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Panorama: Die Nähe regelt ein Vertrag

Wie amerikanische Unternehmen sich gegen Klagen wegen missglückter Bürolieben schützen wollen

Dass amerikanische Firmen ein kritisches Auge auf ihre Angestellten werfen, ist wahrlich nicht neu. Henry Ford etwa, der Erfinder der Auto-Massenproduktion, machte ihr Einkommen vom Verhalten außerhalb der Werkshallen abhängig. Dafür beschäftigte er eine so genannte „Sozialabteilung“ mit 150 Inspekteuren. Der US-Schokoladenfabrikant Milton Hershey pflegte durch die Stadt zu spazieren, um zu überprüfen, wie seine Arbeiter ihre Häuser in Schuss hielten und wer Müll im Stadtpark hinterließ. Gut 100 Jahre sind seitdem vergangen, doch das Misstrauen hat kaum abgenommen: Mit Drogentests, Spionageprogrammen und Verhaltensregeln versuchen viele Bosse, die Betriebskultur zu regeln. Der neuste Trend sind Liebesverträge für Büroaffären.

„Das ist einfach der Versuch, die feine Grenze zu bewahren zwischen der Privatsphäre der Angestellten einerseits und der Wahrscheinlichkeit einer Klage andererseits“, sagte Cameron Pierce, Chef einer Anwaltskanzlei in Atlanta der Zeitung „Atlanta Journal Constitution“. Nach seinen Angaben haben die Juristen seiner Firma in den vergangenen Jahren mehr als 500 „Liebesverträge“ abgeschlossen. Namen und Fälle mag er nicht nennen, aber das Schema ist immer dasselbe: Zwischen zwei Mitarbeitern eines Unternehmens funkt es – und damit fangen die Probleme an.

„So viele dieser Romanzen enden irgendwann mit bösem Blut – und das ist dann schlecht für alle Beteiligten“, sagt Pierce. Um sich vor dem Vorwurf zu schützen, die Firma habe etwa die sexuelle Belästigung eines der beiden Beteiligten zugelassen, müssen alle Verliebten und allzu Vertrauten einen Vertrag unterschreiben. Darin bestätigen sie, dass sie einvernehmlich handeln. Der Vertrag legt auch fest, welcher Grad der Zuneigungsbekundung während der Arbeit toleriert wird – und was zu weit geht.

Sichergestellt sein muss, dass es sich nicht bei einem Partner um den direkten Untergebenen des anderen handelt. Das verbieten die meisten Firmen ausdrücklich in ihren Ethik-Richtlinien, die jeder schon zusammen mit seinem Arbeitsvertrag unterschreiben muss.

Der Supermarkt-Riese Wal-Mart provozierte in Deutschland den Protest seiner Belegschaft, weil er eine ähnliche Praxis einführen wollte. „Sie dürfen nicht mit jemandem ausgehen oder in eine Liebesbeziehung mit jemandem treten, wenn Sie die Arbeitsbedingungen dieser Person beeinflussen können oder der Mitarbeiter Ihre Arbeitsbedingungen beeinflussen kann“, heißt es dort. Während der deutsche Betriebsrat dagegen Sturm läuft, sind solche Praktiken in den USA längst akzeptiert. Fast alle amerikanischen Großunternehmen haben einen „Ethics Code“. Oft überwacht eine ganze Abteilung die Einhaltung. Die Angestellten müssen sich verpflichten, Verstöße ihren Vorgesetzten zu melden, notfalls auch anonym.

Dank E-Mail und Internet sind zudem die elektronischen Überwachungsmethoden auf dem Vormarsch: Unternehmen überprüfen, welche Internetseiten ihre Angestellten besuchen und an wen sie Mails oder Bilder mit der elektronischen Post verschicken. Laut einer Umfrage des „Center for Business Ethics“ an der Bentley-Universität in Massachusetts finden das 75 Prozent der betroffenen Arbeitnehmer völlig in Ordnung, solange sie im Vorfeld unterrichtet werden.

Diese Spitzelei wurde auch Boenig-Chef Harry Stonecipher zum Verhängnis. Ein Mitarbeiter stieß auf dessen deftiges E-Mail-Liebesgeplänkel mit einer anderen Angestellten des Flugzeugbauers. Sein anonymer Tipp setzte eine Untersuchung des Vorstands in Gange, die Anfang des Monats mit dem sofortigen Rücktritt Stoneciphers endete. Dabei hatte er, streng genommen, nicht einmal gegen die Ethik-Regeln des Hauses verstoßen: Die Affäre war einvernehmlich und die Managerin unterstand ihm nicht direkt. Doch Stonecipher war vor zwei Jahren aus dem Ruhestand zurückgekommen, um die Moral im angeschlagenen Konzern wieder herzustellen – dafür war er jetzt untragbar und wurde so ein Opfer der Begleitumstände.

Das „Vergehen“ selbst ist in den Chefetagen amerikanischer Unternehmen wahrlich kein Einzelfall: Larry Ellison, dem Chef des Softwareherstellers Oracle, eilt der Ruf voraus, er habe gelegentlich Schwierigkeiten, seine drei zeitgleichen Affären mit Angestellten zu koordinieren. Der einstige Chef von General Electric, Jack Welch, brannte nach einem Interview mit der Fragestellerin durch. Und Ex-Enron-Boss Kenneth Lay verließ seine Frau, um seine Sekretärin zu heiraten. Ellen Bravo von der National Association for Working Women in Milwaukee sagt: „Wenn Vorstandschefs jetzt immer so hart für ihre außerehelichen Beziehungen bestraft werden wie Stonecipher, dann gibt es in der nächsten Zeit eine Menge freier Stellen in den Chefetagen.“

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