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Medien: Sexy oder langweilig?

Der „Hutton Bericht“ und zwei Rücktritte an der Spitze: Die BBC sucht ihre Rolle

Gegen die Winterkälte vermummte Journalisten standen vor dem Hauptquartier der BBC in London, wo das Aufsichtsgremium des Senders mit der schwersten Sitzung seiner Geschichte begonnen hatte. Nach vernichtender Kritik im „Hutton Bericht“ war der Vorsitzende der „BBC Governors", Gavyn Davies, der vom Premier ernannte Spitzenmann der Anstalt, bereits zurückgetreten. Nun warteten die Journalisten darauf, dass BBC-Generaldirektor Greg Dyke ihm folgen würde. Um 15 Uhr war es soweit. Mit einem Schlag war die BBC zu einer kopflosen Organisation geworden.

Der BBC-Chef Dyke hatte seine Position am Mittwoch noch unmöglicher gemacht, als er in einer kurzen Erklärung eine halbherzige Entschuldigung für die journalistischen Fehler der BBC mit einer trotzigen Selbstrechtfertigung verband. Es war die Downing Street, die dann den Daumen senkte und wissen ließ, Dykes durch zusammengebissene Zähne gemurmelte Entschuldigung reiche nicht. Hinter den Personalentscheidungen der Governors stand die entscheidende Frage: Soll sich die älteste öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt der Welt gegen ihre Aburteilung durch Hutton wehren und, wie Dyke, eine Lanze für ihren kritischen Journalismus brechen – oder den Wink des Richters ernst nehmen, Fehler eingestehen und mit einer inneren Reform beginnen, die die BBC wieder redlicher, zuverlässiger, aber weniger „sexy" machen würde?

Hutton hat die BBC auf allen Ebenen kritisiert: den Journalisten Andrew Gilligan für seine „unbegründeten“ Anschuldigungen, seine Redakteure bis hinauf zu News-Chef Richard Sambrook für die mangelnde redaktionelle Kontrolle, den Intendanten Greg Dyke, weil er die Beschwerden der Regierung nicht ernst genug nahm und die BBC-Aufsichtsräte dafür, dass sie Dyke in seinem Kampf gegen die Regierung und ihren empörten Kommunikationschef Alastair Campbell den Rücken stärkte, anstatt ihm und seinen Journalisten auf die Finger zu sehen. „Die Aufgabe, die Unabhängigkeit der BBC zu schützen, war nicht unvereinbar mit einer angemessenen Untersuchung der Beschwerden der Regierung." Mit diesem Satz hatte Hutton den Stab über die BBC-Führung gebrochen.

In der Diskussion stehen die besondere journalistische Verantwortung der Institution BBC und das Bestreben, in der Jagd auf Exklusivgeschichten und Quoten mitzuhalten: „News" zu machen, statt sie nur zu berichten. So auch am 29. Mai 2003, als der offensichtlich schläfrige BBC-Verteidigungskorrespondent Gilligan zu Hause im Schlafanzug in einem Telefon-Interview mit der BBC-Sendung „Today" zum Thema Irakwaffendossier die schicksalsträchtigen Worte sprach: „Die Regierung wusste wahrscheinlich, dass diese 45-Minuten-Zahl falsch war, noch bevor sie diese in das Dossier schrieb." Es ging um die Behauptung, Saddam könne seine chemischen und biologischen Waffen in so kurzer Zeit einsatzbereit machen.

BBC versus Premier

Die BBC hatte ihren „Scoop". Downing Street reagierte mit einem scharfen Dementi. Aber, wie Blair in seiner Unterhauserklärung sagte: „Von diesem Tag an, wurde diese Geschichte in der einen oder anderen Form wiederholt, im Vereinigten Königreich und in der ganzen Welt." Ein Krieg brach aus, der frühere ähnliche Auseinandersetzungen zwischen „Auntie" BBC und britischen Premierministern – etwa im Falklandkrieg – in den Schatten stellte. Aufgerieben in diesem Krieg wurde auch Gilligans Quelle – der Waffeninspektor David Kelly. Trotzdem, als Intendant Greg Dyke am Mittwoch „gewisse Fehler" einräumte, klang seine Reaktion uneinsichtig, trotzig und naiv. „Wir haben den Premier zu keinem Zeitpunkt der Lüge bezichtigt und dies immer wieder gesagt." Der BBC-Übergangschef Richard Ryder entschuldigte sich am Donnerstag „ohne jede Einschränkung“ für Fehler in der Berichterstattung, Blair nahm die Entschuldigung umgehend an.

25 000 BBC-Mitarbeiter standen gestern immer noch unter Schock, fühlten sich missverstanden, wenn auch nicht viele so weit gegangen wären wie der Ex-Chef des „Today"- Programms, Rod Liddle. „Es ist eine goldene Regel, dass solche richterliche Untersuchungen die Regierungen weiß waschen. Doch Andrew Gilligan deckte eine der wichtigsten politischen Geschichten der letzten zehn Jahre auf, und sie war im Großen und Ganzen richtig." Liddle war es, der Gilligan als „investigativen Journalisten" vom „Sunday Telegraph“ abwarb, um in der „Today"-Sendung mehr „Scoops" zu haben. Aber, wie der „Daily Telegraph" schrieb, genau damit verstieß die BBC gegen ihr Ethos. „Von der BBC erwartet man keine dubiosen Geschichten."

Die internen Konflikte der BBC zwischen „Scoop"-Journalismus und dem alten „Goldstandard" mit doppelt und dreifach gesicherten Quellen sind kein Geheimnis. „Auf wackliger Grundlage verwettete Dyke den Hof", so die Selbstkritik des BBC-Traditionsprogramms „Panorama" eine Woche vor dem Hutton-Bericht. Dyke selbst betraute schon vor Monaten seinen Stellverteter Mark Byford mit der Einführung neuer redaktioneller Kontrollen. Nicht von ungefähr kommt Byford vom „World Service“, dem internationalen Arm der BBC. Es ist sogar dort der Chef. Man hat dort die Kommerzialisierung der News-Berichterstattung bei der Inlandsschwester, von der man abhängig ist, mit wachsendem Unbehagen verfolgt. Byford wird neuer Generaldirektor.

Dyke und Davies kamen unter Blair ans Ruder, sahen als „New Labour"-Leute ihre Aufgabe darin, die BBC fit für Blairs neues „Cool Britannia" zu machen. Mit dem gesicherten Einkommensstrom aus den Rundfunkgebühren hat Dyke die BBC in immer neue Bereiche expandieren lassen – Digitalkanäle, Online-Imperium, harter Kampf um Quoten mit den kommerziellen Mitbewerbern.

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