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Ist vom Grundgesetz geschützt: die Pressefreiheit in Deutschland.

© dpa

Tag der Pressefreiheit: Einschränkungen der Pressefreiheit sind kein entferntes Phänomen mehr

Wenn gesellschaftliche Normen an Wert verlieren, gerät auch die Pressefreiheit ins Wanken. Vielen Menschen ist das jedoch kaum bewusst.

Der 3. Mai ist der Tag der Pressefreiheit. Groß gefeiert wird er in Deutschland nicht, zu selbstverständlich scheint hierzulande das, was mit der Freiheit der Meinung und der Medien verbunden wird. In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit weltweit steht Deutschland auf Platz 15, die USA finden sich auf Rang 45.

Also alles vorbei mit „Lügenpresse“ und Vergleichbarem? Nur weil die Plakate weniger werden, sind die entsprechenden Denk- und Fühlmuster keineswegs verschwunden. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer erklärte im Gespräch mit der Agentur KNA, dass „eine Erosion von basalen Normen – wie die Gleichwertigkeit aller Menschen, die in dieser Gesellschaft leben – erkennbar ist. Um so wichtiger ist es, Grenzen zu ziehen, weil die Würde von Menschen oder ganzen Gruppen antastbar wird.“ Das Gefährliche sei die Normalisierung von Angriffen auf die offene Gesellschaft und die liberale Demokratie.

Warum sprechen Menschen, die es besser wissen sollten, zum Beispiel von „Zensur“, wenn ein rassistischer Kommentar in einem Online-Forum gelöscht wird? „Zensur“ meint staatliche Kontrolle und restriktive Verfahren, mit denen totalitäre Regimes unliebsame Informationen und Meinungen unterdrücken. Meinungsfreiheit bedeutet eben, eine Gegenmeinung ertragen zu müssen.

Heitmeyer sieht solche Verzerrungen als entscheidend dafür an, um sich „im Deutungskampf zur aktuellen gesellschaftlichen Situation“ als Opfer inszenieren zu können. „Wenn man vermitteln kann, dass man Opfer von Zensur wird, dann kann ,Widerstand gegen das System’ quasi moralisch legitimiert und ausgerufen werden.“ Nicht zu übersehen ist auch, dass sich manche Mitmenschen gerne in der Opferrolle sehen, das wirkt wie ein wärmender Kokon.

Demokratischer Grundwert wankt

Hinzu kommt, dass die Einschränkung der Pressefreiheit, die in der Vergangenheit gerne als weit oder weiter entferntes Phänomen – Türkei oder Nordkorea – gesehen wurde, sich mittlerweile in EU-Europa ausbreitet. Hier hat die Pressefreiheit nach Erkenntnissen von „Reporter ohne Grenzen“ die stärksten Rückschläge weltweit erlitten. Dies betrifft Malta, Tschechien, die Slowakei und Serbien. Für US-Präsident Donald Trump scheint es eine Art Lieblingshobby zu sein, die Presse in Misskredit zu bringen.

Dass auf diese Weise ein zentraler demokratischer Grundwert ins Wanken geraten könnte, scheint vielen Menschen kaum bewusst zu sein. „Das sehen diese Personenkreise gar nicht so“, sagte Heitmeyer. Auch die Sozialen Medien spielten dafür eine Rolle: „Wir haben es nicht mehr mit einer Öffentlichkeit zu tun. Inzwischen gibt es viele, abgedichtete Öffentlichkeiten, in denen nicht mehr kontrovers diskutiert wird.“

Stichwort Filterblase: Wo eine homogene Meinung herrschen solle, gehe es schnell auch um eine homogene Gesellschaft, „nach dem Motto: ,Wir holen uns unser Land zurück’“, so der Soziologe. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen begründete diesen Zug zur Isolierung auf der Re:publica mit „Bestätigungssehnsucht der Nutzer durch andere“.

Rückenwind liefern „emotional ausbeutbare Signalereignisse“ wie die Kölner Silvesternacht 2015/16, die als entscheidender Wendepunkt in der Flüchtlingsdebatte gilt. „Reale Probleme werden generalisiert“, betonte Heitmeyer. „Die Emotionalisierung ist ein strategischer Faktor zur Verschiebung von Normalitätsstandards.“

Dies betreffe nicht nur extreme Gruppen . Auch im Freundeskreis und am Arbeitsplatz ändere sich oftmals der Ton. „Alles, was schleichend zur Normalität wird, lässt sich ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr problematisieren“, warnte Wilhelm Heitmeyer. „So werden gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und die Ideologie der Ungleichwertigkeit normal“ – und über mediale Kanäle verbreitet. (mit KNA)

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