
© ZDF und Letterbox / Thorsten Jan
Serien-Drama mit Jan Josef Liefers: Zerlegte Idylle
Kehrt der vermisste Sohn zurück? Eine ZDF-Serie erzählt aus acht Blickwinkeln von einem Unglück auf See.
Stand:
Auf einer kleinen Insel in der Flensburger Förde haben sich zwei befreundete deutsch-dänische Familien ihr privates Paradies erschaffen. Sie wirken wie eine harmonische Patchwork-WG – bis Kjell (Lukas Zumbrock), der Sohn von Sabine (Katharina Schüttler) und Bernd (Jan Josef Liefers), bei einem Segeltörn über Bord geht und nicht wieder auftaucht. In jeder der acht „Tod von Freunden“-Folgen seziert Autor und Regisseur Friedemann Fromm die Unglücksnacht an Bord und das brüchige Insel-Idyll – jeweils aus der Perspektive einer der acht Hauptfiguren.
Wie in einem gigantischen Puzzle zerlegt er die komplexen Beziehungen in ihre Einzelteile und setzt sie wieder zu einer raffinierten Filmreise zusammen. Bei einer Dramaturgie, die nach einem Schritt vorwärts häufig erst mal wieder zwei zurück macht, um vieles (buchstäblich) noch einmal in einem anderen Licht zu betrachten, bedarf es bei knapp acht Stunden Gesamtlänge allerdings auch etwas Durchhaltevermögen („Tod von Freunden“, ZDF, zwei Doppel-Folgen, sonntags, 22 Uhr 15).
Bernd betreibt mit Charlie (Lene Marie Christensen) ein Architekturbüro. Sabine unterrichtet Tanz, Charlies Mann Jakob (Thure Lindhardt) ist Künstler und Hausmann. Der autistische Karl (Anton Petzold) und sein Bruder Kjell sind mit Cecile (Milena Tscharntke) und Emile (Oskar Belton), den Kindern von Charlie und Jakob, eng befreundet. Die vier Jugendlichen haben sich wie die Musketiere geschworen: „Einer für alle – alle für einen“. Bernd trainiert Emile und Kjell überdies beim Kanupolo, Cecile und Kjell tanzen gemeinsam in Sabines Kurs.
Bereits in der ersten Folge zeigen sich Risse durch das Auftauchen von Jakobs Bruder Jonas (Jacob Cedergren). Rückblenden in Schwarz-Weiß lassen auf eine politisch-militante Vergangenheit schließen. Sabine stellt Jonas zur Rede („Der Deal war: Du hältst dich fern von uns“) und droht ihm. Als Faustpfand und Beweisstück für den Mord an einem Polizisten verwahrt sie die Tatwaffe.
Insbesondere für Sabine hat sich mit dem Leben auf der Insel ein Traum erfüllt. Von der Zwickmühle ihres Mannes weiß sie vorerst nichts:. Bernd und Charlie haben gute Aussichten, den Auftrag für den Neubau einer Brücke in New York zu ergattern, was einen Umzug in die USA nach sich ziehen würde. Um etwas Zeit für sich selbst zu haben, bleiben Sabine und Bernd zu Hause, während die anderen sechs auf den verhängnisvollen Segeltörn gehen, bei dem Kjell ins Wasser fällt.
"Ich bin nicht behindert, ich bin Autist."
Jakob übernimmt bei der Polizei die Verantwortung für das Unglück und deckt damit das Fehlverhalten seiner Frau an Bord, gerät mit Charlie jedoch zunehmend in Streit über die eigene Beziehung. Bernd verlangt immer energischer Klarheit über die Vorgänge in der Unglücksnacht. Cecile, in die Kjell verliebt war, gerät ins Drogen-Milieu, was ihren Bruder Emile zu lebensgefährlichen Rettungsversuchen animiert.
Und Karl glaubt fest daran, dass sein geliebter Bruder Kjell wiederkehren wird, wenn er nur genügend Lichter an verschiedenen Orten in Küstennähe aufhängt.
Bestechend ist die vielseitige Bildgestaltung (Ralf Noack), das Spiel mit Schärfe und Unschärfe, Farben und Licht. Hinzu kommen Unterwasser- und Drohnenbilder sowie Traumwelten im Graphic-Novel-Stil. Das Ensemble bietet eine interessante Generationen-Mischung aus zwei Ländern, aus Etablierten (Liefers, Schüttler), großartigen dänischen Gast-Stars (Christensen, Lindhardt) und deutschen Nachwuchsdarstellern, die in häufig zweisprachigen Dialogen gefordert sind.
Liefers lässt mühelos seinen „Tatort“-Boerne hinter sich und spielt hier überzeugend einen zornigen Vater, zweifelnden Ehemann und sensiblen Freund. Und wer hätte gedacht, dass er die Kenterrolle im Kanu draufhat?
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Zum Sympathieträger entwickelt sich vor allem der autistische Karl. Nun ist die Darstellung von Autismus im Film meist eher stereotyp. Karl vereint nicht nur sämtliche Verhaltensweisen, die landläufig für typisch gehalten werden wie das betont monotone Sprechen des Darstellers Anton Petzold und das Hin-und-her-Wiegen in Stress-Situationen.
Er ist intelligent, ein blitzschneller Kopfrechner. Er braucht einen verlässlichen Rahmen aus Ordnung und Pünktlichkeit, aber er ist auch ein talentierter Zeichner, erfreut durch klare Ansagen („ich bin nicht behindert, ich bin Autist“), einen kuriosen Hang zum Witze-Erzählen und unerschütterliche Tatkraft. Karl ist kein bedauernswerter, unzugänglicher Soziopath, sondern ein ebenbürtiger Musketier im Bündnis der Jugendlichen. Und nicht zuletzt ist er es, dem mit seinen Spielfiguren D’Artagnan, Athos, Porthos und Aramis eine Schlüsselrolle in dem Drama zukommt.
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