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Dazuverdienerin.  Rentnerin Heidi arbeitet regelmäßig in einer Bäckerei, sonst reicht ihr das Geld nicht. Foto: ZDF

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ZDF-Doku: Schinderei und Scham im Alter

Eine 37-Grad-Reportage im ZDF zeigt deutsche Rentner jenseits von Malle-Bräune und Wohlgenährtheit.

Den Menschen dieser bitteren Reportage steht das Wasser bis zum Hals. Ruhestandsträume? Längst geplatzt. Die Armut, besonders die Altersarmut, ist nicht, wie Rilke dichtete, ein „Glanz nach innen“, sondern ein elendes Joch. So schlimm wie die tägliche Schufterei sind die Scham und der innere Kampf nicht zu verzweifeln.

Den ehemaligen Ingenieur Wolfgang aus Leipzig hat die Erkrankung der Mutter materiell aus der Bahn geworfen. Er pflegte sie bis zu ihrem Tode bei sich zu Hause, verlor den Anschluss an seinen Beruf, löste seine private Altersversorgung auf, wurde psychisch krank und sagt heute: „Von der psychischen Krise habe ich mich erholt, von der finanziellen nicht.“ So steht er mit schmerzenden Knien in Citygegenden und versucht Passanten zum Wechsel des Energieanbieters zu bewegen. „Kalt-Akquise“ heißt dieses Anquatschen zu jeder Jahreszeit unter seinen Leidensgenossen. Als er nur noch 69 Cent in der Tasche hatte, schrieb er, der früher einen DDR-Betrieb geleitet hatte, einen Bettelbrief an seine Kinder. Zur Station, wo es für Bedürftige gespendete Lebensmittel gibt, geht er 90 Minuten hin und zurück. Die Knie schmerzen, aber Straßenbahn ist nicht drin. Wozu hat er sich als Vertreter der Versicherungsbranche nach der Wende umschulen lassen?

Rente mit Nebenjobs aufbessern

Heidi kann von ihrer Rente die kleine Wohnung, in der sie seit dreißig Jahren lebt, eigentlich nicht halten, aber sie lässt sich nicht zum Umzug zwingen, bloß weil sie dann grundsicherungsberechtigt wäre. Die Berlinerin hat die Bäckerei ihrer Eltern geerbt, aber nicht halten können. Als Angestellte leitete sie Filialen, doch die Selbstständigkeit lockte sie. Um ein eigenes Geschäft aufbauen zu können, verzichtete sie auf Einzahlungen in die Rentenkasse. Das Risiko war zu hoch, ließ Heidi im Alter verarmen. Heute muss sie ihre Rente mit Nebenjobs aufbessern. Die elektronische Kasse im Bäckerladen bereitet ihr Schwierigkeiten: „Man ist nicht mehr so fit wie früher.“ Wenn sie für Mitbewohner in ihrer Berliner Wohnanlage Einkäufe erledigt und manchmal ein Trinkgeld erhält, zahlt sie die kleinen Beträge auf ein Sonderkonto ein: Sie möchte nicht, dass sie jemandem bei ihrer Beerdigung etwas schuldig bleibt. Der Traum vom Lebensende: tot umfallen, bloß nicht krank werden. So sieht für sie die Gnade Gottes aus.

Hans-Jürgen aus Stade, durch Scheidung und vorzeitigen Rentenbeginn nach längerer Arbeitslosigkeit und Hartz IV in die Altersarmut geraten, ist eine Art Multitalent auf dem grauen Arbeitsmarkt. Er macht viele Jobs; er stellt Zeitungen zu, von der Tour mit 400 Exemplaren bleiben ihm unter dem Strich 39 Euro, von denen noch das Geld für das Benzin seines 15 Jahre alten Wagens abgeht; er beseitigt Brennnesseln auf dem Friedhof, er wäscht Fassaden ab. In Tränen bricht der Mann aus, wenn er sich vorstellt, dass er seiner studierenden Tochter, die von seinem Elend wenig weiß, nicht mehr 200 Euro Zuschuss für ihren Hochschulbesuch zahlen könnte. Der Gau für ihn: wenn seine Tochter vom Sozialamt gezwungen würde, für ihn zu zahlen. Wie einen Talisman zur Abwehr solcher Pein trägt Hans-Jürgen den Babystrumpf seiner Tochter mit sich herum.

Bevor sich Politikerhände zur Zustimmung für milliardenschwere Ausgaben heben, sollten sich die Verantwortlichen mal diesen kleinen, wichtigen Film ansehen. Nikolaus von Festenberg

„37 Grad: Schuften bis zum Schluss“, ZDF, Dienstag, 22 Uhr 15

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