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Im Ausnahmezustand. Die obdachlose Melli (Franziska Hartmann, r.) hat große Sorge, ihren neunjährigen Sohn Ben (Claudio Magno) zu verlieren.

© ZDF und Martin Rottenkolber

ZDF-Drama: Stewardess auf der Straße

Die Opfer der Räuber: Der starke ZDF-Fernsehfilm „Sterne über uns“ über eine Stewardess am Rande des Nervenzusammenbruchs .

Das weiß man: Sozialer Abstieg hat so seine Verkleidungen. Aber dass die fesche Frau im quietschblauen Rock und in weißer Bluse, die da mit Koffer und einem Knaben im Schlepptau durch Feld und Wald stöckelt, zum Elendsstand der Obdachlosigkeit gehört, man käme nicht drauf. Aber so will es dieser kämpferische Debütfilm von Christina Ebelt auf den Platz des ZDF-Montagsfilms („Sterne über uns“, Montag, ZDF, 20 Uhr 15).

„Denn Armut ist ein großer Glanz aus Innen“, tröstete einst Rainer Maria Rilke. In dieser Geschichte ist es umgekehrt: Glanz nach außen – perfektes Aussehen, Notlügenkunst, Instinktsicherheit – wird als Abwehrwaffe einer Verarmenden gezeigt. Als löcherige Rüstung allerdings über der inneren Verzweiflung, als kühne, anrührend aussichtslose Taktik in einer verlorenen Schlacht.

Melli (Franziska Hartmann), die großartige Protagonistin in „Sterne über uns“, will fliegen. Der Zuschauer glaubt es der Stehauffrau mühelos. Sie hat als Klassenbeste die Ausbildung zur Flugbegleiterin absolviert und sich für eine Probezeit qualifiziert. Sie will in die Welt hinaus, jung sein, etwas abbekommen vom Lebenskuchen. Die Alleinerziehende liebt ihren neunjährigen Sohn Ben (Claudio Magno). Schwester Leichtfuß aber rechnet nicht mit den Räubern der Lebensenergie, die diese strahlende junge Frau niederdrücken und ihr die Flügel brechen werden.

Ebelts Film verliebt sich in den weiblichen Optimismus der Heldin und verleitet den Zuschauer, wie die Protagonistin die Realität auszublenden. Nur eilig informieren kurze Szenen über den Verlust der Wohnung, über die Schwierigkeit, soziale Rechte zu beanspruchen. Bedingungslos hält der Film zu seiner Hauptdarstellerin. Kommt ihr nicht mit Belehrungen und Besserwissereien. Möchte mit Melli am liebsten abheben, nicht lange zusehen, wie sie mit Vermietern und Sozialämtern rangelt.

Sie ist eben arm, sie wird im Stich gelassen, aber – sie ist stolz. Ein weiblicher Don Quijote von der schönen Gestalt, der nicht das Jammern lernen will. Das macht sie ungewöhnlich. Mutter und Sohn finden eine originelle Fluchtunterkunft: Sie zelten im stadtnahen Wald in S-Bahn-Nähe. Bei Kröten und Schnecken, an trübem Gewässer, bei dem der Badende der Nachbearbeitung auf einer Bahnhofstoilette bedarf, um die Alltagsrealität wieder betreten zu können.

Die stolze Melli stiehlt ihrer Mutter ein paar Scheine aus dem Nachttisch

Von ihrer unfreiwilligen Waldeslust schweigen Melli und Ben. Als hippen Trip in die Naturverbundenheit können sie ihre Zelterei nach außen nicht verkaufen, so gerne Ben das seinem Freund in der Schule erzählen würde. Das soziale Netz um die Waldexilanten zerreißt unerbittlich, so sehr Melli nach Auswegen aus der Armut sucht.

Das Wohnungsamt kann nur einen Platz im Obdachlosenheim besorgen. Eine Frau Gerster (Nicole Johannhanwahr) vom Jugendamt droht mit Sorgerechtsentzug und Unterbringung Bens in einer Pflegefamilie. Mellis Freundin Nadine (Lucia Schulz) macht sich schwierig, als die Obdachlosen bei ihr unterkommen wollen.

Bei der dementen Mutter im Pflegeheim zu nächtigen, funktioniert nur schlecht und gegen Geld. Die stolze Melli stiehlt ihrer Mutter ein paar Scheine aus dem Nachttisch. Moralische Bedenken sind nicht erkennbar.

Auch nicht, wenn sich die Waldfee mit Männern einlässt. Erotische Befriedigung gib es vielleicht für Melli, wenn sie es mit ihrem Kollegen (Elias Reichert) auf dem Flugzeugklo treibt oder sie eine Nacht mit Bens sympathischem Lehrer (Kai Ivo Baulitz) verbringt. Aber eine gesperrte EC-Karte oder eine Flugverspätung, die Melli nicht rechtzeitig zum Zelt kommen lässt, bestimmen ihr Gefühlsleben wohl mehr als Männer und Erotik.

Da bricht ihr fast das Herz. Der Film (Kamera: Bernhard Keller) findet ein Bild für die Verlorenheit des Knaben, wenn der Sohn mit einem Laserschwert in der Dunkelheit verlassen fuchtelt. Ein armes ängstliches Ritterkind einer armen mutigen Ritterin. Es endet finster, in einem Ausbruch von Verzweiflung und Wut. Das Stück von der stolzen Verweigerung einer Tragödie endet als Tragödie.

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