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Medien: Ruinieren Frauen das Fernsehen?

Frauen sehen mehr fern als Männer. Für sie wurden ,frauenaffine’ Programme erfunden. Ein Synonym für Schund

Frauen sind in der Überzahl – nicht nur in der Bevölkerung, auch vor dem Fernseher. Das Männer/Frauen-Verhältnis im Publikum beträgt etwa 55 zu 45. Grund für den weiblichen Hang zur Glotze ist deren Standort: das Heim. Hier halten Frauen sich länger auf als Männer, und wenn sie schon mal da sind, wärmen sie sich ganz gern am elektronischen Lagerfeuer.

Die Programmgewaltigen in den Sendeanstalten kennen die Statistik, und sie haben reagiert: Das „frauenaffine“ Fernsehen wurde erfunden. Dazu gehören Herzschmerz-Filme mit Heldinnen aus allen Generationen, gehören Nachmittagstalks zu Intimthemen und Reality-Formate rund um Heim und Kinderwelt. Frauenmagazine wie „Mona Lisa“ oder „Lola“ sind eher darauf aus, mit ihren Themen und Thesen auch männliche Zuschauer zu ködern. Die Vorabendsoaps sind aber dann wieder für ein Publikum mit Label weiblich/ledig/jung gedacht. Auch die Frau mit der Waffe, die Kriminalkommissarin im „Tatort“ oder im „Doppelten Einsatz“, soll Zuschauerinnen mit Aggressionsstau zur Identifikation einladen. Eine große Menge Angebote also an die weibliche Fraktion der Zuschauerschaft.

Sind die Zuschauerinnen niveaulos genug, das Fernsehen zu ruinieren?

Frauen und Männer verhalten sich bei der Programmwahl gar nicht so unterschiedlich, wie man denken sollte. Nachrichten und politische Magazine schauen beide Geschlechter gleich gern, auch bei Krimis und Thrillern sind die Differenzen gering. Deutlicher werden sie bei Gameshows und Talks – da schalten Frauen lieber ein. Bei Comedy und Science fiction gucken mehr Männer zu. Die wirklich großen Unterschiede finden wir bei Liebesfilmen und Sportsendungen. Bei Herzschmerz und Soaps fühlen sich doppelt so viele Frauen angesprochen die Männer, bei Fußball und anderen Sportübertragungen ist es umgekehrt. Frauen finden, dass nur die Liebe zählt, Männer halten es mit Punkteständen. Bei einer großen Schnittmenge haben die Geschlechter also jeweils noch ihre ureigenen Felder – für Frauen ist das die Herzenssache, für Männer die Kampfzone.

Auch wenn es einen manchmal wundert, wie viele „romantische Komödien“ und tränentreibende Liebesdramen inzwischen auf Rosamunde Pilchers Pfaden wandeln, darf man doch nicht übersehen, wie dreist und flächendeckend sich der Sport im Programm geriert. In Olympia- oder WM-Jahren ist für den Sporthasser die Glotze zeitweise unberührbar. Und wie viele Liebesfilme, Talk- und Gameshows schon wegen Fußball ausgefallen sind, das zählt natürlich niemand. Der Fernsehkritikerin Andrea Kaiser verdanke ich den Hinweis, dass mit der obligatorischen Sportberichterstattung in den Nachrichtensendungen das Fernsehen im Grunde sein männliches Publikum privilegiert. Es ist eine Mehrheit von Männern (ca. 60 Prozent), die auf Sportsendungen schwört, während nur eine Minderheit von Frauen (30 Prozent) die Balgereien wirklich sehen will. Die meisten der angeblich das Programm mit ihren Vorlieben dominierenden Weibsbilder sind gezwungen, wenn sie wissen wollen, wie das Wetter wird, auf irgendwelche blöden Tabellen zu starren und sich „Ballkontakte“ gefallen zu lassen, die sie überhaupt nicht interessieren, während Männer bei „Typisch Sophie“ oder „Bachelorette“, in der sich eine junge Frau unter Dutzenden Bewerbern einen Bräutigam aussucht, einfach nur nicht einzuschalten brauchen.

Das frauenaffine Fernsehen mag Kritik herausfordern, das Geschlecht der Zielgruppe, die mit so einem Programm gelockt werden soll, ist aber sozusagen unschuldig. Auch viele große Filmemacher, von George Cukor bis zu Rainer Werner Fassbinder, waren „women’s directors“ und schufen Filme, die zu Herzen gingen und doch als Kunst gelten. Es kommt eben immer auf die Machart an. Beim Fernsehen hängt man die Latte etwas niedriger, aber auch hier liegt es natürlich an den Machern, ob das Programm, wie frauenaffin es auch daherkommt, überzeugt. Und da können wir die Befürchtungen der Anti-Pilcher-Fraktion, dass es ja wohl die Frauen seien, die das Niveau nach unten ziehen, zerstreuen. Es sind Männer, die die Programme bestimmen, die Formate einkaufen, die Ideengeber einstellen, die Regie bei den Movies führen und den ganzen Laden (Intendanz) leiten. Wann immer eine Frau sich unter die Entscheider verirrt, versucht sie, den Korpsgeist in sich aufzunehmen und ihn, eventuell mit leichten Akzentverschiebungen, wieder auszuatmen. Zu grundstürzenden Wandlungen, zum Besseren oder Schlechteren im Sinne obiger Titelfrage, hat sie kaum je die Chance. Und die Männer verteidigen ihr Terrain mit gewohnter Nonchalance. Sport-Redakteurinnen und -Moderatorinnen sind immer noch Ausnahmen. Wenn sie reingelassen werden, müssen sie schon ein „schönes Exklusiv-Gesicht“ vorzuweisen haben – so ein Senderchef über die „Sportschau“-Moderatorin Monica Lierhaus. Auch die Comedy haben die Herren als ihre Domäne gerettet. Das wär ja auch ’n Ding gewesen, wenn Anke Engelke die Late-Night übernommen hätte. Den Abgesang auf sie stimmte die (überwiegend männliche) Kritik schon vor der Premiere an.

Drehen wir also die Titelfrage um: Ruiniert das Fernsehen die Frauen? Beziehungsweise zeigen nicht die Macher, die das weibliche Publikum zum Beispiel mit Degeto-Freitagabend-Schnulzen (ARD) abspeisen, ein Uralt-Frauenbild? Eine Frage, die gleich an die Implementeure von „Bachelorette“ und der Schönheits-Operationsshow „The Swan“ weiterzureichen wäre. Das Publikum ist nicht einheitlich und manche Leute, Frauen wie Männer, stehen auf Kitsch und Trash. Das Publikum ist aber auch unberechenbar. Immer wieder zeigt sich: Es liebt Überraschungen. Zum Beispiel Liebesfilme ohne Süßstoff und Reality mit Biss.

Langzeitprognose: Die Schnittmenge wird wachsen. Frauen werden sogar mehr Sport gucken – sofern nach Lierhaus noch weitere Moderatorinnen erscheinen. Die Frage nach Frauenfernsehen und Männerfernsehen wird einen immer kleineren Bereich des Programms betreffen. Und der wird immer weniger in der Lage sein, den Rest zu ruinieren.

Barbara Sichtermann hat zusammen mit Andrea Kaiser zum Thema das Buch „Frauen sehen besser aus. Frauen und Fernsehen“ verfasst, das demnächst im Verlag Antje Kunstmann erscheint.

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