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Wieder was ausgefressen. Die Schülerinnen und Schüler des Sportinternats wollen sich beim Lehrerkollegium entschuldigen.

© ZDF und Susanne Bernhard

Neues ZDF-Format "Das Berginternat": Biken, Liken, Leiden

Das neue ZDF-Format „Gipfelstürmer – Das Berginternat“ will Jugend-TV sein, ist aber altes Fernsehen.

Stand:

In Hannis und Nannis Internat „Lindenhof“ kann man lernen, dass Petzen verboten ist, auf Harry Potters „Hogwarts“ die Schönheit des Zauberns. Was aber wird Nele Seitz (Maya Haddad) begegnen, der studierten Sozialpädagogin, die dem Ruf ihrer Uni-Mentorin Dr. Engel, inzwischen als Schulleiterin in die Praxis aufgebrochen (Katja Weitzenböck), folgt? Wofür steht das „Sportinternat Schloss Bergbrunn“, eine Medienerfindung wie „Lindenhof“ und „Hogwarts“? Für die Hoffnung, dass Krimi nicht zum einzigen Betätigungsfeld des fiktionalen Spieltriebs im Fernsehen wird. Es ist ein Experiment, neue Märchen braucht das Land.

Fährt da nicht Nele, vom Schicksal hinausgetrieben – der Vater ist gerade gestorben, der Freund in die Beziehungspause geschickt –, zu den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen? Apple-Bitch und Glassarg nicht fürchtend. Ohne Aussicht auf einen Prinzen, aber das Diplom über das richtige Zusammenleben in der Tasche. Schneewittchen war unstudiert. Was soll Nele passieren?

Außer Rand und Band

Aber dann geschehen Dinge, die Schneewittchen nicht passiert sind. Die Zwerge zu Bergbrunn scheinen außer Rand und Band. Die schönsten Berge herab jagen wilde Gesellen mit dem Mountainbike, dieser Kampfansage an allen ökologischen Sinn des Radfahrens, und scheuen gefahrenberauscht jede Rücksicht auf mitmenschliche Verkehrsteilnehmer oder die empfindliche Natur.

Und auch das noch: Fast alle Zöglinge des Sportinternats blicken wie einst die narzisstische Märchenstiefmutter in den Spiegel, genauer ins Smartphone, und fragen: Wer ist der/die Coolste im ganzen Land? Wo stehe ich im Like-Ranking?

Da öffnet sich eine Tür zu einer tiefgründigen Seelenerkundung modernen Jungseins zwischen Einsamkeit und Sinnsuche, die die Macher viel zu früh wieder schließen oder schließen müssen. Es könnte sie die Angst vor der eigenen Courage gepackt haben, vom Üblichen abzuweichen. Wie immer: Die Ansätze zu neuem Fernseherzählen über internatsmäßige Erzeugung von Hochleistung werden in den Glassarg gelegt. Kein Prinz, kein Sturz, kein Ausspucken des Alten erweckt neues Fernsehen.

Zwei Eröffnungsdramolette – neben „Die Neue“ noch „Flieg, Liv, flieg“ –, zwei aus allen Poren auf Fortsetzung hoffende Produktionen, geschrieben von Anna Tebbe, Sven Hasselberg, Kerstin Pistorius, inszeniert von Jakob Schäuffelen, zeigen viel guten Willen, aber es fehlen einfach die Mittel: Spitzenschauspieler, suggestive Bilder (statt nur Postkartenidyllen) und überhaupt eingehende Beschreibungen des Internatslebens, seiner Exzesse, seiner Verklemmungen, seines unbewussten Widerstandes gegen den Leistungsdrill.

Es fehlt auch jegliche Konzentration auf einen Ort. Die Heldin Nele kommt nicht im Schloss unter, sondern in einem nahe gelegenen Gasthof, über den wir mehr erfahren, als uns interessiert: dass der Wirt (Felix von Manteuffel) als Halbbruder der Internatsleiterin Engel (Weitzenböck) den Schlossbesitz streitig macht, Grenzsteine verrückt und sich seine Frau (Johanna Bittenbinder) von dem alten Streithammel emanzipiert – Episoden, die um Himmels willen zu Bürgermeister Wöller und Schwester Hanna nach Kaltenthal gehören mögen, aber nicht in ein Projekt zur Verjüngung des Publikums.

In der pädagogischen Wüste

Das sollte sich voll und ganz auf die Probleme der Kaderschmiede konzentrieren, die als pädagogische Wüste erscheint, eine nur in manchen Ansätzen gelungene Arbeit. Einige Lehrer fühlen sich kaum reifer als ihre Schüler und können sich nicht abgrenzen. Die junge Referendarin Isabelle (Lara Waldow) versiebt ihre Lehrprobe, weil sie sich mit der Zuneigung zum Starschüler und Oberbiker Konstantin (Paul Triller) nicht von Schülern abgrenzen kann. Die Leiterin bejammert mehr den drohenden Verlust eines „Premium-Siegels des Kultusministeriums“ für die Produktion von Leistungssportlern, als dass sie ein Auge für die Seelennöte ihrer Schutzbefohlenen hat.

Kein Wunder, dass sich die angehenden Sportler in eine Regression zurückgezogen haben. Die Leistungen im realen Sport werden durch Sportdarstellung abgelöst. Unter Realitätsverlust leidet auch das Liebesleben bei den Lebenszwergen. Angst vor Entblätterung im internen Internatsnetz macht Liebeswillige ängstlich und führt zu Racheaktionen.

Wenn dieses ZDF-Experiment den Eintritt ins gelobte Land einer Fortsetzung finden sollte, dann müssten die Verantwortlichen ihm die Freiheit geben, die entdeckten Nöte einer eingeklemmten Generation auszubreiten und die Fesselung durch zu viel Rücksicht auf altfränkische Klischees ablegen dürfen. Der Weg zu den vor sich selbst fliehenden sieben Zwergen hinter den sieben Sorgenbergen ist nicht der übliche Mittelweg. Das Publikum geht auch auf schwierigeren Pfaden mit.

„Gipfelstürmer – Das Berginternat: Die Neue“, ZDF, Donnerstag, 20 Uhr 15

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