Arte-Doku zu Neuschwanstein: Romantische Parallelwelt

Bajuwarischer Kitsch oder Weltkulturerbe? Schrullige Märchenkulisse oder Denkmal für einen missverstandenen Monarchen? In seiner Dokumentation „Neuschwanstein – Ludwigs Traum, Ludwigs Tragödie“ (Arte, 23.12., 20.15 Uhr) beleuchtet Oliver Halmburger die unversöhnlichen Widersprüche eines monumentalen Bauwerks, das mit dem Schicksal des labilen König Ludwig II. von Bayern eng verwoben ist.

Geplant hatte dieser eigentlich ein prunkvolles Opernhaus, mitten in München. Als Huldigung für den Komponisten Richard Wagner. Doch die Stadt lehnte das Projekt ab. Die Zeiten hatten sich geändert. Souverän wie noch der Sonnenkönig Ludwig XIV. war das bayerische Oberhaupt längst nicht mehr. Nur beim Bau der Schlösser konnte ihm keiner reinreden. Also plante er ein Refugium für sich und Wagner. Konzipiert wie eine Theaterkulisse aus Lohengrin.

Auf der Baustelle von Neuschwanstein gerierte Ludwig sich als jener absolutistische Herrscher, der er im realen Leben nie war. Verstiegene Sonderwünsche trieben Architekten in den Wahn. Im April 1875 verübte gar der Bauleiter Heinrich Herold Selbstmord. Und wozu das alles?

1,5 Millionen Besucher bestaunen alljährlich diese unnachahmliche Mischung aus historisierender Architektur und moderner Bautechnik, mit Stahlträgern, Telefonanlage und Zentralheizung. Diese Gegensätze spiegelt auch die Machart der Dokumentation. Die fein ziselierte Würdigung des singulären Projekts durch die Historikerin Katrin Bäumler steht Christine Taubers ätzender Kritik am Märchenschloss – formuliert im sauertöpfischen Sozilogendeutsch – unversöhnlich gegenüber. Über Neuschwanstein, so das Fazit der mit Wagnerklängen unterlegten Reise durch eine romantische Parallelwelt, gibt es keine einhellige Einschätzung.