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Erich von Stroheims Debütfilm: Der Mann, den sie mit Vergnügen hassen werden
Am Ende doch große Gefühle: Arte bringt den restaurierten Debütfilm „Blinde Ehemänner“ von Erich von Stroheim.
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Gleich die ersten Bilder heben suggestiv hervor, worum es geht. Versunken in ein Buch sitzt der amerikanische Arzt Dr. Armstrong auf der Kutsche. Er will nur eines: sich in der majestätischen Berglandschaft der Dolomiten von seinem anstrengenden Job erholen. Selbst die Frage seiner Frau, wieviel Uhr es sei, dringt nicht an sein Ohr.
Umso aufmerksamer ist Erich von Steuben, ein österreichischer Kavallerieoffizier. Der herausgeputzte Schürzenjäger hat bereits die eleganten Seidenstrümpfe der amerikanischen Lady gemustert. Er ist ein Süßholz-Raspler, wie er im Buche steht. Schon die verstohlenen Blicke, die zwischen beiden hin und herfliegen, erzählen Geschichten („Blinde Ehemänner“, Arte, Montag, 0 Uhr 40).
Die Bebilderung dieser unterschwelligen Leidenschaft ist Erich von Stroheims Spezialität. Der Österreicher, 1909 in die USA emigriert, arbeitete sich bei D.W. Griffith vom Statisten zum profilierten Darsteller hoch. 1919 erhielt er die Möglichkeit, sein erstes eigenes Projekt zu realisieren.
Der Stummfilm „Blinde Ehemänner“ („Blind Husbands“), zu dem er auch das Buch schrieb und die Hauptrolle übernahm, zeigt brennglasartig jene Qualitäten, dank denen seine folgenden Werke „Foolish Wives“ und „Greed“ zu den Meilensteinen der Kinogeschichte zählen.
Von Anfang an erweist der Regisseur sich als akribischer Beobachter. Eine überbordende Fülle kleinster Details – einmal ist eine Werbetafel mit dem auf deutsch zu lesenden Slogan „Touristen essen Gala Peter“ zu sehen – lässt die auf einer Berghütte angesiedelte Dreiecksgeschichte lebendig werden.
Angriff auf die puritanischen amerikanischen Werte
Der Film visualisiert die im Stillen rumorende Sehnsucht einer scheinbar braven Gattin nach einem Ehebruch. Der kommt nicht zustande. Dennoch geht das moralische Dilemma der notorisch ignorierten Ehefrau unter die Haut. Eine Traumszene zeigt, wie der schneidige Offizier im Unbewussten spukt.
Die schillernde Leuchtkraft dieses Verführers, den Erich von Stroheim als Operetten-Offizier mit Monokel bis zur Karikatur überzieht, überzeugt in jeder Geste. Der ersehnte Seitensprung der Frau geht in Erfüllung. Der Film ist eindeutig zweideutig. Diese prickelnde Phantasie wurde seinerzeit als Angriff auf die puritanischen amerikanischen Werte verstanden.
Von Stroheim bebildert diese Geschichte im Genre des Bergfilms. Emotionen werden als Action dargestellt. Den dramatischen Showdown inszeniert er als mörderische Kletterpartie. Auf einem Schwindel erregenden Gipfel werden der Arzt und sein Nebenbuhler mit tiefsten Gefühlen konfrontiert. Zwischen diesen erhabenen Naturgewalten und der inneren Aufruhr stellt der Film eine gelungene Balance her. „Blinde Ehemänner“ zeigt Emotionen in Großaufnahme.
Gerade die cineastische Urgewalt seiner meist überlangen Filme wurde für den Regisseur zum Verhängnis. „Blinde Ehemänner“ war zwar beim Erscheinen ein finanzieller Erfolg. Dennoch kürzten die Produzenten den Film. Die von Arte ausgestrahlte Version kommt der Premierenfassung von 1919 nahe.
Nach Forschungsstand fehlen nur wenige Minuten, die verschollen sind. Das verwendete Filmmaterial des Österreichischen Filmmuseums wurde in 4K Auflösung digitalisiert. Im Auftrag von Arte/ZDF komponierte der Komponist, Medienkünstler und Performer Andreas Eduardo Frank eine neue Filmmusik. Eine beeindruckende Wiederbegegnung mit einem vergessenen Klassiker.
Manfred Riepe
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