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Wer gewinnt? Karla Eckhardt (Julia Koschitz) verliert vor Carsten Spanger (Justus von Dohnányi, l.) die Fassung, weil er sie in die Irre geführt hat.

© ZDF und Hendrik Heiden

ZDF-Psychothriller mit Julia Koschitz: Mutter ist schuld

Eine Gutachterin muss professionelle Grenzen überschreiten: Im ZDF-Psychothriller duellieren sich Julia Koschitz und Justus von Dohnányi.

Architekt Carsten Spanger (Justus von Dohnányi) genießt den Augenblick: Er küsst die Frau, die er im Sessel gefesselt hat, auf die Stirn, dreht die Musik lauter, flößt ihr gegen ihren Willen Champagner ein, während im Hintergrund die schöne Tenor-Stimme von Cyrille Dubois mit einem Lied aus der Bizet-Oper „Die Perlenfischer“ zu hören ist.

Spanger hat sein Opfer in gewisser Weise auch gefischt, hat die vom strömenden Regen durchnässte Frau aufgegabelt und ihr vermutlich freundlich Hilfe angeboten. Aber als sein Opfer fleht: „Ich will jetzt wirklich nach Hause, bitte“, bringt Spanger sie mit Klebeband zum Verstummen.

Ein wohlhabender, kultivierter Übeltäter, der klassische Musik mag und eine Villa mit Pool bewohnt. Regisseur Till Endemann und die Kamera von Lars Liebold zelebrieren diese ersten Einstellungen geradezu, doch zur Tat kommt es nicht.

Ein junger Mann hat sich Zutritt zur Villa verschafft, schlägt den Bösewicht nieder und sperrt ihn in einem Raum hinter Glaswänden ein. Spanger haut wütend gegen das Glas, bis es springt, und faucht wie ein wildes Tier. Etwas zu offenkundig wird dem Publikum hier ein Monster präsentiert. Später wird Spanger behaupten: „Ich hatte zunächst das Gefühl, dass sie das wollte.“

Julia Koschitz als Gutachterin Karla Eckhardt und Justus von Dohnányi als Tatverdächtiger liefern sich im Psychothriller „Im Schatten der Angst“ ein packendes Duell, in dem es auch um Motive hinter der Tat geht. Ungewöhnlich auch die Dramaturgie: Eckhardt war zuerst beauftragt worden, die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten zu begutachten, doch der Auftrag war ihr wieder entzogen worden. Warum dies geschehen ist und was zwischen Tat und Gerichtsprozess über Spanger in Erfahrung gebracht wurde, erzählt der Film im Rückblick.

Die pure Einzelkämpferin

Prunkstücke sind dabei die kammerspielartigen Duelle von Koschitz und von Dohnányi, bei denen es nicht nur auf die Dialoge, sondern auf Körperhaltung, jede Bewegung und jede Geste ankommt.

Als Zuschauer zittert man förmlich - angesichts der von Dohnányi mit sparsamen Mitteln, aber umso eindringlicher gespielten Bedrohlichkeit Spangers - um die Psychologin. Regisseur Till Endemann inszeniert die ersten Begegnungen in einem surreal wirkenden, rosa gestrichenen Raum in der geschlossenen Anstalt, in die der Architekt nach seiner Verhaftung gebracht wird – was den Eindruck verstärkt, dass Spanger und Eckhardt sich in einer eigenen Welt begegnen.

Die pure Einzelkämpferin ist die abweisende, wortkarge Eckhardt aber nicht. Das Drehbuch von Rebekka Reuber und Marie-Therese Thill stellt ihr einen „Praktikanten“ an die Seite, den anfangs übereifrigen, schließlich überaus hilfreichen Niklas Teubert (Aaron Friesz).

Dass Frauen Chefinnen sind und jüngere, männliche Zuarbeiter haben, gibt es im Fernsehen nicht allzu oft. Außerdem lebt Eckhardt allein, übernimmt also weder die üblichen Rollen Ehefrau, Freundin oder Mutter, noch gibt es irgendein Anzeichen von „love interest“.

Der Clou dieses Psychothrillers („Im Schatten der Angst", ZDF, Montag, 20 Uhr 15) ist nicht neu, funktioniert aber auch hier: Die Gutachterin muss professionelle Grenzen überschreiten, muss sich gegenüber Spanger öffnen, um zur Wahrheit vorzudringen. Eckhardt erleidet im Dunkeln Panikattacken, weil sie in ihrer Kindheit in die Kammer gesperrt wurde.

Nicht überraschend ist, dass sich dann auch noch Parallelen zu den traumatischen Erfahrungen Spangers auftun, kurz gesagt: Mangelnde Mutterliebe ist schuld – bei vollständiger Abwesenheit der Väter.

Ein psychologischer Klassiker, nicht sehr originell, dennoch bleiben die Hauptfiguren ein Stück weit überraschend und rätselhaft. Vor allem aber: An Spannung mangelt es bis zum Ende nicht.

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