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In Julis Zehs Bestseller "Über Menschen" fehlt der Berufsstand der Journalisten nicht.

© dpa

Journalisten-Darstellung in Bestsellern: „Für eine Story tun die alles“

Wenn Journalisten in Bestsellern vorkommen - wie werden sie dargestellt? Eine Studie gibt Auskunft.

Schon der erste Befund ist überraschend. Nicht, dass der Journalismus in der Belletristik eine Rolle spielt, sondern dass der Berufsstand eine so auffällige Rolle spielt. Frank Überall, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes, hat in einer aktuellen Studie „Wie die Presse sich aufführt“ analysiert, wie der Journalismus dargestellt wird.

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In 51 Büchern, die von 2019 bis 2021 auf Platz eins der „Spiegel“-Bestsellerliste standen, hat er 1700 Stellen gefunden, in denen die Autorinnen und Autoren Journalisten und Journalismus thematisieren. Unter den Titeln „Opfer“ von Jussi Adler-Olsen, „Das Licht“ von T.C. Boyle, „Die Anomalie“ von Herve Le Tellier, „Herkunft“ von Sasa Stanisic, „Über Menschen“ von Juli Zeh, aber auch „Heimweg“ von Sebastian Fitzek oder „Der neunte Arm des Oktopus“ von Dirk Rossmann.

Die spezifische Untersuchung der Bestseller-Literatur hat vor allem ergeben, „dass journalistische Medien trotz aller zuweilen erklingenden, gesellschaftlichen Unkenrufe nach wie vor als relevant gesehen werden“, stellt Überall fest. In gut einem Drittel der Fiktion wird Journalismus als beiläufiger Medienkonsum dargestellt, in zwei Dritteln sind Journalismus, Journalisten und journalistische Produkte treibende Elemente der Erzählung.

Will sagen, wenn auch vielleicht ein bisschen übertrieben: Keine Fiktion ohne Journalismus. Wobei (Tages-)Zeitungen hier eine überproportionale Bedeutung zugestanden wird, während in der Realität der Leserinnen und Leser zumeist der Konsum von Fernsehen, Internet und Radio vorne liegt.

Zitate aus realen Medien

Gerne werden übrigens in die Zeilen und Seiten Zitate aus realen oder fiktiven Medien eingestreut, damit sich Relevanz und Glaubwürdigkeit der Story erhöhen. Was weniger thematisiert wird: Berufsstatus und finanzielle Lage der Branche, auch die zunehmende Gewalt gegen Journalisten, deren Liebesbeziehungen oder ungesundes Berufsleben haben keine größere Bedeutung.

Was die Belletristik quasi wie ein roter Faden durchzieht, ist, dass das vermittelte Bild des Journalismus überwiegend negativ ist. So werde den Journalisten gerne vorgeschrieben, was und wie sie zu berichten haben. Überall stellt fest, dass „unseriöse und sensationalistische Recherchemethoden besonders im Mittelpunkt stehen“. In dem Buch „Das Licht“ von T. C. Boyle steht geschrieben: „Sie wissen ja, wie die Zeitungen sind: Für eine Story tun sie alles.“

So viele Journalistinnen wie Journalisten

Im Gender-Verhältnis finden sich Journalistinnen und Journalisten nahezu gleichauf, das in der Fiktion vermittelte Bild ist allerdings alles andere als divers. Wenig erfreulich für den Berufsstand ist auf jeden Fall der Befund, dass „beim Rollenverständnis der dargestellten journalistischen Charaktere die Haltung als Verkäufer vor der als Kritiker und Kontrolleur überwiegt“. Der gegen alle Widerstände recherchierende Investigativ-Journalist ist die überaus rare Ausnahme, die Heldenrolle wird dem fiktiven Journalist wahrlich nicht eingeräumt.

Nicht unbedingt schmeichelhaft ist das Bild des Journalismus in T.C. Boyles Roman "Das Licht".
Nicht unbedingt schmeichelhaft ist das Bild des Journalismus in T.C. Boyles Roman "Das Licht".

© picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Vor allem in Dialogen der Belletristik werden Journalisten – insbesondere in Dialogen – häufig mit abwertenden Begriffen bezeichnet, „allerdings eher mit Schimpfwörtern als mit Tiernamen“. Wie erfreulich, oder? So gar nicht erfreulich sind weitere Ergebnisse von Frank Überall. Was nämlich die Qualität der journalistischen Arbeit angeht, scheuen sich die Bestseller-Autoren keineswegs, einen schludrigen Berufsstand zu skizzieren, bei dem Verfehlungen an der Tagesordnung sind.

„Es lässt sich attestieren“, schreibt Überall, dass „der Deutsche Presserat viel Arbeit hätte, wenn er sich mit den zeitgenössischen fiktiven Charakteren des Journalismus beschäftigen müsste“. Auf der Basis der berufsethischen Regeln, wie sie im Pressekodex festgelegt sind, würden wohl eine ganze Menge an Rügen ausgesprochen werden müssen.

Nicht durchgängig „Buhleute“

Und trotzdem, schließt Überall, stellen die Autorinnen und Autoren die Journalistinnen und Journalisten insgesamt nicht als „Buhleute“ dar, sondern liefern tatsächlich realitätsnahe Beschreibungen eines spannungsgeladenen Berufs. Es klingt wie ein Trostwort.

Und einen Wunsch hat Frank Überall noch, und da spricht der DJV-Bundesvorsitzende: „Es wäre hilfreich, wenn nach vielen Jahren wieder eine systematische Untersuchung von Arbeitsbedingungen journalistisch Tätiger in der realen Welt in Angriff genommen würde.“ Sehr wahr, aber diese Aufgabe müssen die Bestseller-Autoren nicht übernehmen. Da sind die Mediensoziologen gefragt.

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