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In Bars kann inzwischen auch wieder drinnen getrunken werden.

© imago images/Marius Schwarz

Berlin-Kolumne von Peter Wittkamp: „Nur die Bardame lächelt zurück. Aber das ist auch ihr Job“

Unser Kolumnist war in einer Bar – zwischen komischen Leuten, Einsamen und Feiertouristen. Über einen Abend, der fast so wie früher war.

Stand:

Ich war letzten Samstag in einer Bar. So wie früher. Außer, dass ich natürlich meine digitale Impfbescheinigung auf dem Smartphone dabeihatte. Die aber niemand kontrolliert hat. Also doch wie früher. Es gibt einen schönes Wort im Deutschen für den Besuch eines Restaurants oder einer Bar. Einkehren. Ich mag das Wort gerne. Und ich mag das Einkehren gerne.

Ich kehrte also in eine Bar ein. Ich setze mich an den Tresen und belog mich ein bisschen selbst, indem ich mir vormachte, ich würde gerne erst mal nur ein kleines Bier trinken. Doch ich nahm mir die Lüge ab und bestellte ein genau solches. Dann noch eines. Dann gab ich auf und dachte, wem soll denn dieser ganze Selbstbetrug etwas bringen. Also bestellte ich ein großes Bier.

Dann schaute ich mich um. Man hatte während der Pandemie ja fast vergessen, wie das so ist, in eine Bar einzukehren und dann rumzusitzen. Ich war alleine in eine Bar eingekehrt. Na ja … heißt ja auch einkehren, nicht zweikehren.

Ich vertrödelte also noch mehr Zeit

Ich war nämlich zu Hause noch mal eingeschlafen, obwohl ich auf ein Fest eingeladen war. Gegen halb zehn wachte ich auf und dachte, nun ist es aber auch zu spät für die Feier. Eigentlich wäre es der perfekte Zeitpunkt gewesen, sich aufzumachen. Aber man ist ja in der Stunde nach einer ungeplanten Einschlafung immer so dösig und realitätsfern und bekommt nichts auf die Reihe. Ich vertrödelte also noch mehr Zeit. Bis es irgendwann elf Uhr war und ich dachte: Nun ist es aber endgültig zu spät für das Fest. Dieses Mal hatte die Behauptung mehr Substanz.

Tagesspiegel-Kolumnist Peter Wittkamp.

© Peter von Felbert

Andererseits war es Samstagabend und als Kolumnist ist es meine Aufgabe, etwas zu erleben, damit ich weiter Texte über mein aufregendes Leben schreiben kann. Ich nötigte mir also den Kompromiss „Bareinkehrung“ ab. Vielleicht einfach nur ein oder zwei kleine Biere.

Eine Stunde später, das wissen Sie bereits, war der erste Teil dieses Plans aufgegangen, während der zweite Teil gescheitert war. Ich schaute mich also zu einem großen Bier um. Zu Beginn eines Barbesuches ist einem ja meist alles fremd. Komische Leute, manche bereits betrunken, reden zu laut, während irgendjemand von irgendwoher ebenfalls zu laut Musik abspielt.

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Doch so nach ein, zwei Stunden hat man die komplette Soziologie der Gaststätte verstanden. Das da vorne ist die Touristengruppe, die nachher unbedingt noch weiterziehen will, wobei sie aber Angst vor der Schlange am Watergate hat und das Sisyphos als Alternative ins Auge gefasst hat. Die zwei am Tresen haben ihr erstes Date. Läuft ganz gut. Und wenn sie weiter so oft lacht und er weiter so behutsam aber beständig näher heranrückt, müssten sie sich eigentlich in spätestens einer Viertelstunde küssen.

Der Mann daneben hingegen ist alleine, wäre aber lieber nicht alleine. Zumindest versucht er seit 90 Minuten jede Frau anzulächeln, die die Bar betritt, verlässt oder hinter dem Tresen die Gäste mit Getränken versorgt. Nur die Bardame lächelt zurück. Aber das ist auch ihr Job.

Der einsame Mann hat aufgegeben und ist gegangen

Das da hinten am Tisch, die große Runde, das muss ein Geburtstag sein. Wobei das Geburtstagskind nicht weiß, dass Eva sie nicht mehr leiden kann, seit sie mit Jochen Schluss gemacht hat. Zumindest hat das Eva eben Clara erzählt, als beide am Tresen Nachschub geholt haben. Jochen hatte doch alles. Kinderwunsch, soliden Job in der Agentur und dann noch das Ferienhaus der Eltern in Frankreich direkt am Meer.

Neben mir am Tresen sitzt dann noch die Freundin des Bar-DJs. Sie hat absolut keinen Lust auf diesen Abend, ist aber trotzdem mitgekommen. Aus Protest braucht sie für ihr einziges Getränk zwei Stunden und nickt nur bei ihren absoluten Lieblingsliedern kurz mit dem Kopf.

Eine Stunde später. Der einsame Mann hat aufgegeben und ist gegangen – morgen ist ja auch noch ein Tag, vielleicht lächelt dann ja jemand zurück. Das Date knutscht endlich. Wurde aber auch Zeit. Die Touristen sind weiter. Hoffentlich ist die Schlange vorm Watergate nicht so lang. Der DJ hat seine Schicht beendet und ist samt Freundin verschwunden. Vielleicht auch ins Watergate. Aber dann wird die Schlange ja noch länger.

Ach, ich finde es großartig, dass ich endlich wieder in Bars gehen kann. Nein: einkehren! Beim nächsten mal dann aber nur kleine Biere. Wahrscheinlich. Und vielleicht überlegt sich das Geburtstagskind die Sache mit Jochen ja noch mal. Der schien doch gar nicht so ein schlechter Typ zu sein. Und die Ferienhäuser in Frankreich direkt am Meer werden auch nicht billiger.

Peter Wittkamp ist Werbetexter und Gagschreiber. Er ist derzeit Hauptautor der „Heute Show Online“ und hat die Kampagne #weilwirdichlieben der Berliner Verkehrsbetriebe mit aufgebaut. Ab und zu schreibt er ein Buch, publiziert bei Instagram als Peter_Wittkamp oder twittert unter dem leicht größenwahnsinnigen Namen @diktator. Im Tagesspiegel beleuchtet Peter Wittkamp alle 14 Tage ein Berliner Phänomen.

Peter Wittkamp

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