zum Hauptinhalt
Mörderisch: Annabelle (Felicitas Woll), Lisl (Antje Traue), Maria (Heike Makatsch) und Hannah (Lisa Maria Potthoff, v.l.n.r.) wollen den Immobilien-Mogul Bruck beseitigen.

© dpa

Serie "Herzogpark" bei RTL+: Wo Gift nur mit Champagner schmeckt

Die sechs Folgen wollen Münchens Schickeria vorführen. Das gelingt nicht klischeefrei, ist aber sehenswert

Klischees waren ursprünglich Druckvorlagen zur Vervielfältigung vorgefertigter Worte und Bilder. Mittlerweile haben digitale Reproduktionstechniken analoge abgelöst. Doch obwohl Hochdruckverfahren der Vergangenheit angehören, erfreuen sich Klischees großer Beliebtheit. Im Münchner Herzogpark zum Beispiel, einem Habitat elitärer Wohlstandsverwahrlosung voller Stereotypen. Zumindest aus Sicht von Annette Simon.

[Alle aktuellen Nachrichten zum russischen Angriff auf die Ukraine bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen.]

Die erfahrene Headautorin, zuletzt an der ZDF-Reihe „Kolleginnen“ beteiligt, hat das teuerste Viertel der Landeshauptstadt zum Luxusresort einer RTL-Serie gemacht, die genüsslich alle Klischees der Bussi-Gesellschaft bedient. Das größte heißt Nikolaus van der Bruck. Der Immobilienmogul plant, sein Quartier, besser, sein Reich mit einem phallischen Wolkenkratzer zu verunstalten. Heiner Lauterbach spielt mit einer überdrehten Grandezza, die selbst jene von Lisa Maria Potthoffs Hannah Arndt in den Schatten stellt.

[„Herzogpark“, sechs Folgen, RTL+]

Dabei verleiht auch sie dem Society-Girl einen Schickimicki-Glamour, der exakt so im Fernsehsetzkasten „Obere Zehntausend“ liegt, Berufsschublade „abgebrühte Anwältin“, Persönlichkeitsfach „dekadenter Snob“. München halt. Während Bruck sein architektonisches Ego-Lifting mit aller Gewalt in den Herzogpark rammen will, läuft die It-Lady auf Louboutins dagegen Sturm – allerdings nicht im Dienst von Nachhaltigkeit und Mitgefühl. Es geht ihr ums Lebensgefühl. Soll der Pöbel vom Hasenbergl doch auf Hochhäuser blicken; der Herzogpark will freie Sicht für reiche Patrizier.

So schmiedet Hannah mit ihrer Standesgenossin Lisl (Antje Traue) und der Politikergattin Annabelle (Felicitas Woll) den Plan, nicht nur Brucks Projekt, sondern dessen Entwickler zu beseitigen. Mit Gift – so machen's die Damen der besseren Kreise ja seit Urzeiten. Ihr Anschlag misslingt zwar, wenngleich nur vorerst. Denn mit der haftentlassenen Köchin Maria (Heike Makatsch) wird das Trio bald um eine weniger standesgemäße, aber zielstrebige Frau zum Quartett erweitert, in dem jede einen ganz persönlichen Grund zum Mord am Turmbauer zu München hat.

Echte Vendetta

Wie genau, wird nicht verraten. Doch inszeniert vom Krimi-Regisseur Jochen Alexander Freydank entspinnt sich bereits im ersten von sechs Teilen eine Vendetta, die kein Vorurteil über den Jet Set an Isar und Eisbach auslässt. Da wird selbst im Büro des Bürgermeisterkandidaten Bernbauer (Trystan Pütter) gekokst, dass sich die Nasenflügel biegen.

Wenn Hannah beklagt, dass ihr Park „den Bach runtergeht“, bettelt verlässlich nebenan ein Penner. Auf Nobelpartys wird über Golfhandicaps geredet. Und spätestens, wenn die Servicekräfte dabei rosa Tutu tragen, wird deutlich, wer die Autorin dramaturgisch beraten hat: Patricia Riekel.

Dank der früheren „Bunte“-Chefin fließt viel der Boulevard wie Schampus durch die Serie und hinterlässt das Publikum einigermaßen ratlos, ob in den nächsten fünf Folgen noch mehr kommt als der Cameo-Auftritt dieser Society-Queen in einer Art „Kir Royal“ mit deutlich weniger Esprit. Zweiflern sei deshalbempfohlen: Durchhalten bitte! Denn jenseits der plakativen Knalltüten, die vor allem Lauterbach oder Potthoff verkörpern, gewinnt das Format zwischen den Klischees an Tiefe.

Heike Makatsch reißt es raus

Besonders Heike Makatsch, deren Catering-Service mit halstätowierter (Katrin Filzen) und libanesischer (Sabrina Amali) Kollegin Diversität mit dem Holzhammer herzustellen versucht, wächst als nüchterner Gegenpol zur Glitzergesellschaft förmlich über sich hinaus. Und als Mutter mit drei Kindern, dem Schnösel Hubertus (Lukas Spisser) als Mann „und an Haufen Schulden“, wie sie Hannah beim Besäufnis an der Baugrube gesteht, gleicht Antje Traue deren schrilles Getue durch demütige Gottesfurcht aus. All das macht die bayerische Version der österreichischen „Vorstadtweiber“ zwar noch längst nicht gleichwertig; dazu fehlt ihr schlicht der Schmäh des Originals, sein beißender Spott, die Selbstironie.

Dennoch ist „Herzogpark“ nach stotternder Anlaufphase ein unterhaltsames Stück tragikomischer Heimatfilmgroteske für Leute, denen die „Gala“ zu dämlich ist oder die „Abendzeitung“ zu sachlich. Und wenn sich der Strippenzieher Bruck als Obdachloser selbst begegnet, deutet Freydank an, dass zuletzt womöglich die Gerechtigkeit siegt. Tröstliche Champagnerlaune.

Jan Freitag

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false