechanik zu finden, die Herausforderungen schafft, die es vorher nicht gab. Aber auch dabei entstehen neue Sachen oft aus bereits vorhandenen.

Zum Beispiel?
Mein zweites Spiel „The Boldest“ basiert im Prinzip auf „Schnick, Schnack, Schnuck“, auch wenn das fertige Spiel dann gar nichts mehr groß damit zu tun hat. Für mein erstes Werk „Noria“ habe ich mir eine neue Mechanik mit drei ineinander liegenden, drehbaren Scheiben ausgedacht. Auf die Ringe werden Spielsteine gesetzt, über die Aktionen gesteuert werden. Bei solch einem „Expertenspiel“ geht es viel um Planung, dagegen dürfen Familienspiele ruhig einen größeren Glücksanteil haben. Die Herausforderung ist dann, Mechanik und das Thema des Spiels zusammenzuführen.

Das eine bedingt das andere?
Na ja, es ist normal, dass sich ein Thema im Prozess mit Testspielern oder dem Verlag noch mal ändert. „Noria“ hatte ich als Wüstenstadt angelegt, man reiste zu einzelnen Oasen. Am Ende sind es jetzt fliegende Inseln. Mein neues Spiel, bei dem Ratten eine Vorratskammer plündern, hieß in der Ursprungsversion „Banana Dice“ und hatte das Ziel, Früchte aus einer Bananenrepublik zu schmuggeln. Als Figuren gab es den kapitalistischen Dieb, den sozialistischen Dieb … Das war dem Verlag zu politisch.

Kränkt es Sie als Autorin, wenn man in Ihren Kreationen rumredigiert?
So ist das nun mal, und oft ergibt das ja auch Sinn, was die Leute sagen.

Mit wem testen Sie die Spiele denn?
Als Erster muss immer mein Mann dran glauben. Der spielt gerne und ist sehr streng.

Kann man als Brettspielerin mit jemandem verheiratet sein, der nicht gerne spielt?
Wahrscheinlich. Aber ob’s Spaß macht …

Und wenn Ihr Mann fertig ist, wie geht es weiter?
Danach gehe ich mit meinen Prototypen, die zu dem Zeitpunkt meist noch aus selbst gebastelten und mit Photoshop gestalteten Pappkarten bestehen, zu anderen Autoren. Da merkt man schnell, was funktioniert und was nicht. Von meinen Entwürfen sind vielleicht schon 40 bis 50 in dieser Phase gestrandet. Die Verlage, deren Scouts man bei Messen seine Werke präsentiert, haben ebenfalls ganz viel Expertise, was die Zielgruppen angeht, die einem als Autor vielleicht fehlt. Das Thema Bananenrepublik schließt zum Beispiel viele Kinder aus, denen die Mechanik gefiele.

Sophia Wagner, Spieleerfinderin aus Potsdam.
Sophia Wagner, Spieleerfinderin aus Potsdam.

© Mike Woilff

Ist der Erfolg also tatsächlich planbar?
Im Endeffekt weiß keiner, ob sich ein Spiel nachher verkauft. Es sei denn, es wird zum „Spiel des Jahres“ gewählt. Aber selbst das heißt nicht, dass es zum Klassiker wird. Erfolgreiche Autoren wie Uwe Rosenberg oder Stefan Feld haben Fans, die allein wegen des Namens auf der Schachtel zuschlagen. Und natürlich gibt es Trends. Zuletzt waren Legespiele mit „Tetris“-artigen Teilen ein Erfolg. Ich hatte auch so was in der Schublade und dachte dann, jetzt komme ich damit zu spät und habe aufgehört, daran zu arbeiten. Hätte ich mal nicht machen sollen … Eine Weile gab es jede Menge Wikinger- Spiele, jetzt gerade machen alle Unterwasser-Themen: Tauchen, Korallenriffs, versunkene Städte. Da zieht dann jeder mit.

Gibt es keine Probleme mit Copyrights?
Da ist sehr viel im Graubereich. Die Rechte hat man oft nur an der Anleitung, und den Würfel kann man ja schlecht verbieten. Wenn jetzt ein Spiel mit drei Drehscheiben herauskäme, auf die man Steinchen setzt, das wäre zumindest sehr schlechter Stil.

Die Verlage wollen dementsprechend am liebsten „Monopoly 2“.
So funktioniert das auch nicht. „Monopoly“ ist ein Klassiker, den man in immer neuen Versionen herausbringen kann: Berlin-Monopoly, Weltraum-Monopoly … Würde man das Originalspiel heute einreichen, würde es wahrscheinlich abgelehnt.

Warum das denn? Das Spiel ist seit mehr als 80 Jahren ein Verkaufsschlager.
Es enthält gleich mehrere Mechanismen, die man inzwischen vermeidet. Den Automatismus, dass der Starke immer stärker wird und kaum noch eingeholt werden kann zum Beispiel. Dann die sogenannte Player Elimination: Dass ein Spieler recht früh aus dem Spiel auszuscheiden droht und dann die nächsten zwei Stunden nur zuschauen darf. Spielen soll heute eine schöne Erfahrung für alle sein.

Gehen Sie nicht über Los, ziehen Sie nicht 4000 Euro ein ...
Gehen Sie nicht über Los, ziehen Sie nicht 4000 Euro ein ...

© Kai-Uwe Heinrich

Gewinnen Sie gern?
Ja. Je anspruchsvoller das Spiel, desto mehr freue ich mich über einen Sieg.

Wann haben Sie das letzte Mal ein Spielbrett an die Wand geschmissen?
Wenn, dann habe ich vielleicht einmal einen eigenen Prototypen an die Wand geworfen, weil er nach der zwanzigsten Überarbeitung statt besser sogar schlechter geworden ist.

Früher waren viele Spiele stark konkurrenzgetrieben. Seit einiger Zeit erscheinen immer mehr kooperative Werke, bei denen man nicht gegeneinander, sondern gemeinsam gegen das Spiel spielt – wie das Spiel des Jahres 2013 „Hanabi“. Verlernen die Menschen das Verlieren? Wie man mit Frust umgeht? Fairness im Umgang mit Unterlegenen?
Kooperative Spiele eröffnen ganz andere Möglichkeiten, Geschichten zu erleben. „Die Legenden von Andor“ zum Beispiel enthält viel Text, der erzählt, warum die Heldengruppe, die man verkörpert, jetzt da lang und wem sie sich entgegenstellen muss. Ein Erlebnis, das man teilt. An den Universitäten wird geforscht, was kooperative Spiele mit Kindern machen. Endgültige Ergebnisse gibt es aber noch keine. Ich weiß nur aus eigener Erfahrung, dass diese Art Spiel bei vielen Kindern gar nicht gut ankommt. Die wollen zeigen, was sie können und das Feedback: Das hast du gut gemacht. Ja, du bist der große Gewinner.

Lassen Sie Kinder schummeln?
Manchmal ja. Gerade wenn ein jüngeres Kind mit älteren spielt, drückt man ein Auge zu.

Schummeln Sie?
Nein. Da könnte ich mich über einen Sieg gar nicht freuen.

Sind Brettspiele in einer immer digitaler werdenden Welt eine freiwillige analoge Nische? Oder hängen sie schlicht zehn Jahre zurück?
Es gibt durchaus Versuche, digitale Medien einzubinden, etwa bei den „Exit-Games“, wo die App Musik spielt und eine Stoppuhr mitlaufen lässt oder bei „XCOM“, wo die App Ufos auftauchen lässt oder ansagt, was gerade getan werden muss. Auch Erklärvideos zum Regelverständnis oder um Spiele zu bewerben sind sicher eine sinnvolle Sache. Dafür fehlen bei kleineren Verlagen nur leider oft die Budgets.

Wird die Spieleerfinderin der Zukunft also Programmiererin sein müssen?
Ich habe da keine Lust drauf. Für viele ist das Schöne am Spielen doch, dass man die Smartphones mal weglegen kann und nicht vor einem Schirm sitzt. Man genießt, mit Menschen zusammenzukommen. Die Gesichter der anderen zu beobachten, sie reagieren zu sehen. Dass die Menschen miteinander interagieren, ist mir auch bei meinen Entwürfen sehr wichtig. Dass nicht jeder alleine vor sich hin grübelt. Vielleicht spielt auch Nostalgie mit rein. Ich habe früher mit Großeltern und Eltern „Cluedo“ und „Scotland Yard“ gespielt. Das sind einfach schöne Erinnerungen. Meine Omi ist beim Rommé richtig aufgelebt und hat einen unglaublichen Ehrgeiz entwickelt. Für mich war es toll, was für eine Spannung in der Luft lag. Wir waren ganz im Hier und Jetzt und wollten gar nicht mehr aufhören.

Was haben Ihre Eltern eigentlich damals gesagt, als Sie ihnen offenbarten, vom Spieleerfinden leben zu wollen?
Also, ich sage mal, die fanden gut, dass ich vorher meinen Master fertig gemacht habe. Auch viele aus der Brettspiel-Szene haben mich am Anfang gewarnt: Das kann man nur als Hobby machen. Die Einstiegszeit ist hart, man muss in Vorleistung gehen, Vorschüsse sind bestenfalls mickrig. Da heißt es, irgendwie über die Runden zu kommen, bis das erste Spiel was abwirft. Und dann jedes Jahr nachlegen. Viele Spiele sind nur zwei, drei Jahre auf dem Markt.

Von was für Einnahmen reden wir in Ihrem Fall?
Ich würde sagen, so Kleinunternehmer-Grenze. Ich hoffe, dass es weitergeht. Aber die Realität ist auch: In Deutschland können vielleicht 20 Leute allein vom Spieleerfinden leben.

Viele Musiker haben sich von ihren Labels verabschiedet und setzen voll auf Selbstvermarktung im Internet. Bei Spielen dominieren trotz einiger Crowdfunding-Projekte noch immer die Verlage. Warum?
Ich arbeite gerne mit denen. Die machen all das, um das ich mich nicht kümmern will.

Spielregeln ausformulieren?
Ha, darum komme ich nicht herum. Auch wenn die endgültige Fassung meist die Redakteure schreiben, weil jeder Verlag da seine eigenen Vorstellungen hat. Ich meine vor allem Vertrieb, die Herstellung, die ganzen Verhandlungen mit Grafikern, Illustratoren, Lizenznehmern. Der Spielemarkt ist inzwischen recht international.

Strategie ist alles: bei der "Risiko"-Studentenmeisterschaft in Leipzig.
Strategie ist alles: bei der "Risiko"-Studentenmeisterschaft in Leipzig.

© picture alliance / dpa

In Amerika hat sich der Begriff „Euro Games“ oder „German Games“ für komplexe Strategiespiele etabliert. Seit wann gibt es den?
Wahrscheinlich hat es mit „Siedler von Catan“ angefangen. Das war 1995 in seiner Komplexität wegweisend und was komplett anderes als der bunte „Ami-Trash“. Crowdfunding ist vor allem interessant für Spiele, die deutsche Verlage sich nicht trauen, rauszubringen.

Was trauen die sich denn nicht?
Zum Beispiel Fantasy-Spiele, bei denen es darum geht, Monster zu töten. Bei allem, was mit Gewalt zu tun hat, tut man sich hierzulande schwer. Die Kunden sollen sich drauf verlassen können, dass man das guten Gewissens den Enkeln schenken kann. Wenn man dann noch viele Miniaturen oder aufwendig gestaltete Spielsteine und Marker braucht, wird es ganz hart. Das erhöht den Preis und sprengt schnell die handelsüblichen Kartonformate. Es kommt vor, dass ein Verlag ein Spiel, das ihm eigentlich gefällt, ablehnt, weil es nicht in die Standard-Kartons passt.

Vor Kurzem fand in Essen wieder die größte Brettspielemesse der Welt statt. Warum sind eigentlich gerade die Deutschen so eine Spielenation?
Das ist schlicht über Jahrzehnte gewachsen. Andere Länder holen aber nun schnell auf. Dass hierzulande inzwischen mehr Erwachsene spielen, liegt meiner Meinung nach daran, dass viele Leute der Freizeit mehr Bedeutung beimessen. Man geht nicht mehr nur arbeiten und schlafen, damit man sich irgendwann mal ein Auto und ein Haus kaufen kann. Viele sagen heute, das ist meine Leidenschaft, dafür gebe ich auch gerne Geld aus. Manche kaufen sich jedes Jahr 200 neue Spiele und tüfteln sich da stundenlang rein. „Mensch ärgere dich nicht“ reizt die nicht mehr.

Erklärt das die wachsende Zahl der Neuerscheinungen, die man nicht nur in der Gruppe spielen kann, sondern ganz ohne Mitspieler?
Das liegt eher daran, dass es vielen Fans nicht mehr reicht, an zwei Abenden die Woche ihrem Hobby nachzugehen, wenn alle Zeit haben. In den Tagen dazwischen setzen sie sich dann allein hin. Von einem guten Spiel bekommt man halt nicht genug.

Von welchem bekommen Sie nicht genug?
Im Moment mag ich „Crazy Words“. Dabei legt man aus Buchstaben Wörter, die es nicht gibt und versucht die Begriffe der anderen Spieler zu erraten. Es kommen sehr lustige Wörter zustande, und es ist reizvoll, sich zu überlegen, wie die Mitspieler denken. Da hätte ich mir auch vorstellen können, dass es „Spiel des Jahres“ wird.

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