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Die „European Alliance“ sollte nationale Ressourcen für besseres Fernsehen bündeln. Der Spionagethriller „Mirage“ mit Hannes Jaenicke und Marie Josée Croze zeigt jedoch, dass internationale Koproduktionen oft nur regionale Konturen abschleifen.

© ZDF und Eric Vernazobres / FTV /

TV-Koproduktion „Mirage“: Doppeltes Trugbild

In die deutsch-französisch-italienische „European Alliance“ wurden großen Hoffnungen gesteckt. Die Spionageserie „Mirage“ erfüllt sie nicht.

Reden wir über Stimmen. Weibliche etwa sind dunkler, tiefer, voller, seit die Emanzipation in Film und Fernsehen für Frauen mehr als Geliebte und Gattinnen bereithält. Frauen wie Claire. Claire ist die Sicherheitschefin eines wegweisenden Atomenergieprojektes im männerdominierten Abu Dhabi und vom ersten Moment des Spionagethrillers „Mirage“ an entsprechend selbstbewusst – zumindest im Originalton der Kanadierin Marie-Josée Croze.

Der süßliche Singsang ihrer deutschen Synchronisation hingegen erinnert an Escort-Girls bei der Klingeltonwerbung und erfüllt so alle Kriterien eines Rückschritts, den auch Susanne Günthner von der Uni Münster kritisiert. Nachdem der Frequenzabstand zum Mann am Bildschirm über Jahrzehnte geschwunden war, registriert die Linguistin „eine Art Gegentendenz“, in der sogar gestandene Frauenfiguren „als Mädchen präsentiert werden, die süß, goldig und ungefährlich sind“, also „einen Retter oder Helden brauchen“. Helden wie Gabriel.

Wenn Frauen sexy kieksen

Denn während Claires Geschlechtsgenossinnen in der stereotypen Synchronisation des französisch-deutschen Dreiteilers durchweg sexy kieksen, donnern die Herren der Schöpfung unterm dämlichen Titel „Gefährliche Lügen“, als würde sich Vin Diesel mit Clint Eastwood nach einer Nassrasur mit dem Buschmesser zum Faustkampf treffen – in dem Fall: der dreitagebärtige „Vikings“-Star Clive Standon und sein kerniger Rivale um die Gunst der schön starken, stimmlich schwachen Claire, Hannes Jaenicke.

Dass die Kanadierin, der Ire und ihr deutscher Kollege ab Montag beim ZDF (oder als sechsteiliges Original in dessen Mediathek) zu sehen sind, liegt an einer Zweckgemeinschaft namens „European Alliance“. Vor drei Jahren hat sich das Zweite darin mit der italienischen RAI und France Télévisions vereinigt, um – lobt sich die PR – „hochwertige fiktionale europäische Serien“ zu realisieren.

[„Mirage“, der erste von drei Teilen läuft am Montag um 22 Uhr 15 im ZDF, als Sechsteiler gibt es die Serie in der ZDF-Mediathek]

Das erste Resultat ist „Mirage“, benannt nach dem französischen Wort für „Trugbild“. So einem nämlich scheint die kieksende Claire zu erliegen, als sie beim Dinner mit Lukas ihren totgeglaubten Ex Gabriel erkennt, den sie zuletzt 15 Jahre zuvor beim Tsunami in Thailand sah.

Anfangs getrennt, bald gemeinsam, geraten alle drei kurz darauf in eine ereignisreiche Hatz um fossile Energieproduzenten, die den Testlauf alternativer Antriebsstoffe stoppen wollen und somit die Basis einer EU-Erzählung auf US-Niveau bilden. Das Tempo ist enorm, die Schnittfolge hoch, der Look brillant.

Wie mies „Mirage“ übersetzt wird, fiele da kaum ins Gewicht – wäre es das einzige Manko dieses opulenten Wirtschaftskrimis. Denn dramaturgisch kommt ein verschwörungsideologisch angedicktes Reißbrettkomplott hinzu, dessen Initiator wie eine Burg in Mordor klingt und seine Schurken offenbar nach Schurkenmimik rekrutiert.

Personell fiel es Regisseur Louis Choquette zudem spürbar schwer, sich Protagonisten jenseits gängiger Schönheitsideale vorzustellen, die daher in 15 Jahren nicht einen Tag altern. Geografisch fotografiert die Produktion ein Katalog-Emirat ohne Misogynie, Zwangsarbeiter, Gluthitze und Armut nach Gusto der Herrscherkaste. Textlich reiht Franck Philippons Writers Room Dialoge aus der Drehbuchhölle aneinander, unter denen solche wie „das ist kein Barbecue, sondern ein Becken voller Haifische“ noch fast gehaltvoll wirken.

Die Schwächen gebündelt

Das Pilotprojekt bündelt also nicht die Stärken dreier TV-Märkte, sondern die Schwächen solcher Koproduktionen generell. Deren Dilemma – das zeigte „The Team“ zuletzt an gleicher Stelle – ist der gezielte Abrieb regionaler Eigenheiten zur globalen Verständlichkeit. „Gefährliche Lügen“ bügelt daher nicht nur sprachliche Facetten glatt; auch sonst stammt der musikalisch verkleisterte Teflon-Bombast aus dem Windkanal einer Massenunterhaltung, die man schlecht lieben, aber gut hassen kann.

Wenn die Erinnerung quält, ist stets ein Foto zur Hand, um sie verträumt zu streicheln. Wenn Verfolger Verfolgte observieren, machen sie dabei sinnlos Fotos. Wenn Frauen fliehen, werden sie von Männern gezogen. Was gut zu sehen ist, wird für Doofe dennoch erklärt. Der einzige Nutzen, den die European Alliance erzielt, ist demnach ein eigener: Dank gut verteilter Zuständigkeiten darf der Apple auf dem Laptop noch länger im Bild sein als der Ferrari-Park in einer Hochglanz-Diktatur, die unkritische Zuschauer nach dieser Dauerwerbesendung gern mal besuchen.

Jan Freitag

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