Medien: „Lustration“ spaltet Polen
Gesetz zwingt Journalisten, frühere Kontakte zum kommunistischen Sicherheitsdienst offenzulegen
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Viele polnische Journalisten verstehen die Welt nicht mehr. Jahrelang sahen sie sich als Speerspitze im Kampf für eine radikale Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit des Landes. Manche Verstrickung hoher Repräsentanten des Staates mit dem ehemaligen Regime wurde von den Medien schonungslos aufgedeckt, einige Politiker und auch Kirchenmänner wurden als Spitzel des Geheimdienstes enttarnt und mussten von ihren Posten zurücktreten. Doch nun sehen sich die Journalisten selbst am Pranger. Denn am Donnerstag ist ein Gesetz in Kraft getreten, nach dem auch die Medienvertreter Rechenschaft über mögliche Kontakte zum ehemaligen kommunistischen Sicherheitsdienst ablegen sollen. Diese „Lustration“ (Durchleuchtung) war bisher auf Abgeordnete, Richter, Staatsanwälte und andere Bewerber für öffentliche Funktionen beschränkt.
Vor allem Journalisten von liberalen und linken Medien polemisieren schon seit Wochen gegen das Gesetz. Die Gegner der Offenlegung der Geheimdienstakten sehen die Pressefreiheit in Gefahr. Es gehe nicht darum, die historische Wahrheit ans Licht zu bringen, lautet ein Argument, sondern das neue Gesetz diene allein politischen Zielen: die polnischen Medien von regierungskritischen und unerwünschten Journalisten zu „säubern“ und mit den ehemaligen Verbündeten aus der alten Solidarnosc-Elite abzurechnen.
Inzwischen haben auch jene Journalisten in der Kontroverse über die Vergangenheitsbewältigung machtvoll Stellung bezogen, die für das Gesetz zur Durchleuchtung der Vergangenheit sind. In einem öffentlichen Appell, am Dienstag in vorwiegend konservativen Medien veröffentlicht, hieß es, dass es eine Frage der Glaubwürdig und der Aufrichtigkeit sei, sich dem neuen Gesetz zu unterwerfen. „Genau dies erlaubt uns die Bewertung von Vertretern des öffentlichen Lebens und das Auftreten im Namen der öffentlichen Meinung“, steht in dem Schreiben, das in der angesehenen „Rzeczpospolita“ auf der ersten Seite prangt. Die Journalisten argumentieren, es sei höchste Zeit, diesen Teil der eigenen Vergangenheit aufzuarbeiten, was bisher lediglich zögerlich geschehen sei. Man könne nicht die Regeln ignorieren, die man für andere vehement tagtäglich einfordere.
Kritisiert wird an dem Gesetz vor allem, dass der Kreis der betroffenen Personen kaum mehr einzugrenzen ist. Wurden bisher rund 270 000 Personen erfasst, so werden es nun nach Schätzung von Experten bis zu 700 000 sein, die vor dem 1. August 1972 geboren wurden. Die umstrittenen Erklärungen abgeben müssen nicht nur Journalisten, sondern auch Gemeinderäte, Wissenschaftler oder Schuldirektoren. Nun müssen innerhalb eines Monats alle Personen, die unter die Regelung fallen, ihrem Arbeitgeber eine Erklärung abgeben, nicht für den kommunistischen Sicherheitsdienst gearbeitet zu haben. Wer dies nicht tut, verliert sein Amt oder darf seinen Beruf nicht mehr ausüben.
Knut Krohn[Warschau]
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