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Der Patriarch.  Pfarrer Johannes (Lars Mikkelsen, l.) lässt nicht zu, dass sein Sohn August (Morten Hee Andersen) eine wichtige Trauerfeier an seiner Stelle abhält.

© Arte

Neue Arte-Serie: Irrwege des Herrn

Die Abwärtsspirale alter Gewissheiten: Arte zeigt eine dänische Serie über die Lebenskrise eines Pfarrers.

Etwas zu beherrschen, das man nicht dominiert, sondern nur ausgesprochen gut kann, ist eine sehr nordeuropäische Sprachsicht der Dinge – darin ähnelt das Dänische dem Deutschen bis aufs Wort „beherske“. Warum der Pfarrer August Krogh als Militärseelsorger nach Afghanistan geht, anstatt das tollste Gotteshaus Kopenhagens zu leiten, erklärt er seiner wütenden Frau deshalb damit, endlich mal tun zu wollen, „was ich nicht sowieso schon beherrsche“. Die Arbeit also, aber auch sich selbst, seinen Glauben und all die verdrängten Zweifel einer steilen Kirchenkarriere.

Genau die nämlich war dem Geistlichen von Geburt vor 28 Jahren in dem Zehnteiler „Die Wege des Herrn“ vorbestimmt, der von der ersten bis zur 550. Minute fesselt wie ein spielfilmlanger Psychothriller. Im Zentrum von „Ride upon the Storm“ steht Augusts Familie, deren Männer in neunter Generation Gottesdiener sind.

Verteilt auf drei Donnerstage handelt die Serie allerdings nur oberflächlich von einer Pastorendynastie im protestantisch geprägten Dänemark. Unterm Sturmritt von Johannes Krogh und seiner zwei Söhne entspinnt sich eine komplexe Gesellschaftsanalyse von ungemein aktueller Wucht.

Der charismatische Probst, grandios verkörpert von Mads Mikkelsens älterem Bruder Lars, bewirbt sich ums vakante Amt des Bischofs von Kopenhagen. „Ja, ich glaube an Gott“, bezeugt er bei der feurigen Bewerbungsrede und fügt unterm Gelächter der Gemeinde hinzu, die Aussage sei intimer, aber auch kontroverser, „als wenn ich mich hier und jetzt hinstelle, um zu sagen, wie, wann und wo ich zuletzt Sex gehabt hätte“. Den hat er danach unter der Dusche mit seiner toughen Ehefrau Elisabeth (Ann Eleonora Jørgensen) – womit frühzeitig klargestellt wäre: Hier agitiert kein frömmelnder Eremit im Elfenbeinturm religiöser Prinzipientreue. Johannes ist ein Mann von Welt, dessen graumelierter Hipsterbart attraktiv mit dem strengen Talar um Deutungshoheit ringt.

Bis die Katastrophe beginnt

Kaum, dass der sozial engagierte Pfarrer den Kampf ums Bischofsamt gegen die ökonomisch tickende Mitbewerberin verloren hat, bricht das Kartenhaus seiner offenbar soliden Existenz in sich zusammen. Während der leidlich geheilte Ex-Alkoholiker komplett die Kontrolle über sich verliert, wird zunächst sein ältester Sohn (Simon Sears) beim Diplomprüfungsbetrug erwischt und sodann dessen Bruder (Morten Hee Andersen) im Kriegseinsatz traumatisiert. Seite an Seite rauschen sie fortan fast ungebremst die Abwärtsspirale alter Gewissheiten hinunter und verlieren dabei mit ihrer Selbstbeherrschung zusehends auch die Handlungshoheit übers Leben anderer.

Wie schon im weltweit gefeierten Politdrama „Borgen“ schafft es Showrunner Adam Price auch hier, sich nicht am menschlichen Chaos seiner Protagonisten zu weiden. Im Gegenteil: Erst durch die Fehlbarkeit augenscheinlich makelloser Charaktere wie Johannes und August wird die Fehlbarkeit aller vermenschlicht.

Und wenn sogar Seelsorger nur noch das eigene Seelenheil kümmert, wenn aus dem Glauben Zweifel erwächst und aus dem Zweifel Verzweiflung, skizziert Prices herausragendes Drehbuch dabei nicht weniger als die Sinnsuche der westlichen Gesellschaft am Abgrund ihrer Selbstheilungskräfte.

Mit etwas religiöser Fantasie macht das „Ride upon the Storm“ zur zeitgenössischen Adaption der Genesis von Adam und Eva, Kain und Abel. Profaner gesehen, verdichtet sich die Entfremdung des Menschen von der rissigen Sicherheit tradierter Werte hier in einer Sippe, die dagegen doch eigentlich gewappnet schien.

Dafür bedarf es trotz einiger Kriegs- oder Sexszenen praktisch keiner Effekthascherei; der Kamera reicht dafür manchmal ein zweiminütiges Close-up ohne Schnitt. Was sich dabei nach der unverhofft verlorenen Bischofswahl auf Lars Mikkelsens Gesicht abspielt, erzählt mehr über den Kampf der Instinkte mit unserer Selbstbeherrschung als mancher Dialog.

Am Ende der zehn Teile ist dieser Kampf weder gewonnen noch verloren. Er verhilft uns aber ebenso spannend wie klug zu der Erkenntnis, wie angreifbar selbst Positionen höchster Moral sind. Und diese Kulturtechnik zu behersken, pardon: beherrschen, ist überaus förderlich in dieser schwierigen Zeit.

„Die Wege des Herrn“, Donnerstag, Arte, ab 20 Uhr 15, die ersten drei von zehn Folgen

Jan Freitag

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