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Regisseurin Sharon Ryba-Kahn mit ihrem Vater am Grab ihres Großvaters auf einem Friedhof in Jerusalem.

© ZDF und Omri Aloni

ZDF-Doku über „displaced persons“: Langzeitwirkungen der Shoa

Ein filmischer Prozess, der mit dem Abspann nicht vollendet ist: Die ZDF-Dokumentation über die Enkel der Holocaust-Überlebenden.

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Filmische Aufarbeitungen der zweiten Generation von Holocaust-Überlebenden sind inzwischen keine Seltenheit mehr. Aber was ist mit der dritten Generation, also den Enkeln derjenigen, die der Hölle von Auschwitz entkamen? Dieses Thema greift Sharon Ryba-Kahn mit ihrem zweiten Dokumentarfilm auf („Displaced – verschoben, verdrängt, vertrieben“, Montag, ZDF 0 Uhr 05).

„Displaced – verschoben, verdrängt, vertrieben“ ist der Abschlussfilm, den die in Berlin lebende Regisseurin an der Filmuniversität Babelsberg realisierte. Der Titel spielt auf sogenannte „displaced persons“ an, eine von den Alliierten geprägte Sprachregelung für Menschen, die im Zweiten Weltkrieg deportiert oder vertrieben wurden. Sharon Ryba-Kahns Vater kam 1947 in München zur Welt. Physisch hat er die Deportationen nicht miterlebt. Im übertragenen Sinn ist auch er eine „displaced person“. Das ist wohl einer der Gründe, warum der Kontakt zu seiner Tochter für viele Jahre abriss.

Der Versuch, wieder zu ihm vorzudringen, bildet den Aufhänger zum Film. Leicht zugänglich ist dieser nicht. Eher unbequem und sperrig, dies aber im positiven Sinn. Der Holocaust wird indirekt thematisiert. Und zwar anhand einer sich über drei Generationen erstreckenden Familiengeschichte.

Ungeschminkt dokumentiert die Regisseurin, wie schwierig es ist, mit ihrem Vater wieder ins Gespräch zu kommen. Meist hat er schon eine Verabredung. Und so reden beide immer wieder aneinander vorbei. Wie in jeder Beziehung zwischen Vater und Tochter. Nein, ein Rabenvater ist dieser Mann nicht. Er kann nur nicht so, wie er will.

Man durfte ihm nichts vorwerfen

Nach mehreren Versuchen erst öffnet er sich. Wie unter einer dicken Staubschicht kommt etwas zum Vorschein, das Jahrzehnte verborgen war. Es geht darum, wie Sharons Vater seinen eigenen Vater erlebt hat. Das ist ein schmerzliches Thema. Man sieht es ihm an, dass er es wohl noch nie artikuliert hat. Als Auschwitz-Überlebender, erklärt er, sei sein Vater Chaim Ryba in gewisser Weise sakrosankt gewesen. „Man durfte ihm nichts vorwerfen“.

Dieses implodierte Familiendrama ist das bemerkenswerte Motiv des Films, der einen nach und nach immer mehr in den Bann zieht. Mühsam und beharrlich arbeitet die Regisseurin heraus, was es heißt, wenn die Last des Gewissens bewirkt, dass man niemals wütend auf den eigenen Vater sein darf. Denn der ist ja ein Überlebender des Holocaust.

Auschwitz umgab immer eine Mauer des Schweigens. Sie führte Moritzs Ryba in die Immigration nach Israel. Das Land, das seinem Vater all das angetan hatte, wurde für ihn so unerträglich, dass er 2017 seinen deutschen Pass zurückgab. Dieses Gefühl innerer Heimatlosigkeit, das er an die dritte Generation vererbt hat, erkundet Sharon Ryba-Kahn.

Den Off-Kommentar spricht sie auf Englisch. Was keine trendige Lifestyle-Attitüde ist. In Gesprächen mit Freunden kommt eine tief verwurzelte Entfremdung zur Sprache. „Ich habe“, so das Credo des Films, „nie den Mut aufgebracht, deutschen Freunden zu sagen: ‚Es schmerzt mich, dass du nicht wahrhaben willst, dass deine Familie meine Familie umgebracht haben könnte’“. Dieses unterschwellige Gefühl sei der „weiße Elefant im Raum, den du ausblenden kannst, ich aber nicht“.

Zum Schluss richtet die Regisseurin die Kamera in den Rückspiegel ihres Autos. Die Zuschauer werden in den Fokus eines filmischen Prozesses gerückt, der mit dem Abspann nicht vollendet ist. Ein Ende, dass verdeutlicht, dass die Vergangenheit nichts Abgeschlossenes ist.

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