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Thunberg-Dokumentation auf Sky: „Feiglinge sind wir nicht“
Die BBC-Doku „Greta Thunberg“ bei Sky kommt dem Menschen hinter der Klimaaktivistin nicht wirklich nah. Trotzdem fesselt das Porträt der kämpferischen Frau.
Stand:
Seit Drohnen das Schweben überm Mythos Wald vereinfacht haben, zählt es zum Eröffnungsstandard ästhetisierender Dokumentationen, mit der Kamera hoch über grüne Wälder zu schweben. Auch in dieser Doku erleben wir die Welt in ihrer natürlichen Pracht, also erst mal von oben. Aber nirgends, wirklich nirgends könnte der Kameraflug mit Vegetationsfokus stichhaltiger sein als in einem Porträt, das diese Hauptdarstellerin im Namen trägt.
Greta Thunberg.
Ein Jahr lang hat sie ein BBC-Team laut Untertitel dabei begleitet, die Welt zu verändern. Zwölf Monate, in denen Regisseur Joe Myerscough die größtmögliche, weltwichtigste, seltsam verstörende Influencerin beim Kampf gegen den Klimawandel filmen durfte. Und wo könnten die drei Episoden einer solchen Langzeitbeobachtung besser beginnen als im Wald ihrer schwedischen Heimat.
Dort also, wo die Folgen unserer destruktiven Art zu leben in jeden Jahresring graviert wurden wie Kainsmale, blickt sie so starr und fest wie eh und je ins BBC-Objektiv, sagt Sätze von „wir brauchen Hoffnung“ bis „Hoffnung besteht aus Taten“c – und schon ist der Tonfall einer bemerkenswerten Dokumentation gesetzt.
[ „Greta Thunberg – ein Jahr, um die Welt zu verändern“, Sky, drei Folgen]
Denn im Jahr 2021 ist Klimaschutz Greta Thunberg und Greta Thunberg Klimaschutz. Beide, lernen wir von der ersten bis zur 135. Minute, wurden mehr und mehr zu Synonymen, seit sich die 15-Jährige am 20. August 2018 vor das Stockholmer Parlament setzte und ein Schild hochhielt: „SKOLSTREJK FÖR KLIMATET.“
Es war der Auftakt einer Revolte, besser – einer Revolution. Und obwohl die Konterrevolutionäre weiterkämpfen, obwohl die Emissionen weitersteigen, obwohl die Zivilisation so ungebremst vor die Wand fährt, dass selbst der emotional blockierten Autistin beim UN-Gipfel tränenerstickt der Kragen platzte, obwohl also fast alles zum Verzagen einlädt: Greta Thunberg macht Mut. Der Dreiteiler ebenso wie seine Protagonistin.
Er beginnt mit einem Sabbatical im Mai 2019, das die Schülerin mit ihrem Vater Svante um den lädierten Globus führt. Die Kamera läuft, als sie kanadische Gletscher begutachtet oder das verbrannte Kalifornien. Die Kamera läuft, als sie arktische Ureinwohner besucht und polnische Kohlekumpel.
Die Kamera läuft immer mit
Die Kamera läuft auch bei ihrer How-dare-you-Wutrede von New York oder beim stillen Einzelinterview im elegant ausgeleuchteten Loft. Die Kamera läuft immer ungeachtet ihrer Aufenthaltsorte und Gemütszustände. Die Kamera kann freilich noch so ausdauernd laufen - was aus keinem der unzähligen Blickwinkel sichtbar wird, ist das Wesen, die Person, der Mensch hinter der öffentlichen Greta Thunberg.
Wenn sie sich in die Mitte einer riesigen Fabriketage setzt, beim wiederkehrenden Dialog nervös an den Fingern herumnestelt und angesichts ihrer Furcht vor dem Scheitern der Mission Klimarettung gelegentlich um Fassung ringt, glaubt man zwar den Kern dieser Frau zu erkennen. Selbst im kammerspielartigen Moment ihrer legendären, gefährlich stürmischen Segelfahrt über den Atlantik vom Klimagipfel nach Madrid allerdings kommt das Objektiv der kompromisslosen Emissionsvermeiderin nur physisch nahe, nie psychisch. Was jedoch wie ein Makel solch biografischer Annäherungen klingt, ist in Wahrheit ein Statement und im Grunde definitiv kein schwaches.
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Denn Greta Thunberg mag Nähe jeder Art so konsequent vermeiden, dass es beim Zusehen oft Unbehagen auslöst; am Ende hilft ihr das angeborene Asperger-Syndrom dabei, nur dort zu bleiben, wo sie es für richtig hält: auf der Sachebene.
„Die Leute sagen vieles über mich“, sagt sie zum Doku-Einstieg, bevor Leute wie Trump und Putin wenig Gutes über Greta sagen, was die mit den Worten kontert, man solle sowieso nicht auf sie hören, sondern auf das Wesentliche: „Die Wissenschaft“. Und mit der im Rücken wird „Greta Thunberg – ein Jahr, um die Welt zu verändern“ vom Individualporträt zur Gegenwartsbeschreibung einer Zukunft, vor der auch die Protagonistin ersichtlich Angst hat – wenngleich, ohne zu verzweifeln.
So deprimierend die Fakten der galoppierenden Klimakatastrophe auch sind – Kämpferinnen wie sie lassen sich davon nicht unterkriegen. Und das ist am Ende die gute Nachricht einer angenehm distanzierten Charakterstudie: „Wir geben nicht auf, ohne es zu versuchen“. So was, fügt Greta Thunberg mit ihrer irritierend schwächlich synchronisierten, im Original kraftstrotzenden Stimme hinzu, täten schließlich nur Feiglinge. „Und Feiglinge sind wir nicht.“ Wir, Plural, alle Welt, vereinigt in einem Teenager, der die Last der Volljährigen auf seine Schultern lädt.
Jan Freitag
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