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„Schuld sind nicht die Bauern. Schuld ist das System.“ Die Doku zeigt: Ferkel torkeln durch Berge ihrer verwesenden Geschwister, Schlachter treten auf ihre Eltern ein.

© Joyn

Tierschutz-Doku „Animals Army“: Robin Hood im Stall

Die Doku-Reihe „Animals Army“ porträtiert radikale Aktivisten gegen Massentierhaltung. Diese müssen sich eines Vorwurfs erwehren.

Stand:

48 Jahre – für die meisten Menschen beziffert das weit mehr als die Hälfte der eigenen Daseinsspanne. Ein Zeitraum also, dessen Anfang oft zu fern ist für exakte Rekapitulation. Oder wer weiß noch, was um den 20. Januar 1974 herum alles geschehen ist?

Eben! Auch ein Tiermäster aus Bayern dürfte sich kaum an jenes Frühjahr erinnern, als Willy Brandt über einen DDR-Spion stürzte, Abba mit „Waterloo“ den Grand Prix gewann und sein Mastbetrieb statistisch gesehen letztmalig Besuch vom Staat erhielt, um die Haltungsbedingungen der Hühner, Sauen oder Kühe darin zu überprüfen.

Seit zwei Generationen, so lehrt uns eine Joyn-Plus-Serie von so drastischer Grausamkeit, dass sie eine Warnung enthält, darf die bayerische Agrarindustrie somit machen, was sie will. Bundesweit werden fleischproduzierende Unternehmen zwar ein wenig häufiger kontrolliert.

Aber auch das lehrt uns „Animals Army“: Wenn sich ein niedersächsischer Veterinäramtsvertreter nach durchschnittlich 20 Jahren in eine der unzähligen Tierfabriken verirrt, bleibt alles beim Alten. Und dieses Alte ist ein moralischer, vor allem aber ein politischer Skandal. Einer von vielen.

Viermal 40 Minuten lang tragen Isabella und Felix S. Hoffmann einige davon zusammen. Wobei jeder einzelne Fall zeigt: Der Hinweis zu Beginn jeder Folge, sie enthalte Bilder, „die empfindsame Zuschauer*innen schockieren können“, ist noch untertrieben. Gleich zu Beginn nämlich folgt die Kamera der Aktivistin Anna Schubert in lichtlose Zwinger, deren Personal das verelendete Vieh mit einer sadistischen Niedertracht behandelt, als sei das Leid der Tiere gewinnsteigernd („Animals Army“, Doku-Reihe, vier Folgen bei Joyn Plus+).

Ferkel torkeln durch Berge ihrer verwesenden Geschwister, Schlachter treten grundlos auf ihre Eltern ein, überall wuchern Geschwüre, überall Brüche verbindlicher Rechtsverordnungen, deren Texte die Regisseure hierzu gern mal einblenden.

„Niemand darf einem Tier“, steht da weiß auf schwarz vor einer Leerstelle, „Schmerzen, Leiden oder Schäden zuführen“. Dann wird die Lücke gefüllt: „Ohne triftigen Grund“. Solche Einschränkungen machen das Tierschutzgesetz zur Erfüllungsgehilfin einer Politik, der Gero Hocker ein Gesicht gibt.

Es führt aber auch so zu einer bizarren Schuldumkehr

Anstatt die Zustände einer Haltung zu ändern, der 2020 in Deutschland 727 Millionen Tiere zum Opfer fielen, prangert der FDP-Bundestagsabgeordnete in der Doku ein „perfides Geschäftsmodell“ von Aktivisten wie Anna Schubert an, die ihre Erkenntnisse „manipulieren“ und „meistbietend verkaufen“. Belege liefert er dafür keine.

Es führt aber auch so zu einer bizarren Schuldumkehr. Strafrechtlich verfolgt werden hierzulande ja nicht die Billigfleischfabrikanten von Wiesenhof bis Tönnies, sondern jene, die ihnen mit Bolzenschneider und Nachtsichtgerät auf die Schliche kommen.

Hausfriedensbruch, so lautet meist jener Vorwurf, der auch alle Protagonisten von „Animals Army“ trifft. Daniel zum Beispiel, der schon als Schüler die Qual von Zirkuselefanten dokumentierte und lieber anonym bleiben will. Oder Jan, dem nächtliche Videos unfassbaren Elends in Niedersachsens Schweineindustrie Staatsschutzermittlungen einbrachte.

Dazu Florian, der hinter dem Rücken gefesselt am Rande des rituellen Wal-Gemetzels auf den Färöer kniet und später dem illegalen Fischfang im Rügener Naturschutzgebiet nachstellt. Sie alle porträtiert die Serie zwar ein bisschen distanzlos, aber nicht anbiedernd.

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Denn sie alle mögen sich in ihrer Rolle als Robin Hoods der deutschen Nutztierszene durchaus gefallen; ihre Motivation ist glaubhaft selbstlos und dabei verblüffend nüchtern. „Schuld sind nicht die Bauern“, sagt Anna zwischen Stalleinbrüchen und Werktorblockaden, „schuld ist das System.“

Und genau hier liegt die eigentliche Kraft des Vierteilers. Isabella und Felix S. Hoffmann verkneifen sich erhobene Zeigefinger, sie lassen Bilder sprechen. Und ihre Protagonisten sind dabei zwar rigorose, aber keine ideologischen Überzeugungstäter.

Auch deshalb sorgen sie alle am Ende unerträglicher Aufnahmen von unermesslichem Tierleid im Finale jeder Episode doch für ein bisschen Erlösung. Dann etwa, wenn der Gründer des Deutschen Tierschutzbüros mit seiner Freundin Tiere einer Pelzfarm befreit und glücklich dabei zusieht, wie die renaturierten Tiere auf dem Gnadenhof ihre Instinkte wecken.

Das macht diese Dokumentation nicht nur aufrüttelnd, sondern anrührend und dabei zutiefst lehrreich – zumindest für all jene, denen das Tierwohl ein wenig näher liegt als gedankenloser Konsum.

Jan Freitag

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