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Die gefälschten Hitler-Tagebücher, die der Stern 1983 veröffentlichte, sind im Rahmen des „Tages des Journalismus“ im Hamburger Redaktionsgebäude zu sehen (Archivbild).

© picture alliance/dpa/Markus Scholz

Update

In kommentierter Fassung: NDR veröffentlicht gefälschte Hitler-Tagebücher

Der Tagebuch-Fälscher war laut NDR-Recherchen tiefer in ein neonazistisches Umfeld verstrickt gewesen als bisher bekannt. Er habe eine „positive Hitler-Figur“ erfunden, so ein Historiker.

| Update:

40 Jahre nach dem Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher veröffentlicht der Norddeutsche Rundfunk (NDR) die kompletten 60 Bände der Fälschung in einer kritischen Ausgabe im Internet. Den Text begleite zudem ein wissenschaftlicher Kommentar des Berliner Historikers Hajo Funke, teilte der NDR am Donnerstag in Hamburg mit. Erstmals werde dadurch in vollem Umfang die Absicht der Fälschung deutlich, die NS-Geschichte neu zu deuten und zu verharmlosen.

Der Bertelsmann-Konzern will die Hintergründe der Affäre von Experten untersuchen lassen. „Bertelsmann lässt den Umgang des Unternehmens mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern wissenschaftlich aufarbeiten“, teilte der Konzern am Freitag in Gütersloh mit. Der „Stern“, wo die vermeintlichen Tagebücher 1983 veröffentlicht wurden, zählt zu den Gruner+Jahr-Titeln (RTL) im Bertelsmann-Portfolio.

Konzernchef Thomas Rabe sagte: „Die Publikation der gefälschten Hitler-Tagebücher im April 1983 bildet ein eigenes Kapitel in der Geschichte des „Stern“. Wir halten es für notwendig, den Umgang mit der Entdeckung, Bewertung und Veröffentlichung der gefälschten Tagebücher bei Gruner + Jahr und Bertelsmann wissenschaftlich untersuchen zu lassen.“

Man werde einen bereits bestehenden Forschungsauftrag an das renommierte Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München erweitern, hieß es weiter. Dort wird bereits die „Stern“-Geschichte untersucht. Die historische Analyse werde mehrere Jahre in Anspruch nehmen.

Die Veröffentlichung 1983 war ein riesiger Presseskandal

Der „Stern“ hatte im April 1983 die angeblichen Tagebücher Adolf Hitlers als vermeintliche Sensation veröffentlicht. Wenige Tage später stellten sie sich als Fälschung heraus. Es war einer der größten deutschen Presseskandale.

Angefertigt hatte die Bücher der Kunstfälscher Konrad Kujau, der laut NDR-Recherchen tiefer in ein neonazistisches Umfeld verstrickt gewesen sein soll, als dies bislang bekannt war. Ein „Stern“-Reporter kaufte die Aufzeichnungen im Auftrag seines Verlags auf. Sie sollten nach und nach veröffentlicht werden.

Diese Tagebücher sind Ausdruck von Holocaustleugnung.

Berliner Historiker Hajo Funke

„Diese Tagebücher sind Ausdruck von Holocaustleugnung“, erklärte Funke nun. „Sie wollten Hitler von den schlimmsten Verbrechen der Nazis freisprechen.“ Die zentrale Erzählung der gefälschten Tagebücher sei, dass Hitler angeblich nichts vom Holocaust wusste.

Die Historikerin Heike Görtemaker erklärte, der „fiktive Hitler“ der Tagebücher habe mit den „nationalsozialistischen Gewaltverbrechen“ nichts zu tun. „Kujau erfindet hier eine positive Hitler-Figur.“

Bundesarchiv wartet auf Originale

An zahlreichen Stellen erzählt die Fälschung demnach, wie sich ein vermeintlicher Hitler um eine wohlwollende Lösung für die Juden einsetzt. Zu einem Zeitpunkt, an dem der Holocaust längst entfesselt war, schreibt der fiktive Hitler, die Juden sollten zur schnellen Auswanderung bewegt werden – oder ihnen ein „sicherer Landstrich in den besetzten Gebieten“ gesucht werden.

Nach NDR-Angaben konnte die Handschrift der gefälschten Tagebücher mithilfe einer künstlichen Intelligenz lesbar und recherchierbar gemacht werden. Dabei zeige sich, dass sämtliche Begriffe des Holocausts nicht vorkommen. Schlagwörter wie „Endlösung“ oder „Gaskammer“ fehlen vollständig.

Nach NDR-Angaben liegen die Originalbände der gefälschten Tagebücher gesperrt in einem Safe des Hamburger Verlags Gruner + Jahr. Dem NDR-Projekt liegen Kopien der Tagebücher zugrunde. Eine 2013 vom Stern zugesagte Freigabe der Originale an das Bundesarchiv sei bis heute nicht erfolgt. Die Tagebücher sollen ab dem frühen Donnerstagabend auf der NDR-Webseite zugänglich sein. (AFP)

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