
© TV Now
Serie zum Profumo-Skandal: Mit Einfluss, Models und Melone
Eine Serie arbeitet den Profumo-Skandal auf und entdeckt Ursprünge des Kampagnenjournalismus.
Stand:
In einer geschwätzigen Zeit wie unserer, wo jede noch so intime Regung, jeder noch so banale Einfall, ja selbst jedes einigermaßen ansehnliche Mittagessen schnurstracks aller Welt präsentiert werden muss, sind viele Regeln diskreterer Zeiten eigentlich überholt, aber diese hier aus den frühen 1960ern hat auch zu Beginn der 2020er noch ihre Geltung: „Du kannst ein herrliches Leben führen“, sagt der virtuose Strippenzieher Stephen Ward zur schönen Skandalnudel Christine Keeler und fügt hinzu, welchen Grundsatz sie dafür stets befolgen sollte: „Nicht reden!“ Also schweigen?
Schwierig! Denn was im analogen Sperrfeuer der sozialen Netzwerke drollig wirkt, klang schon in der analogen Papier-Ära absurd. Schließlich waren Keller und Ward 1963 in den gewaltigsten Skandal der britischen Nachkriegsgeschichte verstrickt. Ein öffentliches Gemetzel aller vier Gewalten, das Erstere Nerven, Freunde, Renommee und Letztere gar das Leben kostete („Die skandalösen Affären der Christine Keeler", TV Now, sechs Folgen).
Fast 60 Jahre später nun arbeitet das der BBC-Sechsteiler „The Trial of Christine Keeler“ auf und legt sich früh fest, wer an den „skandalösen Affären“ schuld war, zu denen das RTL-Streamingportal TV Now den Titel aufbläst: Die Presse und der Mann – Synonyme einer Mediengesellschaft beim Absprung in den Populismus heutiger Prägung.
Als Verteidigungs- noch Kriegsminister hießen und Models Mannequin, springt dieses in den Pool der Gartenparty eines Militärpolitikers und sagt aus dem Off, sie sei ein „normales Mädchen“, habe nie das Rampenlicht gesucht, „aber irgendwie hat das Rampenlicht mich gesucht“.
Kaum dem Wasser entstiegen, findet es Christine Keeler in Gestalt John Profumos, dem zweitmächtigsten Mann im Kabinett des konservativen Premiers Macmillan, mit einer Schauspielerin zur Frau und deshalb als dessen Erbe im Gespräch – bis er sich ins halb nackte Model verguckt und eine Affäre mit ihr startet.
So war es halt im pseudopuritanischen Königreich jener Epoche: Alte Männer mit Einfluss, Mitteln, Melone nahmen sich junge Mätressen, überhäuften sie mit falscher Zuneigung und warfen sie nach Gebrauch weg wie alte Socken. Nur: Das hier ließ sich nicht entsorgen, sondern vom linken „Daily Mirror“ einspannen, den rechten Profumo abzusägen. Am Beckenrand vom Landsitz Cliveden beginnt somit ein Ränkespiel, das alle Facetten klassischer Shakespeare-Tragödien hat, aber sehr realen Männermachtzirkeln entspringt, die Frauen nur in Bett oder Haushalt dulden.
Das ist weder für den Journalismus noch ihre Berichtsgegenstände schmeichelhaft
Dank Sex’n’Gin’n’Politics war der Profumo-Skandal deshalb schon öfters Gegenstand saftiger Fiktionen – zuletzt in der Erfolgsserie „The Crown“. Weil neben Showrunnerin Amanda Coe auch die Regie von Andrea Harkin und Leanne Welham rein weiblich ist, wird „The Trial of Christine Keeler“ jedoch erstmals konsequent aus Sicht der Titelfigur erzählt.
Und das ist weder für den Journalismus noch ihre Berichtsgegenstände schmeichelhaft. Sophia Cooksen, die ihre Hauptfigur mit wohldosierter Sexiness angemessen en vogue verkörpert, befindet sich nämlich von Beginn dieser sechsstündigen Geschichtsstunde an in Sachen Doppelmoral buchstäblich im Griff zügelloser Gentlemen.
Egal, ob Christines Mentor, der Society-Osteopath und Hobby-Zuhälter Stephen Ward (James Norton), sein Herrenclubgenosse Profumo (Ben Miles), ihre gewalttätigen Ex-Lover Lucky (Anthony Welsh) und Johnny (Nathan Stewart-Jarrett) oder nahezu alle Protagonisten mit Y-Chromosom: Die Hände der Herren sind jederzeit an jedem Körperteil jeder Frau ab 16.
Trotzdem schreibt Coe keine Opfererzählung, im Gegenteil: Sie schildert das Empowerment einer unterprivilegierten Frau, die sich alles andere als altruistisch vom Objekt zum Subjekt erhebt und Großbritannien dabei im Zeichen der Kuba-Krise auch politisch erschüttert. Da sie parallel auch mit dem russischen Militärattaché schlief, witterte der frisch entfesselte Boulevard schließlich nicht nur eine erotische, sondern diplomatische Skandalstory. Und dafür begnügte er sich nicht mit Recherche, sondern greift auch aktiv ins Weltgeschehen ein.
Bei der BBC ist das Resultat eine ansehnliche Fiktion auf Faktenbasis, die bei allem Entertainment zeigt, wo der Kampagnen- und Regenbogenjournalismus, wo „Bild“-Agenda oder Fox News, wo Donald Trump und Boris Johnson ihren Ursprung haben. Seit wann also die Risse im Fundament demokratischer Institutionen ungefähr den Dachstuhl gefährden. So viel soziokulturelle Bedeutung in einer Unterhaltungsserie vom Boulevard der Eitelkeiten vor fast 60 Jahren – kein schlechter Einkauf von TV Now.
Jan Freitag
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: