Medien: „Ein seelischer Stunt“
Das ZDF dreht den Untergang der „Wilhelm Gustloff“. Ein Besuch im Hafen
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Minus 18 Grad sind es an diesem Donnerstag nicht, aber der Sturm und der Kunstschnee vermitteln im Stralsunder Hafen ein bisschen von der eisigen Atmosphäre vom Januar 1945. Eiszapfen hängen von den Häuserfassaden herab, bewaffnete Wachposten in Wehrmachtsuniform beäugen die Flüchtlingsmasse. Zitternde Frauen und Kinder, verletzte Soldaten strömen zu dem riesigen Schiff in der Ostsee. Am Donnerstagnachmittag drehte das ZDF in Stralsund Szenen für einen Zweiteiler über die größte Schiffskatastrophe aller Zeiten, den Untergang des Flüchtlingsschiffes „Wilhelm Gustloff“ am 30. Januar 1945.
Zehn Millionen Euro kostet die Produktion „Hafen der Hoffnung – die letzte Fahrt der Wilhelm Gustloff“. Für die Ufa, die den Film im Auftrag des ZDF produziert, ist es der bisher aufwendigste Film. Allein der Etat für das Szenenbild beträgt 2,3 Millionen Euro. 500 Komparsen aus Stralsund, darunter viele Kinder, wirken mit. In der Schule wurden sie auf die Geschichte vorbereitet. Jetzt warten sie auf die nächste Klappe, blass geschminkt, manche blutverschmiert und in Lumpen.
Für Szenenbildner Lothar Holler ist Stralsund das perfekte Spielfeld. Viele Häfen in Europa hat er sich angeschaut, nur dieser Ort war geeignet: „Hier stimmt die Architektur und wir haben einen weiten Blick aufs Meer“, sagt er und zeigt stolz auf die 60 Meter lange Attrappe der „Wilhelm Gustloff“. 13 Tonnen Stahl haben Holler und sein Team dafür verbaut. Fünf Wochen lang haben 40 Mitarbeiter die Häuser am Hafen mit Holzfassaden verkleidet, damit alles so aussieht wie kurz vor Kriegsende in Gotenhafen.
Dort, im heutigen polnischen Gdynia, ist die „Gustloff“ am 30. Januar 1945 in See gestochen. Etwa 10 000 Flüchtlinge hatte sie an Bord. Sie flohen vor der Roten Armee. Das Schiff sollte sie nach Kiel bringen. Es kam anders: Nur wenige Stunden nach ihrem Auslaufen wurde die „Gustloff“ von einem sowjetischen U-Boot beschossen und versenkt. 9 000 Menschen starben.
Nach dem ARD-Film „Die Flucht“ ist „Hafen der Hoffnung“ die nächste große Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht und Vertreibung. „Vor zehn Jahren wäre das ein Tabuthema gewesen, da hätten wir den Film nicht drehen können“, sagt Produzent Norbert Sauer. Schon 2001 hatte die Ufa die Idee, den Stoff zu verfilmen. Dass es nun klappt, hat laut Sauer finanzielle Gründe.
Ein „Antikriegsfilm“ soll es werden. Er soll zeigen, wohin Krieg und Diktatur führen: zu menschlichem Leid. Und anders als der erste Gustloff-Film von 1959 will er zeigen, dass der Untergang hätte verhindert werden können. Darauf hat Heinz Schön lange gewartet. Wenn der 80-Jährige zum Drehort kommt, hört ihm die ganze Crew zu. Schön war Zahlmeisterassistent auf der Gustloff, kümmerte sich um die Heeresverwaltung. Er hat die Katastrophe überlebt. Er beriet Günter Grass bei seiner Novelle „Im Krebsgang“. Auch für Drehbuchautor Rainer Berg, Regisseur Joseph Vilsmaier und Hauptdarsteller Kai Wiesinger ist er der wichtigste Berater. „Hier entsteht etwas, das der Wirklichkeit sehr nahe- kommt“, urteilt Schön. Der Film erzählt die Geschichte anhand von Fahrkapitän Hellmut Kehding (Kai Wiesinger), der die Flüchtlinge sicher nach Kiel bringen soll. In Gotenhafen trifft er seine große Liebe Erika Galetschky (Valerie Niehaus) wieder, die als Marinehelferin in der Flüchtlingsaufnahme arbeitet. An Bord sind auch Lilly Simoneit (Dana Vávrová) und ihr Sohn Kalli (Willi Gerk), die hochschwangere Marianne (Anja Knauer) und Erikas Vorgesetzte Berta Burkat (Ulrike Kriener). Konflikte sind programmiert, als auch Hellmuts Bruder Harald Kehding (Heiner Lauterbach) aufs Schiff kommt und Erika eines geplanten Anschlages verdächtigt wird.
Valerie Niehaus beschreibt es als „seelischen Stunt“, das Leid der Flüchtlinge nachzuspielen. Die frostige Szenerie am Stralsunder Hafen macht es etwas leichter. Auch an den nächsten Drehorten – insgesamt sind es sieben – ist der Aufwand groß. Ab Freitag wird in einem Museums-U-Boot in Peenemünde gedreht. Dann zieht das Team nach Hamburg, um die Ankunft der Überlebenden zu filmen. Der Untergang wird auf Malta inszeniert. Im Studiobecken sollen nachgebaute Schiffskorridore geflutet werden. Das Drehteam ist sich sicher, dass der Film bis zum 30. Januar 2008 ausgestrahlt werden kann - genau 63 Jahre nach dem Untergang der „Wilhelm Gustloff“.
Carolin Jenkner[Strals]
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