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Englischer Titel, deutsche Serie: Moritz (Maximilian Mundt) möchte Lisa (Anna Lena Klenke) zurückerobern.

© Netflix

Netflix-Serie "How To Sell Drugs Online": Fieses vom Netten

In der deutschen Netflix-Serie "How To Sell Drugs Online" wird ein Außenseiter aus Liebeskummer zum Drogendealer.

Dass Bösewichte richtig böse aussehen und zugleich richtig böse sind – diesen Fetisch einer vergangenen Fernsehästhetik hat uns spätestens der seelisch labile und physisch biedere Mafiaboss Tony Soprano ausgetrieben. Seither sprießen sympathische Gangster mit Durchschnittsjobs von Buchhändler bis Chemielehrer wie Pilze aus dem Streamingboden, der für klassische Bösewichte längst keinen Nährwert mehr hat. Als Zuschauer ist man Nettes vom Fiesen also gewohnt. Aber dieser Moritz auf Netflix, der ist schon noch mal was anderes.

So heißt die Hauptfigur der deutschen Serie mit dem englischen Titel „How to Sell Drugs Online (Fast)“, und wer ihr in der Realität begegnen würde, ginge wohl achtlos am unscheinbaren Teenager vorbei. Gespielt vom weit älteren, angemessen picklig geschminkten Maximilian Mundt, ist Moritz Zimmermann nämlich ein spätpubertierender Nerd der Generation Z wie er im Wikipedia-Eintrage steht: kontaktgestört, unsicher, einsam, stillos, ergo ein echter Prototyp seiner Kohorte. Mit einem Unterschied: Er verkauft Drogen. Und zwar im ganz großen Stil. Wenngleich nicht ganz freiwillig.

Wie einst Walther White

Wie einst Walther White wird der Schüler von äußeren Umständen in die Kriminalität getrieben. Weil seine Freundin Lisa (Anna Lena Klenke) nach ihrem Auslandsaufenthalt mit dem Kleindealer Daniel anbändelt, versucht er den Nebenbuhler erwerbsmäßig auszutrocknen und kauft das gesamte Ecstasy des Weserberglands auf. Klar, dass der Plan krachend scheitert. Anstatt diesem Kampfsportler auf Lisas Willkommensparty den Rang abzulaufen, kriegt er vom sportlich schönen „Dan“ aufs Maul. Weil er das Geld ihres gemeinsamen Gamer-Start-ups veruntreut hat, kommt noch Ärger mit seinem körperbehinderten Kumpel Lenny hinzu. Und dann fällt noch der bewaffnete Drogenhändler ins Haus.

Schon nach anderthalb von sechs halbstündigen Folgen liegt das ohnehin ernüchternde Leben des Außenseiters also heillos in Scherben. Die Lösung: Ein digitaler Rauschgift-Shop im Darknet. Klingt irre, wird irre, ist irre, vor allem aber irre unterhaltsam. Wie in Coming-of-Age-Serien mit krimineller Backstory üblich, eskaliert die Komödie rasch Richtung Gangstergroteske im Kreisverkehr unerwarteter Wendungen. Und nebenbei lehrt sie uns noch einiges über Heranwachsende, deren Rationalität unterm Dauerbeschuss maximaler Onlinekommunikation bei minimaler Impulskontrolle steht.

Rätselhafte Anachronismen

Genau hier allerdings hätte man den Autoren ein wenig mehr dramaturgische Sorgfalt gewünscht. Warum der innerlich wie äußerlich verwahrloste Moritz überhaupt mit der innerlich wie äußerlich bezaubernden Influencerin Lisa zusammen war, bleibt ebenso rätselhaft wie der Anachronismus, dass die jungen Digital Natives hier alle noch über Facebook kommunizieren. Doch davon abgesehen sorgt Regisseur Lars Montag in den ersten drei Episoden, mehr aber noch Arne Feldhusen in den letzten drei dafür, dass dem stilistischen Durcheinander nie der Schwung ausgeht. Sie können sich ja auch auf die Darsteller verlassen – besonders auf Maximilian Mundt als überforderter Antiheld, der mit stammelndem Trotz im anschwellenden Chaos die Würde zu wahren versucht. Auch Anna Lena Klenke und Damian Hardung machen ihre Parts als Serienbeautys gut. Wie Ulrike Folkerts die Egoshooter-Höhle ihres gehbehinderten Sohns Lenny (Danilo Kamperidis) mit Raumspray lüftet, ist herrlich lakonisch – und aus erwachsener Sicht gehaltvoller als Chatverläufe, Schnittgewitter, Videoclips, die unablässig den Screen splitten. Aber so sind halt die neuen Sehgewohnheiten einer Generation, die erkennbare Bösewichte kaum noch kennt. Der nette Dealer Moritz ist einer von ihnen. Und das sehr unterhaltsam. Jan Freitag

„How To Sell Drugs Online (Fast)“, Netflix, ab Freitag

Jan Freitag

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