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Spiele-Apps  können auch für Schüler hilfreich sein.

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Gamification: Mit Apps und Computerspielen fürs Leben lernen

Flucht vor Zombies, Putzen mit dem Avatar: Das Prinzip „Gamification“ lässt Apps und Computerspielen in einem anderen Licht sehen.

Von wegen: Computerspiele haben kaum oder gar nichts mit dem echten Leben zu tun. Man vertrödelt mit Daddeln nur seine Zeit vorm Bildschirm, an der Konsole. Seit einiger Zeit geistert ein Wort durch Internet-Foren: „Gamification“. Das bezeichnet die Anwendung spieltypischer Elemente und Prozesse in spielfremdem Kontext. Zu diesen Elementen gehören Erfahrungspunkte, Highscores, Fortschrittsbalken, Ranglisten, virtuelle Güter oder Auszeichnungen. Durch die Integration dieser spielerischen Elemente sollen die Personen besser motiviert werden, die keine Lust auf allzu monotone oder zu komplexe Aufgaben haben. Eine große Chance, langweilige Dinge des Alltagslebens aufzupeppen. Doch helfen Spiele oder Spiele-Apps wirklich, denn inneren Schweinehund zu überwinden?

Holger P. ist begeistert. Endlich macht ihm Sport Spaß. Statt einfach nur zu joggen, wird er durch die App „Zombies, Run!“ zum Überlebenden in einer Zombie-Apokalypse, in der er als Bote wichtige Güter transportiert. Kommen ihm Untote zu nahe, meldet ihm sein Smartphone die Gefahr und mahnt ihn zur Eile. So spielerisch hat Holger P. sich in Form gebracht und freut sich aufs Verausgaben, statt es als lästige Pflicht zu sehen. Als „Runner 5“ ist er der Held bei jedem Lauf durch den Park – eben dank „Gamification“, der Anwendung spielerischer Konzepte und Prozesse in spielfremdem Kontext. Also Spiele für Nichtspieler.

In fast jedem Alltagsmoment lassen sich hilfreiche Spielsituationen einbauen, von der Belohnung für korrektes Zähneputzen über das Erledigen nerviger Haushaltstätigkeiten bis hin zu sportlichen Leistungen oder konzentrierter Arbeit. Für „gutes“ Verhalten bekommt man Punkte, die sich für bestimmte Dinge nutzen lassen. Schon der Lufthansa-Vielfliegerbonus ist eine Gamification, auch wenn der Begriff bei Einführung des „Miles & More“-Programms 1993 noch nicht geprägt war. Aber die Industrie ist auf den Geschmack gekommen und bietet verstärkt solche Punktesysteme als Dankeschön für Käufer an – und das immer häufiger auch auf elektronischen Medien.

Gekauft, bezahlt, belohnt: So sieht das Konzept oft aus, das dem Beschenkten Spaß macht und dem Konzern zufriedene und damit treue Kunden bringt. Bereits in den 1960er Jahren wurden in der Psychiatrie ähnliche Methoden angewandt, um gewünschtes Verhalten zu belohnen. Tatsächlich unterscheidet sich die Behandlung, in der sich Patienten tauschbare Dinge als Anerkennung für gutes Verhalten verdienten, kaum vom Prinzip des Münzsammelns in einem „Super Mario“-Spiel. In den vergangenen Jahren haben Marketingköpfe lediglich Anpassungen an bestimmte Situationen vorgenommen, um optimal auf die Zielgruppe einzugehen. So haben Institutionen wie Weight Watchers, die Menschen beim Abnehmen helfen, solche Apps als ideale Hilfestellung entdeckt und belohnen ihre Kunden für gesundes Essverhalten mit Aufmerksamkeiten im Gamification-Stil.

Was nun bei Holger P. zu sportlichen Erfolgen geführt hat, klappt allerdings nicht immer, wie Journalist und Spieleexperte Thomas Feibel bestätigt: „Sicherlich mag es auch dem einen oder anderen helfen, wenn er sich mit einem App-Spiel motiviert, aber das funktioniert nicht bei jedem.“ Nur gezielt bei ganz bestimmten Schwächen eingesetzt, versprechen die Apps Erfolg. Geht man inflationär damit um, wird man bald abstumpfen und keinerlei Effekt mehr erreichen.

Wer sich auf das Abenteuer Gamification einlassen möchte, für den könnte das bereits erwähnte „Zombies, Run!“ (iOS: 3,59 Euro, Android: 3,49 Euro) oder „EpicWin“ (iOS: 2,69 Euro), eine App, die Hausarbeit mit dem Wohlergehen eines virtuellen Alter Egos im Smartphone verknüpft, eine gute Wahl sein. Auch das Suchspiel „Geocaching“ (iOS und Android: 8,99 Euro), bei dem man auf der ganzen Welt nach versteckten Schätzen suchen kann, dafür aber tatsächlich am entsprechenden Ort sein muss, ist als Motivation zum Spazierengehen durchaus überzeugend. Für Schüler können solche Apps und Webseiten ebenfalls hilfreich sein. So gibt es für ABC-Schützen Apps wie „Lernerfolg Grundschule“ (iOS: 1,79 Euro), die mit Konzentrationsübungen auf den Schulalltag einstimmt. Wenn die erste Fremdsprache kommt, bietet sich „Duolingo“ (iOS und Android, kostenlos) an, um spielerisch verschiedene Themenbereiche der Sprache kennenzulernen. Auch hier gilt: Weniger ist mehr. Abnutzungseffekte können das gut gemeinte Vorgehen schnell ins Gegenteil verkehren. Daher ist es sinnvoll, sich vor allem Programme zu suchen, die ein gewisses Unterhaltungspotenzial mitbringen, etwa eine kleine Geschichte erzählen oder den Nutzer gelegentlich mit Minispielen fordern.

Zweischneidiger wird die Sache, wenn man regelmäßig Daten eingeben muss, beispielsweise bei Nichtraucher-Apps. Hier sollte man einen Blick in die AGBs werfen und überprüfen, was der Anbieter mit den Daten tut. Wer das beherzigt, könnte durchaus angenehm überrascht werden, welche Chancen Gamification ihm bietet. Spielen ist für Kinder etwas völlig Normales, warum nicht auch für Internet- und Smartphone-Nutzer? Thomas Feibel steht dem Prinzip Gamification jedenfalls positiv gegenüber, betont aber gleichzeitig, dass dies kein Allheilmittel ist: „In einer auf Produktivität und Effektivität getrimmten Gesellschaft galten Videogames lange Jahre nur selten als gute Unterhaltung, sondern eher als Zeitverschwendung oder Zeichen der Unreife. Insofern begrüße ich es sehr, wenn nun breitere Schichten unserer Gesellschaft etwa durch allgegenwärtige Apps immer verspielter werden.“ Billiger als ein Motivationstrainer ist es allemal.

www.zombiesrungame.com

www.rexbox.co.uk/epicwin

www.geocaching.com

www.duolingo.com

Benedikt Plass-Fleßenkämper

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