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Ätzende Arbeit. Für einen ganzen Sack Knoblauch benötigt Marites Arendain (Bild oben) acht Stunden und erhält dafür lediglich 1,67 Dollar.

© Geela Garcia

Die Knoblauchschälerinnen von Manila: Der Geruch der Schattenwirtschaft

Das Schicksal der Knoblauchschälerinnen zeigt, wie wenig Frauen auf den Philippinen verdienen – und wie andere davon profitieren.

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Der scharfe Knoblauchgeruch klebt den ganzen Tag an den schwieligen Händen von Marites Arendain – schon seit Jahren, weil sie von Hand kiloweise Knoblauch schält, der an Märkte und große Fast-Food-Ketten geliefert wird. Sie verdient 1,67 US-Dollar pro 15-Kilo-Sack, den sie pro Tag schält - ein Bruchteil des Mindestlohns von 10,68 US-Dollar. Es reicht gerade dafür, der achtköpfigen Familie ein Kilo Reis und etwas Dörrfisch zu kaufen. „Den ganzen Tag lang zu schälen verätzt mir die Hände, vor allem dann, wenn der Knoblauch frisch oder dick ist“, sagt sie.

Knoblauch ist sehr gefragt auf den krisengeplagten Philippinen, er ist eine Grundzutat der lokalen Küche, die in kleinen Restaurants ebenso gern eingesetzt wird wie in den großen Fast-Food-Ketten Manilas, der Hauptstadt der Philippinen. In Baseco, einer armen Region in der Nähe des Hafens von Manila, wird ein Großteil des Knoblauchs geschält. Dieser landet dann in abgepackten Speisen, die man in den Fast-Food-Ketten kaufen kann, oder in den Corned-Beef-Dosen von den großen Lebensmittelkonzernen, oder in den extravaganten Speisen der Luxushotels.

Arendain ist eine von Hunderten von Müttern in Baseco, die Teil der Knoblauch-Schattenwirtschaft sind. Für sie und andere Mütter bedeutet die Arbeit von zu Hause, dass sie – trotz der langen Arbeitsstunden und des knappen Einkommens – ihre Kinder versorgen und etwas Geld für den Lebensmitteleinkauf hinzuverdienen können. Arendain arbeitet von zu Hause, wo sie bei schwerem Regen knietief im Flutwasser steht. „Ich stehe um zwei Uhr in der Früh auf, um den Knoblauch in Fässern mit Wasser einzuweichen, während ich meinen kleinen Sari-Sari-Laden (Mini-Markt) vorbereite“, sagt sie.

15 Kilo muss sie am Tag schälen

Sie verbringt den Rest des Morgens damit, eine Knoblauchzehe in der linken und ein kleines Teppichmesser in der rechten Hand zu halten. Sie benötigt acht Stunden, um einen 15kg-Sack zu schälen; meist ein paar Stunden am Morgen, nachmittags und abends, die sich zwischen den übrigen Aufgaben der Hausarbeit finden lassen. „Um die Mittagszeit beginne ich den neu gelieferten Sack vorzubereiten, während ich die Hausarbeit erledige. Ich gehe um 23 Uhr schlafen, weil ich noch die Kinder versorgen muss“, sagt sie.

Die meisten Bewohner von Baseco sind Migranten aus den Provinzen, die sich in der Hauptstadt auf die Suche nach einer besser bezahlten Arbeit machten. Sie leben in behelfsmäßigen Unterkünften, die mit Blech ausgekleidet sind und während der Taifunsaison nur wenig Schutz vor Wind und Regen bieten. Baseco liegt nahe am Hafen, an dem Knoblauchlieferungen aus anderen Regionen eintreffen. Wie viele Schälerinnen es dort genau gibt, ist unbekannt. Aber ein ehemaliger Händler schätzt, dass in 10 der 39 Häuserblocks von Baseco Knoblauch geschält wird und dass etwa 20 Familien pro Block daran beteiligt sind.

Arendain wollte ursprünglich in einem Restaurant oder einem Kaufhaus arbeiten, wo die Bezahlung und Arbeitsbedingungen besser sind, aber ihr Ehemann, der als Bauarbeiter wochenlang auf Baustellen wohnt, redete es ihr aus, weil sonst niemand auf ihre sechs Kinder aufpassen würde. Ihr Mann verdient den Mindestlohn von 11 US-Dollar pro Tag. Zusammen mit ihrem Einkommen kommen sie gerade so hin. Im Jahr 2018 legte die Regierung die Armutsgrenze – gemessen am Grundbedarf einer fünfköpfigen Familie, einschließlich Lebensmittel, Unterkunft, Transport und Kleidung – auf 208 US-Dollar pro Monat fest. Aber die Ibon Foundation, ein unabhängiger Think Tank, beziffert das Existenzminimum für eine Familie auf mehr als das Doppelte der Armutsgrenze und behauptet, dass eine Familie 499 US-Dollar pro Monat benötige, um überleben zu können. Das monatliche Gesamteinkommen von Arendain und ihrem Mann beläuft sich auf gerade zwei Drittel davon.

Mehr als die Hälfte ist Schmuggelware

„Ich lasse meine Kinder bis mittags schlafen – ich will sie morgens nicht wecken, weil wir es uns nicht leisten können, Frühstück zu kaufen“, sagt Arendain. Der meiste in den Philippinen verkaufte Knoblauch wird aus China importiert. Nach einem 2014 im US-Magazin „Inquirer“ veröffentlichter Bericht, in dem die UN-Behörde Comtrade zitiert wird, ist mehr als die Hälfte des chinesischen Knoblauchs, der in die Philippinen gelangt, Schmuggelware. Dabei waren die Philippinen bis in die 90er Jahre Selbstversorger, aber billige chinesische Einfuhren ließen die eigene Knoblauchproduktion zusammenbrechen. „Laut Daten von 2016 ist China der weltgrößte Produzent, mit einem Ertrag von 26,79 Tonnen pro Hektar – Weltrekord. Zum Vergleich: Der Ertrag lag in den Philippinen lediglich bei 2,82 Tonnen pro Hektar“, teilt das Landwirtschaftsministerium in Manila mit. Die philippinischen Bauern seien weit davon entfernt, bezüglich Kosten und Produktivität wettbewerbsfähig zu sein.

Ein Händler in Baseco, der anonym bleiben will, sagt, dass die Branche nur selten lokal angebauten Knoblauch kauft, da dieser bis zu 6 US-Dollar pro Kilogramm kostet: „Er schmeckt besser und riecht besser, aber kann bei den chinesischen Preisen von 2,50 US-Dollar einfach nicht mithalten.“ Er erklärt, dass große Unternehmen Knoblauch tonnenweise von unabhängigen Drittanbietern oder Konzessionären kauften. Diese würden von kleineren Händlern wie ihm beliefert, die das Schälen als Auftragsarbeit an die Frauen von Baseco weitergeben.

Hunderte von Müttern in Baseco arbeiten von zuhause aus in der Schattenwirtschaft, weil sie so ihre Kinder betreuen können.

© Geela Garcia

Marites Arendain sitzt in ihrer Küche und erzählt, dass sie früher als „landlose Süßkartoffelbäuerin in Masbate 1,50 US-Dollar pro Tag damit verdiente, ganze Hektar Land meiner Nachbarin mit einem Messer freizumachen“. Ihre Familie verließ ihr Dorf im Süden Luzons, der größten der philippinischen Inseln. Aber Beschäftigungsmöglichkeiten in Manila waren rar, und so blieb ihnen nur die Arbeit im informellen Sektor. Frauen, die wie Arendain von zu Hause arbeiten, unterliegen eigentlich der Arbeitsgesetzgebung.Aber der Staat ist in Baseco kaum präsent und die Schattenwirtschaft dort weitgehend unreguliert. Laut Daten der philippinischen Statistikbehörde (PSA) aus dem Jahr 2020 sind 13,6 Millionen der 39,4 Millionen beschäftigten Philippiner im informellen Sektor tätig.

Senatorin kämpft für Mütter von Baseco

Die Senatorin Risa Hontiveros kämpft für eine „Magna Carta of Workers in the Informal Economy“. Dadurch soll die Regierung verpflichtet werden, die Schattenwirtschaft unter die Lupe zu nehmen und dafür zu sorgen, dass informelle Arbeiter beschützt werden. Hontiveros sagt, das vorgesehene Gesetz werde formelle Rechte für Selbständige, Arbeiter in der Landwirtschaft und Menschen, die von zu Hause arbeiten, definieren.

Rosario Guzman, Vorsitzende der Ibon Foundation, ist skeptisch. Sie sagt, dass es bereits vor der Pandemie eine wachsende Zahl informeller Arbeiter gegeben habe und fordert längerfristige Lösungen. „Die zunehmende Zahl der Arbeiter im informellen Sektor weist auf tiefliegende Probleme der Wirtschaft hin, die einfach zu wenige sinnvolle Jobs hervorbringt, beziehungsweise zu wenige Jobs, bei denen Produkte oder Grundwaren produziert werden“, sagt sie. Eine längerfristige Lösung könnte darin bestehen, die Aufmerksamkeit von der Dienstleistungswirtschaft weg hin zu einer Wirtschaft zu verlagern, die Landwirtschaft und Fertigung priorisiert.

„Das Leben war in Masbate ruhiger. Das Wasser war sauber und frei, und ich hatte ein besseres Zuhause. Aber wir konnten uns dort keine Zukunft vorstellen, weil wir kein eigenes Land besaßen“, erinnert sich Arendain. Obwohl Knoblauchschälerinnen sich auch zusammenschließen können, um gerechte Löhne zu verlangen, ist Arendain im Augenblick erst einmal dankbar, überhaupt Geld zu verdienen, während sie ihre Kinder versorgt. Sie glaubt aber auch, dass sie es verdient, mehr Geld dafür zu bekommen. Aber sie sagt, dass sie auf sich selbst gestellt und durch Haushaltspflichten eingeschränkt ist.

Trotzdem hofft Arendain, genau wie andere Knoblauchschälerinnen in Baseco, eines Tages besser entlohnt zu werden; aber fürs Erste schält sie weiter.

Dieser Bericht wurde durch Bildungsmaßnahmen und mit Mitteln der Friedrich-Naumann-Stiftung für Freiheit unterstützt.

Geela Garcia

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