Medien: Es ist eklig, es ist genial
„Boston Legal“, ein Muss für den Serien-Zuschauer
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Es geht so: Der Anwalt der Gegenseite, ein Mann mit kirchlichen Weihen und entsprechendem Outfit, hat die hübsche Kanzleiangestellte bei „Crane, Poole und Schmidt“ samt ihrem Kollegen in der Hand. Die beiden haben bei der Prozessvorbereitung übel getrickst, der Geistliche weiß davon, und wenn er plaudert, ist die Karriere des Pärchens im Eimer. Aber er ist zu einem Gespräch bereit, zunächst mit der jungen Frau unter vier Augen. „Ich werde die Angelegenheit vergessen …“, sagt er (sinngemäß). Sie strahlt. „… unter einer Bedingung: Sie gehen jetzt auf die Toilette, ziehen ihren Slip aus und überlassen ihn mir.“ Das Mädchen erstarrt. Dann schreit sie ihre Empörung heraus. Der Kleriker bleibt ganz ruhig. „Tun Sie, was ich gesagt habe, dann sind Sie aus der Sache raus. Sonst allerdings …“ Schnitt. In der nächsten Einstellung sieht man die Frau mit ihrem Kollegen. Sie berichtet von dem Ansinnen des gegnerischen Anwalts. Der Kollege ist begeistert. „Mach, was er sagt!“ Sie starrt ihn an. „Niemals!“ „Na los, ab ins Damenklo!“ Sie hebt die Arme und heult los: „Ich tra-ge kei-nen Slip!“ Und rauscht hinaus. Der Kollege starrt entgeistert auf ihren knappen Rock und auf ihr Hinterteil, das darunter wütend wogt.
Oder so: Denny Crane, Kanzleigründer und Seniorpartner (William Shatner) soll einen Abgeordneten verteidigen, der Spenden für seine Wahl erhalten hat, weil er versprach, das Waffengesetz zu verschärfen. Das hat er nun aber nicht getan. Die Stimmung ist auf Seiten des Klägers, alle finden, es werde in den USA zu viel geschossen. Nur Crane nicht. Der fühlt sich bei dieser Verteidigung wie der letzte Pionier. Am Verhandlungstag kommt er zu spät. Er bricht in den Raum mit einem riesigen Gewehr in der Faust. Der Richter brüllt: „Ich dulde keine Waffen in meinem Gerichtssaal!“ Crane schießt in die Decke.
Oder so: Shirley Schmidt, Seniorpartnerin (Candice Bergen), empfängt einen neuen Klienten, einen alten Studienfreund. „Ich kann es nicht glauben“, sagt sie, „deine Frau will tatsächlich eure Ehe annullieren lassen?“ „So ist es.“ „Aber ihr wart 27 Jahre verheiratet!“ „Ich habe sie betrogen …“ „??“ „Mit einer Kuh.“
Wie oder was ist das jetzt? Frivol, zotig, eklig, grobschlächtig, abartig, brutal, bizarr? Es ist „Boston Legal“, eine US-Anwaltsserie von Ally-Mc-Beal-Erfinder David E. Kelley, in der die Gesellschaftssatire gerade deshalb hinhaut, weil sie keine Grenzen des guten Geschmacks mehr kennt, weil sie über die Extreme hinausschießt und die Exzesse toppt. Dabei bleiben die Protagonisten in der Regel so ruhig wie der Geistliche in der geschilderten Episode; sie gehen ständig zu weit und tun dabei so, als sei alles selbstverständlich. Wenn sie nichts mehr zu sagen haben – und sie reden und plädieren alle miteinander so brillant und ideenreich, dass die Glotze brennt – dann agieren sie. Wie soll man dem Gericht erklären, dass es in Amerika nie zu einer Verschärfung der Waffengesetze kommen wird? Man schießt in die Decke.
„Boston Legal“ schafft es, ohne den geringsten Bruch, den Klamauk an der Grenze zum Absurden mit dem schmerzlichen Ernst der Gesellschaftskritik zu verbinden. Ein Soldat ist im Irak zu Tode gekommen. Seine Schwester verklagt den Staat, denn ihr Bruder sei für den Job des Bombenentschärfens nicht ausgebildet gewesen. Sie verliert. Aber wie Alan Shore (James Spader), Staranwalt der Kanzlei, plädiert, das ist ein Kabinettstück, in dem der ganze Wahnsinn des Feldzugs verhandelt wird. Es ist frivol, eklig, abartig und brutal, und die Ulk-Fälle verschmelzen mit den ernsten nahtlos zu einem Panoptikum, in dem sich Amerika wiedererkennt. Sofern es diese geniale Serie schaut.
„Boston Legal“, 22 Uhr 05, Vox
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