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22 Orgasmen und ein Song: I feel love

Zwischen Boston, L.A. und München: Donna Summers bewegtes Leben in einer Arte-Doku

Ruhm ist gefräßig. Er verschlingt Menschen mit Haut und Haar. Die Dokumentation „Donna Summer – Hot Stuff“ beginnt mit Szenen aus einer Talkshow der achtziger Jahre. Der Moderator will wissen, was die Sängerin von den Klischees halte, die von ihr im Umlauf seien. „Disco-Diva?“ Sie kiekst nur: „Chchch.“ „Queen of Sex?“ Sie seufzt: „Uuuuf.“

Donna Summer war Mitte der siebziger Jahre mit ihren Hits „Love To Love You Baby“ und „I Feel Love“ berühmt geworden, bei denen sie das futuristische Moog-Synthesizer-Getacker des Produzenten Giorgio Moroder mit hingehauchten Versen und lustvollem Stöhnen unterlegte. Diesem Ruhm sollte sie bis zu ihrem Tod nicht mehr entkommen. Ein Kritiker des Magazins „Time“ zählte nach, dass sie auf „Love To Love You“ 22 Orgasmen simuliert habe, Plattencover zeigten sie im Nachthemd. „Ich fühlte mich wie ein Produkt“, erzählte Summer später. „Wie eine Flasche, auf die jemand ein Etikett geklebt hat.“ Wobei sie durchaus einen Beitrag zum Produkt geleistet hatte. Als ihr eines Nachts die Zeile „Ich liebe dich zu lieben“ eingefallen war, rief sie Moroder an.

Die Regisseure Lucia Palacios und Dietmar Post haben für ihren höchst sehenswerten Film auf beiden Seiten des Atlantiks recherchiert. Sie konnten mit einer Schwester und dem Bruder der Sängerin sprechen und mit Vertrauten wie ihrem ehemaligen Lebensgefährten Peter Mühldorfer und dem Produzenten Harold Faltermeyer. Und immer wieder erklingt gespensterhaft Donna Summers Stimme, mitgeschnitten bei einem Telefonat im November 2011. „Gut, wunderbar“ gehe es ihr, sagt sie. Das für den darauffolgenden Sommer vereinbarte Interview konnte nicht mehr stattfinden. Im Mai 2012 starb die Sängerin mit 63 Jahren an Lungenkrebs.

Über ihre Kindheit und Jugend erzählt sie in englisch-deutschem Kauderwelsch: „It was a very gemütliche Umgebung.“ Donna wächst in einer tief religiösen Familie in Boston auf, singt mit acht Jahren im Gospelchor und mit 16 in einer Rockband. Ihr Idol ist Diana Ross von den Supremes. Am selben Tag, als ihr die Plattenfirma RCA einen Vertrag anbietet, geht sie in New York zu einem Casting für ein Musical. Eine Woche später ist sie in München und probt für die deutsche Uraufführung von „Hair“. „Hair“ wird zur Sensation. Ron Williams, der damals zum Ensemble gehörte, sagt: „Das war ein Zoo, man kam, um die Hippies zu sehen.“ Summer macht psychedelische Werbung („Sexy mini super flower pop – alles ist in Afri Cola“) und nimmt seltsame Soulschlager auf („Die Sonne steigt, der Mond versinkt, ein neuer Tag ist da“). Bis sie irgendwann in Moroders Musicland Studios landet, dem Discolabor des „Munich Sound“.

Donna Summers Karriere entwickelt sich zu einem Kampf, bei dem es ihr um Emanzipation und Kontrolle geht. Um ihren Erfolg in den USA zu forcieren, zieht sie nach Los Angeles. Ihr Album „Bad Girls“ erobert den ersten Platz der Charts, insgesamt wird sie mehr als 130 Millionen Tonträger verkaufen. Aber ihr Label Casablanca Records ist laut Moroder „ein Irrenhaus, haufenweise Drogen, morgens um elf waren alle high“. Summer wechselt zur neu gegründeten Firma des Musikmoguls David Geffen, der sie allerdings bald wieder fallen lässt. Mit „She Works Hard For The Money“ gelingt ihr noch einmal ein trotziger Hit. Später lebt sie in Nashville und engagiert sich als wiedergeborene Christin.

In der Ruhmeshalle der Pop-Geschichte gebührt Donna Summer ein Ehrenplatz. „I Feel Love“ ist – so urteilt der DJ und Schriftsteller Hans Nieswandt – zusammen mit „Autobahn“ von Kraftwerk „das modernste Stück der siebziger Jahre“. Christian Schröder

„Donna Sommer - Hot Stuff“, Arte, Samstag, 22 Uhr

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