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Neu im Kino: „Ein Universalgenie“: Wolfgang Beckers letzter Film
Kurz vor seinem Tod drehte der „Good Bye, Lenin!“-Regisseur seinen neuen Film: „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“. Hauptdarsteller Charly Hübner erzählt, wie er sich an Wolfgang Becker erinnert.
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Es ist traurig und eine berührende Geste zugleich. Ein Jahr ist es her, dass der deutsche Regisseur Wolfgang Becker 70-jährig starb, der einst mit seiner Wendezeit-Komödie „Good Bye, Lenin!“ Kinogeschichte geschrieben hat. Nun, einen Tag vor seinem ersten Todestag, kommt Beckers letzter Film auf die Leinwand.
Die Tragikomödie „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ erzählt von einem Mann, der wider Willen zum Drahtzieher einer fiktiven Massenflucht aus der DDR stilisiert wird. Kurz nach dem Ende der Dreharbeiten starb Becker am 12. Dezember 2024 an einer schweren Krankheit. Die Produktion wurde dennoch fertiggestellt. Zum Glück.
Film mit Charly Hübner, Christiane Paul und Daniel Brühl
Für die Verfilmung des Romans von Maxim Leo hat er einen prominenten Cast vor der Kamera versammelt: Charly Hübner, Christiane Paul, Peter Kurth, Leonie Benesch, Jürgen Vogel und Daniel Brühl spielen mit.
„Es stand im Raum, dass Wolfgang krank war. Mal ging es ihm gut und dann nicht so gut. Er hatte eine Klarheit darüber, dass es eben auch gut möglich ist, dass er nicht mehr da ist“, sagt Hauptdarsteller Hübner (53) rückblickend der Deutschen Presse-Agentur.
Hübner: „Großartig, dass Wolfgang bis zum Schluss gedreht hat“
„Dass er dann aber doch ziemlich zügig nach dem Dreh verstarb, ist natürlich überraschend gewesen. Aber es ist doch großartig, dass Wolfgang seinen Film wirklich bis zum Schluss mit uns gedreht hat.“ Seinen letzten Drehtag mit ihm habe er noch in Leipzig erlebt, erzählt Hübner, dann habe Becker sogar noch einen ersten eigenen Schnitt gemacht.
„Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ setzt sich unterhaltsam mit der kollektiven Erinnerungskultur an das einst geteilte Deutschland auseinander und der Frage, wie wir Geschichte wahrnehmen. Der Regisseur lässt die Handlung seines Films aber nicht in der DDR, sondern in der Gegenwart spielen.
Micha (Charly Hübner), ein abgerockter Videothek-Besitzer aus dem hippen Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg im Bademantel, wird vor dem 30. Jahrestag des Mauerfalls plötzlich gegen seinen Willen zum deutschen Helden erklärt.
Vom Hochstapler zum Mauerfall-Helden
Denn, da ist sich zumindest der verbissene Journalist eines Nachrichtenmagazins (Leon Ullrich) sicher, er hat mehr als 120 Menschen im Jahr 1984 aktiv zur Flucht verholfen. Er soll als Angestellter der damaligen Reichsbahn bewusst eine Weiche falsch gestellt haben, so dass eine Bahn am Berliner Bahnhof Friedrichstraße in den Westen statt zurück in die DDR fuhr.
Aber ist das wirklich alles so passiert? Noch bevor Micha hier Licht ins Dunkel bringt, verbreitet sich die Geschichte wie ein Lauffeuer. Zunehmend windet er sich in einem Geflecht aus Lügen und Halbwahrheiten. Erst landet er auf dem Cover des Nachrichtenmagazins, dann wird in eine Talkshow eingeladen und darf den Bundespräsidenten treffen.
Auch soll seine (vermeintliche) Heldentat verfilmt werden. Nicht zuletzt lernt Micha eine Frau (Christiane Paul) kennen, die damals in der besagten Bahn saß. „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ ist ein vergnüglicher Film über Geschichtsverständnis („Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat“) und mediale Sensationsgier.
Ost-West Thematik als Alltagsgeschichte nah am Menschen
In einer Szene soll Micha im Fernsehen von seinem Leben in der DDR erzählen. Der Journalist rät ihm: „Es wäre gut, wenn Sie auch ein bisschen was vom Leiden erzählen könnten. Das erwartet man einfach heute“. Micha: „Sie meinen, das erwartet man im Westen.“ Leiden sei kompliziert. Und: Er habe nicht gelitten.
Wie schon bei „Good Bye, Lenin!“ im Jahr 2003 - ein Sohn spielt seiner kranken Mutter den Fortbestand der DDR vor - erzählt Becker die große Ost-West-Thematik als eine Alltagsgeschichte nah am Menschen. Die Zeitgeschichte als Hintergrund, ein Mann im Mittelpunkt.
Hübner über Becker: „Ein Universalgenie für den deutschen Film“
Hübner sagt rückblickend über Beckers Bedeutung: „Letztlich ist er ein Universalgenie für den deutschen Film, wenn man die Filme aus der Betrachtungsweise herausnimmt, wie viele Zuschauer sie erreicht haben oder welchen Stil sie gerade bedienen.“ Er habe Filme aus dem gesellschaftlichen Raum heraus geschaffen und nicht, weil er einen Film in einem bestimmten Stil machen wollte.
„Dieses Punkige, Anarchische, das ist eben Wolfgang. Das macht ihn solitär, auch, dass er so wenige Filme gedreht hat, die dann aber in sich eine hohe Perfektion hatten.“ Es lohne sich, alle zu schauen, sie seien super gealtert, findet der Schauspieler. Tatsächlich hat sich Becker zwischen seinen Filmen oft viel Zeit gelassen.
Mit Jürgen Vogel machte er einst die Tragikomödie „Das Leben ist eine Baustelle“ (1997). In der Kunstbetrieb-Satire „Ich und Kaminski“ (2015) nach dem Roman von Daniel Kehlmann ging es erneut um eine Täuschung. Mit „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ greift Becker dieses Motiv ein letztes Mal auf und zeigt sein Gespür für das Menschliche in Geschichten.
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