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Medien: Walser spielt Walser

Zum 80. Geburtstag des großen Schriftstellers hat das ZDF seinen Roman „Ohne einander“ verfilmt

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„Eine Familie ist ein Elendsverband“, heißt es in Martin Walsers Roman, „so etwas verlässt man nicht.“ Die Familie, um die es hier geht, besteht aus Ellen, 45, Redakteurin bei einem Lifestyle-Magazin, Silvio, 50, einem Schriftsteller mit Alkoholproblemen, und zwei Kindern um die 20. Die Eltern ersticken fast aneinander und flüchten in Affären. Tochter Sylvi und Sohn Alf führen, abgeschreckt von der „offenen Ehe“ der Eltern, im gemeinsamen Haus am Starnberger See ihr ganz eigenes Leben – ohne einander. Aber tatsächlich verlässt keiner den anderen. Auch nicht an dem Tag, an dem diese groteske Katastrophe passiert und alle Träume der sympathischen Egomanen-Familie scheitern. Nach einer erschütternden Bürosex-Szene fährt Ellen (Franziska Walser) aus der Redaktion nach Hause, weil sich ihr Liebhaber (Jürgen Prochnow) dort angekündigt hat. Sylvio (Klaus Pohl) soll dann bitte außer Haus sein. Der weicht aber nicht, weil er peinlicherweise mit Ernest unbedingt über seinen neuen Roman sprechen will. Tochter Sylvi (eine Entdeckung: Vijessna Ferkic) muss sich schließlich allein um den Besucher kümmern, was in einem Verhängnis mündet.

Walsers zum Teil aberwitzige Geschichte von 1993 zu verfilmen, ist ein Hochseilakt; links und rechts der Abgrund, der ins Lächerliche oder in die Unglaubwürdigkeit führt. „Bei ‚Ohne einander’ schien eine Verfilmung nach der ersten Lektüre nur schwer vorstellbar. Nach der zweiten auch“, sagt Regisseur Diethard Klante, der schon Romane von Siegfried Lenz, Stefan Heym oder Graham Greene für das Fernsehen umgesetzt hat. Schließlich waren es „die Figuren mit ihrer unkonventionellen Radikalität“, die Klante überzeugten.

Und sicher auch Franziska Walser, die älteste Tochter des Schriftstellers, mit der Klante in den letzten Jahren oft zusammengearbeitet hat und die eine der Hauptrollen spielt. Sie stellte den Kontakt zwischen Regisseur und Schriftsteller her. Martin Walser, dessen Werk bisher mit wenig gelungenen Romanverfilmungen gesegnet war, sagt: „Ich finde es sehr sympathisch, wenn jemand ein Buch in die Hand nimmt, es auseinander nimmt und es als Steinbruch für eine ganz andere Ausdrucksform benutzt.“ In die Filmdramaturgie habe er sich nicht eingemischt. „Das wäre naseweis.“ Nach der Pressevorführung, bei der der Autor den Film zum zweiten Mal gesehen hat, sagt er: „Ich bin gerührt, wie man es vor Zeugen in meinem Alter überhaupt nicht mehr sein dürfte. Durch die Schnitte erfährt das Ganze eine solche Steigerung, dass ich ganz wehrlos geworden bin.“

Spektakulär und manchmal auch irritierend ist dabei die Mischung aus Komik und Tragik. Eine schrille Kombination, die der Wirklichkeit aber wohl sehr nahe kommt. Man sieht die Schwäche und Hilflosigkeit der Menschen, aber auch ihren trotzigen Anspruch auf Glück. Die Pointen werden dabei genauso trocken serviert wie die großen Gefühle. Wenn etwa Sylvio nach einem Streit zu seiner Frau sagt: „Weißt du eigentlich, dass ich dich liebe“ und sie leicht genervt antwortet: „Ja, Sylvio. Das geht mir ähnlich.“ Und die Schauspieler genießen es sichtlich, sich der Seelentragik mit Humor zu nähern. In wunderbaren Nebenrollen sieht man Josef Bierbichler als selbstgefälligen Chefredakteur, Sophie Rois als nassforsches Society-Geschöpf und Wolfgang Pregler als bemitleidenswerten Korrektor, der Ellen zum Sex erpresst.

Vor allem Franziska Walser marschiert unerschrocken durch die Beziehungshölle, die ihr Vater da entworfen hat. Wie war es für die Tochter, diese Geschichte zu spielen? „Ich denke beim Drehen ja nicht ständig darüber nach, dass das jetzt mein Vater geschrieben hat“, sagt die 54-Jährige, die seit über 20 Jahren mit dem Schauspieler Edgar Selge verheiratet ist. „Aber da ist eine Fülle von Stimmungen drin, die man natürlich kennt. Solche Dinge ausagieren und bearbeiten zu dürfen, tut mir gut. Es ist wie eine Belebungsspritze.“ Auch die Thematik sei denkbar zeitlos. „In meine Lebenserfahrung passt sie auch heute noch.“

Das ZDF zeigt den Film anlässlich Martin Walsers 80. Geburtstag am 24. März. Der Jubilar, der „diesen blöden Tag“ ignorieren und in Leipzig aus seinem neuen Buch lesen wird, fände es jedoch „zum Kotzen, wenn dieser hervorragende Film wegen meines Geburtstags gedreht worden ist“. Warum er gedreht wurde, ist vielleicht auch egal. Wichtig für alle Walser-Fans ist, dass gerade noch ein weiteres Buch von ihm verfilmt wurde und zwar – auch unter Beteiligung des ZDF – für die Kinoleinwand. In „Ein Fliehendes Pferd“ sind Ulrich Tukur, Katja Rieman und Ulrich Noethen in den Hauptrollen zu sehen. Offenbar ist auch dieser Streifen sehr gelungen. „Was verfilmt werden angeht“, sagt Walser, „bricht jetzt meine gute Zeit an.“

„Ohne einander“, ZDF, 20 Uhr 15

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