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Soldat im Sechstagekrieg, Gegner des Siedlungsbaus, Gesicht der Friedensbewegung: Amos Oz.

© Dan Hadani Archive/Arte

Arte-Film „Amos Oz: Das vierte Fenster“: Chronist eines zerrissenen Landes

Vom Soldaten im Sechstagekrieg zum Mitglied der Friedensbewegung: Arte porträtiert den israelischen Schriftsteller Amos Oz.

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2017, ein Jahr vor seinem Tod, wandte sich Amos Oz an eine nahestehende Freundin, die Literaturprofessorin Nurith Gertz. „Wenn ich vor dir sterbe“, sagte er ihr am Telefon, „kannst du bitte eine kurze Biografie über mich schreiben? Verfasse kein Loblied. Schreib nicht nur gute Dinge. Schreib auch, er ist ein verwöhnter Mensch. Er hört sich gerne reden. Dieser Mensch ist eine wandelnde Maskerade.“

Die Aufzeichnung dieses Telefonats, eine Art Beichte, bildet den Auftakt zu diesem filmischen Porträt. Der israelische Regisseur Yair Qedar erfüllt so die Bitte des 2018 an Krebs verstorbenen Autors. Qedar, ein schwuler Friedensaktivist, singt nicht nur ein Loblied. Sein Film wirft einen Blick zurück auf das zerrissene Leben eines Schriftstellers, der als Chronist eines zerrissenen Landes berühmt würde.

[„Amos Oz: Das vierte Fenster“, Arte , Mittwoch, 22 Uhr]

In einem frühen Archivfilm erklärt Amos Oz, ein Mensch würde nur dann zum Schriftsteller, wenn er eine tiefe Verletzung erlebte. Seine niemals heilende Wunde ist der Suizid der Mutter. Damals war er zwölf. Er durfte nicht einmal zu ihrer Beerdigung.

Dieses Erlebnis forcierte den Bruch mit seinem Vater. Er legte dessen Namen Klausner ab und nannte sich Oz, was auf hebräisch so viel bedeutet wie Kraft. Aus Trotz gegen den Vater, einem Intellektuellen, ging er als 15-Jähriger in ein Kibbuz und fuhr Traktor.

Die Widersprüche in diesem kommunistischen Utopia inspirierten ihn. Mit seinen Geschichten, die er nachts auf dem Klo schrieb, war der junge Autor rasch erfolgreich. Er trat vor das Kibbuz-Komitee und erklärte: „Ich bitte um einen Tag pro Woche zum Schreiben.“ Diese individualistischen Anwandlungen wies man empört zurück: „Was machen wir, wenn jeder daherkommt und sagt, er sei Künstler?“

Den Ertrag des Kibbuz steigern

Als Ende der 60er Jahre sein Roman „Mein Michael“ in der „New York Times“ als „israelische Madame Bovary“ gefeiert wurde – und mit seinem Aufstieg zum Bestsellerautor die Tantiemen üppig zu sprudeln begannen –, schwenkte die Stimmung um. Im Film erzählt Oz, wie der Kibbuz-Schatzmeister vorschlug, ihm ältere Männer aus der Kommune, die keine körperliche Arbeit mehr leisten konnten, zur Seite zu stellen. Der vergesellschaftete Autor bekam den Auftrag, „den Ertrag zu steigern“. Zu dieser Widersprüchlichkeit gesellt sich die Haltung zum Sechs-Tage-Krieg, an dem er als Soldat teilnahm. Als leidenschaftlicher Befürworter einer Zwei-Staaten-Lösung geriet Oz in Israel auch in die Kritik.

Er avancierte zu einem „säkularen Propheten“, der jüdische Identität nicht in der Religion, sondern in der Buchkultur sah: „Der Krieg wird erst gerecht werden, wenn die israelische Besatzung endet“. So lautete die Überschrift über einem seiner zahlreichen Zeitungsartikel.

Diese Ambition, eine moralisch integere Leitfigur zu verkörpern, schürte den Konflikt mit seiner Tätigkeit als Schriftsteller. Ein Autor muss auch die dunklen Seiten menschlicher Existenz ausleuchten. Zu diesen Schattenseiten gehört das Verhältnis zu seiner Tochter Galia. In einem kürzlich erschienenem Buch beschuldigt sie ihren Vater schwer. Der Schriftsteller, immerhin Träger des Friedenspreis des deutschen Buchhandels, habe sie sadistisch misshandelt.

Hinter dem Weltruhm eines Schriftstellers, bei dem man zeitlebens die Verleihung des Nobelpreises erwartet hatte, lässt die Dokumentation ein anderes Bild aufscheinen. Die Biographie eines gebrochenen Menschen spiegelt der Film ineinander mit jüngeren Geschichte Israels, vom Osloer Friedensabkommen bis zur Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin.

Manfred Riepe

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