
© Foto: dpa/Karlheinz Schindler
Nachruf auf Wolf Schneider: Der Großmeister der Sprache ist tot
Er war Journalist, Chefredakteur, Autor, Bergsteiger und mehr. Als Gründer der Henri-Nannen-Schule fand er zu seiner eigentlichen Berufung. Nun starb Schneider mit 97 Jahren.
Stand:
Mit 20, gerade aus dem Zweiten Weltkrieg gekommen, wollte er sich das Leben nehmen. Mit 87 pensionierte er sich selbst, schrieb mit 94 das letzte von unzähligen Büchern.
In den Jahren dazwischen gelang es ihm, 27 Viertausender zu besteigen, 106 NDR-Talkshows als Gastgeber zu bewältigen, Verlagsleiter beim „Stern“ und Chefredakteur der „Welt“ zu werden, eine Generation von Nachwuchsjournalisten zu prägen und sich den Titel „Sprachpapst“ anzuheften, der seiner Eitelkeit schmeichelte, obwohl er ihn albern fand.
Ein langes, pralles Leben, das in der Nacht zum Freitag zu Ende ging: Wolf Schneider ist mit 97 Jahren in seinem Haus in Starnberg gestorben.
Das druckreife Reden, das schlackenlose Schreiben, der unerbittlich sezierende Blick auf Fakten und Marotten – das waren seine Markenzeichen. Als junger Journalist in München eiferte er Kant nach und verfasste Essays, die, wie er in seiner Autobiographie schrieb, „Gott sei Dank niemand druckte“; später nannte er Kant einen der „schlimmsten Verunzierer deutscher Sprache“.
Auch so ein Schneider-Satz: „Das Deutsch, das ich später im Beruf lernte, hat mich zu jenem Deutsch gebracht, das ich heute zu beherrschen hoffe.“ Heine, Kafka, Lichtenberg – da sah er sich schon irgendwie auf Augenhöhe. (Schon irgendwie? „Geblähter Mist!“ hätte er dem Journalistenschüler mit rotem Edding an den Rand des Manuskripts gefetzt, „er sah sich.“)
Ein Leitartikel gegen Pinochet war das Aus bei Springer
Was so viel heißt wie: An einem Mangel an Selbstbewusstsein hat Wolf Schneider nicht mehr gelitten, nachdem er sich am Lagerfeuer von Hitlers Jungvolk mit Sprechübungen das Stottern abgewöhnt hatte. „Als Springer mich rauschmiss, habe ich nicht eine Minute gedacht, dass ich der Idiot sei“, sagte er in einem Interview, „es ist einfach die Natur in mir, die mir in vielen schwierigen Fällen glänzend geholfen hat.“
Der Grund für den Rauswurf: Schneider hatte einen Leitartikel gegen Chiles Diktator Pinochet verfasst, komplett gegen die Linie von Axel Springer. Später führte er als Chefredakteur ohne Redaktion dennoch Springers Verteidigungskampf gegen Günter Wallraff an, der 1977 als „Hans Esser“ bei der Bild-Zeitung die Hütte in Brand gesetzt hatte – vergebliche Mühe, die ihm keine Freunde machte.
Das Zusammentreffen mit Henri Nannen mag ihn am meisten geprägt haben. Beide kannten sich vom „Stern“, und als Nannen die Idee aufbrachte, im Haus Gruner+Jahr eine Hamburger Journalistenschule zu gründen, schien ihm der „Welt“-Mann der Richtige: „Er ist ein Arschloch, aber er ist der Einzige, der das kann.“ Antwort Schneider: „Wir waren zwei arrogante Pinsel, die einander respektierten.“
1979 trat er an, und ihm wie den Schülern stand ein Kulturschock bevor. Die 68er hätten ihm ihre Neffen geschickt, grummelte er, nahm es als Herausforderung: „Niemand auf der Welt sollte sagen können, man könne in eineinhalb Jahren mehr lernen als hier.“ Gelernt wurde, den Leser vorn in den Text zu zerren und nicht loszulassen, bevor es hinten aufhört.
Ich hasste ihn, er hasste mich. Aber ich kann absolut nichts Schlechtes über ihn sagen.
Eine Absolventin der Nannen-Schule über Wolf Schneider
Das gelang ihm, sogar bei jenen, die er anfangs der „marxistischen Keulenriege“ zuordnete. Die Schüler schlurften in Jeans und Parka in die enge Villa in Harvestehude, er saß da in britischem Edelzwirn, unweigerlich mit Krawatte und handgestichelten Budapestern, und bestand auf Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit.
Es funktionierte, man respektierte seine Kompetenz, und Erinnerungen der Schüler maßen sich noch nach Jahrzehnten an den Sentenzen des Meisters: „Ich hasste ihn, er hasste mich“, schrieb eine Absolventin, „aber ich kann absolut nichts Schlechtes über ihn sagen“.
In Starnberg fühlte er sich den geliebten Alpen näher
Es spricht für Schneiders Präsenz und Kompetenz, nicht gegen seine Nachfolger, dass die Nannen-Schule nach ihm an Glanz einbüßte. Mit 70 hörte er auf, zog nach Mallorca, schrieb immer neue Bücher, war gut gebucht als Vortragsreisender in Sachen Sprache, pflegte seine penibelst organisierte Zettelkultur und ärgerte sich maßlos, wenn ihm mal eine akkurat eingeübte Hochglanzformulierung auf dem Podium wegrutschte.
Vor den Komplikationen eines balearischen Insellebens flüchtete er später, fühlte sich in Starnberg den geliebten Alpen näher.
Schneiders letztes Buch brachte eine bemerkenswerte Wendung. Denn er war doch einer, von dem sein Schüler Jan Fleischhauer mal schrieb, er sei schon politisch unkorrekt gewesen, als es den Begriff noch gar nicht gab.
Doch im schmalen Bändchen „Denkt endlich an die Enkel“ schwenkte er abrupt ins Lager der Klima-Apokalyptiker um, gönnte sich radikale Subjektivität. Wie auch immer: Seine Enkel denken ganz sicher an ihn.
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