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Interview: „Der ‚Focus‘ muss neu erfunden werden“

Zum 18. Geburtstag des Magazins: Chefredakteur Wolfram Weimer über „Denkwerte“, Traumata und Vorgänger Helmut Markwort.

Herr Weimer, mal ehrlich, haben Sie den „Focus“ überhaupt wahrgenommen, als Sie Chef des Salonmagazins „Cicero“ waren?

Aber natürlich. Ich habe ihn gelesen, wenn ich auch kein Heavy-User war. Mir ging es mit dem „Focus“ wahrscheinlich wie vielen. Ich war anfangs fasziniert von dem Magazin, das in den Neunzigern den Zeitgeist getroffen hat, das schnell und modern war, das das Internet in mancher Hinsicht vorweggenommen hat. Irgendwann aber hat das Internet die Medienwelt revolutioniert. Heute muss der „Focus“ neu erfunden werden.

Wo wurde geschlampt?

Geschlampt wurde gar nicht. Das Internet setzt Magazine wie den „Focus“, „Time“, den „Spiegel“ oder „Newsweek“ einfach unter Druck. Nachrichten gibt es heute an jeder Online-Ecke, deshalb müssen wir vom Nachrichtenmagazin zu einem Nachrichten- und Orientierungsmagazin werden.

Wofür steht der „Focus“ an seinem 18. Geburtstag ?

Für leserorientierten Qualitätsjournalismus. Unsere Leser sind der Zukunft zugewandte, konstruktive und weltoffene Menschen. Sie sind verliebt ins Gelingen. Für sie spricht der „Focus“ eine klare Sprache, ist jünger als der „Spiegel“, lebensfroher und fortschrittsfreundlicher. Wir haben einen bürgerlichen Zugriff auf Themen, wir sind nicht hämisch oder herabwürdigend – das hat mir an dem Heft schon immer gefallen.

Stefan Raab wurde in einem Porträt als unnahbarer Karrierist gezeichnet, zudem ließ sich der Text über die Beschaffenheit seines „extraglatten“ Privatwegs aus. Das klingt hämisch.

Die Geschichte über Stefan Raab haben wir gut recherchiert: Wer ist dieser Mann wirklich, der einerseits davon lebt, das Privatleben anderer Menschen zu decouvrieren und darüber seine Witze zu machen, andererseits sein Privatleben extrem abschottet. Der Tonfall der Geschichte war vor allem informativ, nicht hämisch.

Raab setzte eine Gegendarstellung in 20 Punkten durch, unter anderem wegen Fehlinformationen über seine Einnahmequellen und seine Vergangenheit im Internat.

Stefan Raab ist sehr empfindlich, was seine Privatsphäre angeht. Die Gegendarstellung betraf Grotesken wie seine Vorlieben bei Mettwurstbrötchen.

Es gibt in Ihrem Heft deutlich mehr kontroverse Geschichten, Ärztelisten dagegen weniger. Gehört Nutzwert-Journalismus beim „Focus“ der Vergangenheit an?

Die Akzente verschieben sich. Neben Nutzwert muss es auch Denkwert geben, vor allem aber mehr aktuelle, journalistische Geschichten. Aber die „news to use“ sind nicht tot. Gerade hat der Dioxinskandal gezeigt, dass es viele ganz konkrete Informationen gibt, die der „Focus“ für seine Leser nutzbar machen muss. Nur: Der Denkwert wird im neuen „Focus“ sichtbarer.

Das hat Helmut Markwort zugelassen?

Hat er, obwohl die Veränderungen bei „Focus“ grundlegend sind – und kein leichter Gang für alle Beteiligten. Wir mussten einen großen Personalabbau ertragen, der traumatisierend auf jede Redaktion wirkt, wir mussten in sehr schwierigen Marktverhältnissen agieren, und dann kam es zu einem Generationenwechsel innerhalb der Redaktion ...

... angefangen bei der Chefredaktion. Zwischen Markwort und Ihnen liegen beinahe 30 Jahre.

Markwort ist der Abschied schwergefallen – er ist der Gründer des Blattes, er hängt an seinem „Focus“, was ich nachvollziehen kann. Ich habe mit „Cicero“ selbst ein Blatt gegründet und zum Erfolg geführt – das ist nicht irgendein Job, das ist ein Stück Lebensidentität. Aber ich denke, wir haben ein gutes Arbeitsverhältnis gefunden.

Wie lange haben Sie danach gesucht?

Anders als beim „Spiegel“, wo der Abgang von Stefan Aust von Eklats begleitet war, haben wir den Übergang gütlich hinbekommen – auch weil wir uns ein Jahr Zeit gelassen haben, und weil wir wechselseitig Respekt vor der Lebensleistung des anderen haben.

2010 wurde in Deutschland sehr kontrovers diskutiert. Haben Sie die Debatten mitbestimmt, die für Sie relevant waren?

Noch nicht immer, aber immer öfter. In der Konservativismusdebatte im Sommer waren wir vorne dran, auch im Stuttgart-21-Streit sind wir sehr wahrgenommen worden. Und in der Integrationsdebatte, in der wir viele prominente Autorenstücke und auf dem Höhepunkt das viel zitierte Interview mit Thilo Sarrazin gedruckt haben, konnten wir richtig punkten.

Sie haben den Bundespräsidenten, nachdem er den Islam als Teil Deutschlands bezeichnet hatte, als Muslim-Montage auf den Titel gesetzt.

Ein Titel, der für Furore gesorgt und sich gut verkauft hat.

Hat er nicht eine vergiftete Atmosphäre noch ein Stück weit mehr vergiftet?

Nein, überhaupt nicht. Debatten sind doch kein Gift, sie sind gelebte Demokratie. Deutschland hat zwar heftig debattiert, aber doch vollkommen zivilisiert. Ich kann mich nicht an brennende Barrikaden oder gewaltsame Ausschreitungen erinnern. Der Wulff-Titel war eine Art Signaturtitel für den „Focus“ – Mut zur Positionierung, hinein in die großen, relevanten Debatten mit einem Akzent Frechheit, Kühnheit oder auch Humor. Natürlich haben wir uns in der Woche Gedanken gemacht: Ist es gut, mit einer Karikatur über den obersten Repräsentanten des Staates aufzumachen? Aber wenn das Journalismus nicht mehr darf, dann hätten wir arme journalistische Verhältnisse.

Es geht hier ja nicht um die Würde des Bundespräsidenten, sondern um die aufgeheizte Stimmung in der Bevölkerung.

Der Titel ist so ausführlich besprochen worden, weil er in einem Bild gezeigt hat, was die Fehler des Bundespräsidenten waren. In der Debatte hat er falsch gehandelt, weil er Sarrazin ohne Not zu schnell verteufelt und ihn mit um seinen Job gebracht hat – und danach hat er falsch gehandelt, weil er in der kulturellen Selbstdefinition Deutschlands den richtigen Ton nicht fand. Der Titel brachte das auf den Punkt und wurde in allen Tageszeitungen besprochen. Man redete wieder über den „Focus“.

Wie wird der im Gespräch bleiben?

Durch überraschenden Relevanzjournalismus. „Focus“ hat wieder Tritt gefasst. Nach dem Einbruch bis 2009, dem schwierigen Umbruch 2010, sieht es nun für 2011 nach einem publizistischen Aufbruch aus. Und zwar mit einer prononcierten Stimme. Stellen Sie sich die deutsche Presselandschaft als einen vielstimmigen Chor der Meinungsbildung vor – in der Vergangenheit hörte man zuweilen aber nur eine Melodie. Mal war sie konservativ, mal eher links, mal marktliberal. Der Chor war mir häufig zu konform in den Meinungen. Und darum liegt ein Stück Chance für den „Focus“ auch in der eigenen Haltung – genau diese Chance möchte ich ergreifen.

Das Gespräch führte Tim Klimeš.

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