zum Hauptinhalt

Medien: RTS: Wahrheit ist grausam

Am Stadtrand von Belgrad, unweit der Residenz von Slobodan Milosevic, arbeitet der staatliche Fernsehsender RTS. Vor weniger als einem Jahr noch gehörte RTS zu den Machtinstrumenten des Mannes, der in Den Haag auf seinen Prozess wartet.

Von Caroline Fetscher

Am Stadtrand von Belgrad, unweit der Residenz von Slobodan Milosevic, arbeitet der staatliche Fernsehsender RTS. Vor weniger als einem Jahr noch gehörte RTS zu den Machtinstrumenten des Mannes, der in Den Haag auf seinen Prozess wartet. Jetzt ist RTS in den Händen der neuen Regierung. Statt "Gehirnwäsche" soll der Sender nun Aufklärung betreiben, viele Weggefährten Milosevics mussten ihren Hut nehmen. Nenad Ristic, der zur neuen Leitung gehört, nimmt die Aufklärung ernst und rührte an ein Tabu. Zum sechsten Jahrestag des Massakers von Srebrenica im Sommer 1995 strahlte RTS eine BBC-Dokumentation "A cry from the grave" des Verbrechens aus, das als schlimmstes in Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges bekannt wurde. Ungefähr 7500 männliche Muslime wurden systematisch ermordet. An oberster Stelle verantwortlich war General Ratko Mladic - unter dem Serbenführer Radovan Karadzic.

Nach der Ausstrahlung brach in Serbien ein Sturm der Entrüstung los. "Ich mache nichts anderes mehr, als Anrufe zu beantworten", erklärt Nenad Ristic. "Die Leute fragen, wie wir dazu kämen, nun auch die Serben zu verunglimpfen, das täte doch schon die halbe Welt." Nur einer unter hundert Anrufen ist positiv, alle anderen sind erzürnt. Bei der britisch-niederländischen Koproduktion handle es sich um eine Anhäufung konstruierter Beweise, um eine Verdrehung des Kriegsgeschehens, eine Beleidigung der Serben. Der Ultranationalist Aleksandar Vukic bezeichnete den Film als "Kampagne gegen das serbische Volk", der Sozialist Branislav Ivkovic verdächtigte den Sender, mit der Dokumentation den Weg zur "Auslieferung" von Mladic und Karadzic ebnen zu wollen. Mitglieder des regierenden demokratischen Parteienbündnisses DOS bestritten, dass es sich um eine gezielte Ausstrahlung handelte. "Wir diktieren den Medien nicht, was sie zeigen dürfen", erklärte Cedomir Jovanovic für die DOS. Er fügte hinzu, Serben dürften "nicht länger leugnen, was in ihrem Namen getan wurde". In Belgrad widmete sich zum Jahrestag des Massakers neben RTS nur eine der zahlreichen Tagesszeitungen dem Datum. "Ich will gar nicht wissen, was da passiert ist, ich habe Sorgen genug", antworteten Befragte auf der Straße den Agenturjournalisten aus dem Ausland, die ihre Meinung zur Dokumentation erfahren wollten. Viele gaben auch zu, die Sendung ausgeschaltet zu haben, da sie es nicht aushielten oder nicht glauben wollten, was gezeigt wurde - Gräber, Augenzeugen, Filmmaterial vom Sommer 1995.

Der Schock ist groß, wenn ein Sender, der jahrelang serbisches Heldentum in vielen Farben ausmalte, plötzlich die Opfer der "Helden" zeigt. RTS hat Mut bewiesen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false