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Arte-Serie über Giftanschlag in Salisbury: Das Biest aus dem Osten
Eine britische Miniserie rekonstruiert den Giftanschlag von Salisbury. Am Ende wird Tracy Daszkiewicz als Heldin gefeiert.
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Auf der Parkbank einer südenglischen Kleinstadt sacken ein älterer Herr und eine junge Frau ohnmächtig zusammen. Ein Junkie-Pärchen mit Überdosis? Die Vermutung der herbeigerufenen Rettungskräfte erweist sich als falsch. Wie sich herausstellt, handelt es sich bei dem Mann um einen übergelaufenen Agenten des sowjetischen Militärnachrichtendienstes. Seit einigen Jahren lebte er im beschaulichen Salisbury.
Die BBC-Miniserie „Der Giftanschlag von Salisbury“ thematisiert jenen Giftanschlag aus dem Jahr 2018, der weltweit für Empörung sorgte. Mit einem Nervenkampfstoff sollten der Ex-Agent Sergei Skripal und seine Tochter beseitigt werden. Dabei nahmen die Attentäter den Tod unzähliger Menschenleben billigend in Kauf.
Der russische Verräter spielt in dieser Geschichte daher nur eine Nebenrolle. Mit dokumentarischer Präzision führt der Vierteiler vor Augen, was in Salisbury geschah. Genauer: was dort hätte geschehen können.
Die eigentliche Hauptrolle in dieser Serie spielt jenes Gift, das ein Massensterben hätte bewirken können. Nowitschok, so der Name des Nervenkampfstoffes, ist ein russisches Wort. Es bedeutet „Neuankömmling“. Die UdSSR entwickelte diese perfekte Waffe in den 1970ern. Sie ist unsichtbar und geschmacklos. Über die Haut gelangt sie in den Körper. Ein Teelöffel dieses Gifts, das über 50 Jahre hinweg wirksam bleibt, kann Tausende Menschen umbringen.
Das Ausmaß dieser drohenden Katastrophe vermag sich in Salisbury allein Tracy Daszkiewicz (Anne-Marie Duff) vorzustellen, Leiterin des lokalen Gesundheitsamtes. Gegen die Trägheit des Regierungsapparates, der den Vorfall herunterspielen will, vollzieht sie die mannigfaltigen Verbreitungswege des Kampfstoffes nach.
Ist die Verhältnismäßigkeit der Mittel gegeben?
Mit militärischer Logistik lässt sie Häuser dekontaminieren und Fahrzeuge beschlagnahmen. Ihre drakonischen Maßnahmen, die unter anderem zum Erliegen vieler Geschäftszweige führen, stoßen auf Widerstand. Man sieht ja kaum Opfer des Nervengiftes. Ist die Verhältnismäßigkeit der Mittel gegeben?
Was der Kampfstoff anrichten kann, zeigt die Geschichte des Polizisten Nick Bailey (Rafe Spall), der im Einsatz vergiftet wird und nur knapp dem Tod entgeht. Für sein Haus, das dank Nowitschok unbewohnbar wurde, erhält er keine Entschädigung.
Dank der präzisen Beobachtung solcher Konflikte nimmt die Serie vorweg, was knapp zwei Jahre später mit der Corona-Pandemie zur traurigen Alltäglichkeit werden sollte. Gewiss, Nowitschok ist nicht ansteckend wie das Virus. Doch die Verfolgung der Kontaminierungswege – bei der sogar kranke Schwäne als mutmaßliche Spreader unter Verdacht geraten – erinnert an die Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19.
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Am Ende wird Tracy Daszkiewicz als Heldin gefeiert. Dank ihrer unpopulären Maßnahmen forderte „das Biest aus dem Osten“, wie Nowitschok einmal genannt wird, „nur“ einen Todesfall. Im Nachbarort Amesbury fischt ein Arbeitsloser einen Parfümflakon aus dem Müll – nicht ahnend, dass die Skripal-Attentäter hier offenbar ihren überschüssigen Vorrat an Nowitschok entsorgt hatten. Das vermeintlich kostbare Geschenk bringt seiner Freundin den Tod („Der Giftanschlag von Salisbury“, Donnerstag, Arte, 21 Uhr 05).
Die Katastrophen-Serie, unaufgeregt inszeniert vom britischen Fernsehroutinier Saul Dibb, bleibt dicht an der Realität. Statt Panikmache und dramatischer Laborszenen zeigt der Vierteiler das Leben der lokalen Bevölkerung, die unter der Krise am meisten zu leiden hat.
Am Ende treten neben der authentischen Tracy Daszkiewicz jene Helfer aus Salisbury vor die Kamera, die dazu beitrugen, die Katastrophe zu verhindern. Diese Bilder führen nochmals eindringlich vor Augen, dass die Serie keine fiktiven Ereignisse schildert.
Manfred Riepe
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