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Maris Hubschmid

© Kitty Kleist-Heinrich

Maris Hubschmid traut sich was: Mein kleiner Betrug an Kollegen

Im Redaktionsalltag einer Tageszeitung muss man flexibel sein. Doch in unserem Ressort gibt es eine Regel, die unumstößlich ist – die Kuchenregel.

Im Redaktionsalltag einer Tageszeitung muss man flexibel sein. Doch in unserem Ressort gibt es eine Regel, die unumstößlich ist – die Kuchenregel. Du musst Kuchen mitbringen, wenn du in den Urlaub gehst, Geburtstag hast, Betriebsjubiläum feierst, heiratest, ein Kind kriegst, einen Preis gewinnst. Mit Kritik wird nicht gespart: weniger Backpulver. Eine Spur zu viel Salz.

Selbstverständlich ist der Anspruch, etwas selbst zu backen. Neulich war ich an der Reihe, und es war klar: Ein Kuchen würde nicht reichen. Wir waren vollzählig, und dann ist da der Kuchentourismus – einige Kollegen riechen Butterstreusel durch vier Glastüren! Außerdem fielen bei mir einige Kuchenverpflichtungen zusammen. Da wurde Großes erwartet.

Vielleicht hole ich ausnahmsweise einen gekauften, überlegte ich. Natürlich nicht irgendwas! Für einen Standard-Blechkuchen vom Bäcker darf man kein Lob erwarten. Also fuhr ich acht Bahnstationen, um 24 opulent dekorierte Mini-Cupcakes zu holen. Sie waren teuer, aber winzig. Ich entschied, doch noch zu backen. Im Supermarkt kamen mein Mann und ich an den Tiefkühltruhen vorbei. „Oder sowas?“, fragte er und zeigte auf eine pompöse Kuppeltorte mit weißer Schokolade und Erdbeer-Panacotta- Füllung. „Neeee, das kann ich nicht machen“, sagte ich. „Tiefkühltorte – das wirkt total lieblos!“ Schon sah ich den tadelnden Blick der Chefin, einer leidenschaftlichen Bäckerin. „Allenfalls die hier, zusätzlich.“ Ich griff nach der kleinen „Daimtorte“ einer schwedischen Firma. Mein Mann legte die Kuppeltorte trotzdem neben Eier und Butter in den Einkaufskorb.

Die Kartons werden im Mülleimer versteckt

Zu Hause wurde ich plötzlich schrecklich träge. Ich buk nicht mehr. Am Morgen schämte ich mich für das, was ich in meinen Rucksack lud. Ich packte eine Kuchenplatte und Tortenspitze ein, entfernte im Büro sämtliche Folien, die auf Fertigprodukte hindeuteten. Die Kartons stopfte ich so tief es ging in den Mülleimer am anderen Ende des Ganges.

„Boah – alles selbst gebacken?“, fragten die Ersten, als ich die Kuchen hereintrug. Foppten sie mich? „Einiges habe ich gekauft“, wich ich aus. Sie langten zu und gerieten ins Schwärmen. Doch sie hoben nicht den selbstgebackenen oder die Konditor-Küchlein, sondern die Tiefkühltorten hervor. „Das ist die beste“, oder „die hier müsst ihr probieren“.

Wieder kam die Frage: „selbstgemacht?“ Ich war verunsichert. Zumindest die Daimtorte mussten sie doch kennen – auf wie vielen Festen ich die schon gegessen habe! Aber das war, als man sich noch bedenkenlos über Bofrost-Favoriten austauschte, Kindergeburtstage bei McDonald’s stattfanden und Fertiglasagne nicht mit Fury assoziiert wurde. „Bei uns um die Ecke gibt es eine kleine Manufaktur – die macht fantastische Bio-Kuchen“, sagte ich. Das war nicht gelogen.

"Gibt es hier die tollen Torten?"

Weitere Kollegen kamen. „Gibt es hier die tollen Torten?“ Meine Chefin hatte sie in der Mittagskonferenz angepriesen. Wer noch nicht gekostet habe, verpasse etwas. Mir sagte sie am Abend, da ich mich für einige Zeit aus dem Büro verabschiede: „Du wirst uns aus vielen Gründen fehlen. Einer davon sind die köstlichen Kuchen, die du immer bringst.“

Als ich die Reste aufräumte, waren noch drei Teile da. Zwei der extravaganten Törtchen und ein Stück meines eigenen Kuchens. Der Spätdienst nahm beides gern, erkundigte sich aber: „Das Meisterwerk ist alle?“

Tags darauf schrieb eine Kollegin: „Jetzt habe ich die Kuchenschlacht verpasst. Wie ich hörte, muss Deine Panacotta-Torte einzigartig gewesen sein.“ Sie war es nicht: Coppenrath und Wiese, 9,99 Euro.

Kollegen, seht es positiv: Ihr könnt euch dieses Geschmackserlebnis selber verschaffen, während ich weg bin. Und wenn ich wiederkomme, bringe ich Kuchen mit.

Von Maris Hubschmid

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