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© dpa

Casting-Shows: Siegertreppchen oder Wanne-Eickel

Kandidaten singen um ihr Leben, Zuschauer spielen Gott: Die Casting-Show "Deutschland sucht den Superstar" geht in die siebte Staffel.

Den Moment ihrer größten Berühmtheit erreichte Monika Ivkic im Jahr 2009 bei der sechsten Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“, aus der sie als Vierte hervorging. Nachdem sie in einer der großen Mottoshows den Klassiker „Without you“ von Mariah Carey gesungen hatte, verglich Juror Dieter Bohlen ihren Auftritt mit einem Dildo. „Technisch gut, aber ohne Gefühl.“ Der Saal tobte, die „Bild“-Zeitung auch, die Quote war super und Monikas Marktwert auch. Mehr Presseanfragen hatte die damals 18-Jährige nie. Es war ihr Karrierehöhepunkt, es war toll! Dann war die Staffel zu Ende und damit der Rummel um Monikas Person. Keine Anfragen mehr, keine Poster, weniger Fanbriefe. „Warum ist es denn plötzlich wieder so ruhig?“, hat sie sich gefragt. Wer einmal ein Millionenpublikum hatte, dem fällt es schwer, so zu tun, als sei nichts gewesen.

Ebenso verschwand der Rummel um den Sieger der letzten, der sechsten Staffel, Daniel Schuhmacher, auf dessen Namen man überhaupt nur kommt, wenn man einige Minuten scharf darüber nachdenkt, wer noch mal die Person war, die im silbernen Stanniolregen in der Halle auf die Knie ging? Langsam entfallen auch die Namen der meisten Gewinner diverser Castingshows. Alexander Klaws, Elli Erl und Tobias Regner sind weit davon entfernt, große Hallen zu füllen. Marc Medlock hält sich mit Hilfe des wohlgelittenen Dieter Bohlen im Musikbusiness, ebenso wie Thomas Godoj. Sat-1-„Starsearch“-Gewinner Martin Kesici versucht seinen Castingshow-Ruf in Rockmusikkreisen vergessen zu machen, damit es wieder besser läuft. Die Gewinnerbands der Pro-Sieben-Castingshow „Popstars“ hießen unter anderem „Nu Pagadi“, „Room2012“, „Overground“, „Preluders“ oder „Queensberry“. Keiner hat sich nach ihrem Sieg jemals wieder für sie interessiert. Die Musikproduzenten nicht – aber die Zuschauer eben auch nicht. Die spannende Geschichte ist für den Zuschauer in dem Moment zu Ende, in dem die Karriere des Gewinners eigentlich erst anfangen sollte.

„DSDS“ und Co. brauchen die Stars nicht. Denn „DSDS“ funktioniert nach einem ganz einfachen Prinzip: mit dem Voyeurismus der Zuschauer auf der einen Seite, an den man sich im Fernsehen nach Jahren des erfolgreichen Dokutainments bereits gewöhnt hat, aber vor allem auch mit dem Massenexhibitionismus der Kandidaten auf der anderen Seite, dem Wunsch, es mal ins Fernsehen zu schaffen. Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz nennt dies frei nach Descartes: „Ich bin im Fernsehen, also bin ich.“ „DSDS“ schaffe ein Ventil für den Kampf um Aufmerksamkeit, denn es gibt theoretisch jedem die Möglichkeit, mit wenig Aufwand von heute auf morgen ein Millionenpublikum zu erreichen, wenn auch nur für kurze Zeit. Dabei ist es gar nicht so wichtig, ob er sich dort zum Affen gemacht hat oder ob er die Staffel gewinnt. Es hat sich jeder, Zuschauer wie Kandidat, damit abgefunden, dass „DSDS“ eine Unterhaltungssendung ist und keine Sendung über Künstleraufbau. Nicht umsonst sind die Casting-Zusammenfassungen vor den Mottoshows, in denen man namenlosen Menschen beim Scheitern zugucken kann, ebenso quotenstark.

„DSDS“ gibt den zum Teil sehr talentierten Kandidaten eine Plattform und den Zuschauern die Möglichkeit, Gott zu spielen. Der Zuschauer hat die Macht. Er kann einen Niemand zum Star machen oder ihn im Fernsehorbit verschwinden lassen. Und für diesen Moment glaubt er auch gern, dass „DSDS“ wirklich Stars und Verlierer generiert, dass Träume wahr oder für immer vernichtet werden. Norbert Bolz sagt: „Der Zuschauer entscheidet, wer aufs Siegertreppchen geschickt wird und wer zurück nach Wanne-Eickel.“

Vielleicht werden auch bei dieser Staffel wieder hysterische Stimmen im Sande verlaufen, die Dieter Bohlen Menschenverachtung vorwerfen, was der Sendung nur noch mehr Auftrieb geben wird. Aber eigentlich ist „DSDS“ längst salonfähig, denn es passt in die Zeit. Die Kandidaten sind zumeist Teenager, die in die Zeit der Reality-Formate hineingeboren wurden, die sich nicht an den alarmierten Aufschrei erinnern, der die heute als eher fad empfundene Sendung „Big Brother“ als gesellschaftlichen Tabubruch einstufte. Sie sind es gewohnt, dass Menschen im Fernsehen ihre Eheprobleme ausbreiten. Für sie ist es normal, ihre Privatphotos in sozialen Netzwerken zu veröffentlichen und dass Praktikumsplätze im Fernsehen erkämpft werden. Für sie ist „DSDS“ keine umstrittene Fernsehsendung, sondern Kult. Auch ihre Eltern haben sich daran gewöhnt: Keine „DSDS“-Mottoshow, bei denen die Eltern nicht in Foto-T-Shirts ihres Kandidatenkindes im Publikum sitzen und bereits den Online-Fanclub gegründet haben. Eine Casting-Generation, die in den „DSDS“-Einspielern gern erzählt, wie sie in der Schule gehänselt wurde oder wie schlimm doch die Flucht aus dem Libanon war.

Die letzte Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“ sahen durchschnittlich 5,5 Millionen Zuschauer, der Marktanteil in der jungen Zielgruppe lag bei mehr als 30 Prozent. Der Erfolg der Sendung wird auch in der heute startenden Staffel anhalten, in der sich noch mehr Kandidaten beworben haben. Im letzten Jahr kamen 31 098 Bewerber zu den Castings, in diesem Jahr waren es 34 420. Die meisten von ihnen werden auf Nimmerwiedersehen und mit dem bisschen Showluft in der Nase wieder in ihr altes Leben entlassen. Die ganz Erfolgreichen von ihnen schaffen es ins Dschungelcamp (Lisa Bund), zum Promidinner (Benni Herd) oder zur RTL-Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ (Annemarie Eilfeld) und reihen sich ein in das selbstreferentielle System C-Prominenz, um vielleicht demnächst in einer Bluebox die „100 peinlichsten ,DSDS’-Auftritte“ zu kommentieren. Und einige wenige der Kandidaten schaffen es, von der Musik zu leben. Zwar nicht als Superstar, aber immerhin als Sänger.

Das Berliner „DSDS“-Casting für die siebte Staffel fand in einer Sprachschule auf der Kastanienallee statt. Vor der Sprachschule stand ein VW-Bus, mit dem eine Gruppe offensichtlich untalentierter Jungs aus Mecklenburg angereist war, nur um mal zu gucken, ob man es zu Dieter Bohlen schafft. „Das wär’ doch mal geil!“ Die Teilnehmer wurden etappenweise ins viel zu kleine Gebäude gelassen, wo sie vor einer aus TV-Redakteuren bestehenden Vorjury für das echte Casting vor Dieter Bohlen, Nina Eichinger und Volker Neumüller ausgesucht wurden. In der Schule saßen die Kandidaten auf dem Teppichboden und übten. Sie sagten nicht „singen“, sondern „performen“, sie wissen, dass das Gesamtpaket wichtig ist. Sie sangen „Zombie“ von den Cranberries oder „Mercy“ von Duffy. Im Raum stand ein Merchandising-Stand, an dem man Schlüsselbänder für 3,50 Euro kaufen konnte, auf denen der Erfolg von „DSDS“ in wenigen Worten auf den Punkt gebracht wurde: „DSDS – Ich war dabei!“ Die Fernsehshow als Kollektivevent, als Highlight, bei dem es schon als Ritterschlag gilt, sich von Dieter Bohlen eine Beleidigung abzuholen.

„Deutschland sucht den Superstar“, Mittwoch, RTL, 20 Uhr 15

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