
© Arno Balzarini/KEYSTONE/dpa
Kulturerbe: „Wie vorgezogene Weihnachten“: Schweizer Jodel ist Welterbe
Von „herzigen Meitli“ bis Techno: Wie die Schweizer die Jahrhunderte alte Tradition des Jodelns weiterentwickeln und wie es demnächst schon in den Grundschulen tönen soll.
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Seit Jahrhunderten wird in der Schweiz gejodelt, jetzt ist die traditionelle Gesangsform als Kulturerbe der Menschheit anerkannt worden. Ein Ausschuss der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Unesco) hat dem Schweizer Antrag bei einer Sitzung in Neu-Delhi in Indien stattgegeben.
„Es ist wie vorgezogene Weihnachten“, sagt Nadja Räss, Jodlerin und Professorin an der Hochschule für Musik in Luzern, dem Schweizer Sender SRF. Sie unterrichtet das Jodeln dort als Studienfach, und sie war eigens mit Studentinnen und Studenten vor 05.00 Uhr morgens aufgestanden, um die Entscheidung in Neu-Delhi live zu verfolgen. „Das Jodeln dient als kraftvoller Ausdruck der Identität und einer Einheit stiftenden Kulturpraxis“, hieß es in dem Schweizer Antrag, den Räss mit vorbereitet hatte.
Dabei war auch Barbara Betschart, Leiterin des Zentrums für Appenzeller und Toggenburger Volksmusik, des Roothuus Gonten. „Es gilt unter anderem, der Meinung entgegenzuwirken, dass das Jodeln eine altbackene Sache ist“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur vor der Entscheidung. Es gibt zwar viele Jodlergruppen, die traditionell in Tracht die alten Melodien singen, aber andere Musiker jodeln längst auch in Verbindung mit Jazz, Techno, Rock und Rap. Sie nennen sich „Wildjodler“.
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Der Urgesang der Berge
Was ist Jodeln überhaupt? Es ist ein Gesang ohne Text und Worte, bei dem zwischen tiefer Brust- und hoher Falsettstimme gewechselt wird. Er soll auf Hirten zurückgehen, die sich einst zwischen weit entfernten Bergweiden so verständigt haben sollen.
Schon im 4. Jahrhundert erwähnten christlichen Mönche das Jodeln, die damals despektierlich über „schreckliche Jubelschreie der Hirten“ schrieben, wie Lea Hagmann, Musikethnologin an der Universität Bern, dem SRF sagt. Es zeige, wie lange es das Jodeln schon als „emotionalen Ausdruck“ gebe.
„Jodeln, das ist der Urgesang der Berge“, sagt Musikerin Sonja Morgenegg. „Ich spüre beim Jodeln eine unglaubliche Verbundenheit mit der Heimat, den Schweizer Bergen.“ Sie zählt sich zu den Wildjodlerinnen, weil sie gestützt auf die Tradition auch gerne aus dem Stand neue Jodelmelodien erfindet.
Bei Texten alter Jodellieder, bei denen zwischen den Jodeleinlagen Strophen gesungen werden, gehe es oft um heile Welt mit grünen Bergwiesen und „herzigen Meitli“ (Mädchen), sagt Hagmann. Jüngere Musiker wollten auch starke Frauen ins Zentrum stellen. Beide Formen hätten ihren Platz, sagt Betschart.
Das jodelnde Klassenzimmer
Mit einem Eintrag in die Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes, wie es korrekt heißt, verpflichten sich Regierungen zur Bewahrung und Förderung einer eingetragenen Tradition. Das schweizerische Bundesamt für Kultur in Bern will etwa verstärkt den Nachwuchs und die Ausbildung fördern. Zudem soll das Jodeln systematisch dokumentiert und weiter erforscht werden.
Es gibt bereits das Projekt „Das jodelnde Klassenzimmer“, sagt Räss. Einige Grundschulen hätten begonnen, diese Musik in den Unterricht zu integrieren. „Es ist cool, wenn sich alle Menschen, auch jene mit Migrationshintergrund, für das Jodeln begeistern und mitmachen“, sagt Betschart.
Warum der bayerische oder österreichische Jodel nicht dabei ist
Es geht bei dem Unesco-Eintrag nicht um die Technik des Jodelns, wie Musikethnologin Hagmann sagt. Die gibt es nicht nur im Alpenraum, sondern in zahlreichen anderen Ländern. Tatsächlich sind schon Jodelgesänge aus Simbabwe in Südafrika und Georgien auf der Unesco-Liste. Vielmehr bewerbe sich ein Land bei der Unesco, um seine ganz eigene Geschichte, sein Repertoire und die Vielfalt der Tradition würdigen zu lassen. Auch Deutschland und Österreich könnten ihre Jodeltradition anmelden.
Anträge aus Deutschland auf einen Eintrag in die Unesco-Liste wurden in Neu-Delhi nicht behandelt. Auf der Liste stehen aber bereits mehr als 130 deutsche Traditionen, darunter die Apfelweinkultur, das Brieftaubenwesen, die Falknerei und das Hebammenwesen. Der Unesco-Ausschuss nahm in der Sitzung, die bis zum 13. Dezember dauert, unter anderem bereits die italienische Küche, die Schwimmbad-Kultur auf Island und das vom Gastgeberland Indien nominierte hinduistische Lichterfest Diwali (Dipavali) auf.
© dpa-infocom, dpa:251211-930-408426/2
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