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Panorama: Eintrag ins Klassenbuch

In Indien schwänzt jeder vierte Lehrer die Schule – der elektronische Fingerabdruck soll Abhilfe schaffen

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Schuleschwänzen? Das machen in Deutschland vor allem Schüler. Nicht so in Indien. Dort bleiben die Lehrer gleich in Heerscharen der Schule fern. In kleinen Dorfschulen finden Schüler an manchen Tagen überhaupt keinen Lehrer vor. Der Ausfall ist so massiv, dass viele Kinder kaum die Chance haben, Lesen und Schreiben zu lernen. Ein Modellprojekt im Bundesstaat Gujarat soll nun schwänzende Lehrer und Schüler zur Räson bringen: Sie sollen künftig per biometrischen Fingerabdruck ihre Anwesenheit belegen.

Bei der Arbeitsmoral zählen Indiens Lehrer mit zu den Schlusslichtern. Laut einer Studie der Weltbank bleiben 25 Prozent aller Pauker an staatlichen Grundschulen dem Unterricht gleich ganz fern. Mehr noch: Von den Lehrern, die überhaupt am Arbeitsplatz erscheinen, sind nur die Hälfte tatsächlich mit dem Unterrichten befasst. Die anderen vertreiben sich die Zeit anderweitig. In absoluten Zahlen bedeutet das: Von Indiens einer Million Grundschullehrern gehen über 600 000 ihren Job nicht oder nur unregelmäßig nach.

Besonders dramatisch sind die Fehlraten in ärmeren Regionen und auf dem Lande. Leidtragende des Unterrichtsausfalles sind die Schüler. Noch immer kann jeder dritte Inder nicht lesen und schreiben. In Indiens Städten geht inzwischen jedes zweite Kind auf eine Privatschule statt auf eine kostenfreie staatliche Schule. Auf dem Lande fehlt es dagegen oft an Alternativen oder am Geld.

Auch höhere Gehälter verbessern laut Studie die Arbeitsmoral nicht. Besser bezahlte und höherrangige Lehrer fehlten sogar öfter. Vor allem mangelnde Kontrolle und der elende Zustand vieler staatlichen Lehranstalten seien für die Lage verantwortlich:Viele Schulen sind hoffnungslos überfüllt, haben keinen Strom- und Wasseranschluss und oft noch nicht mal funktionierende Toiletten.

Zwar klagen Eltern seit Langem über den Unterrichtsausfall, auch die Politiker wissen um das Problem. Aber die pflichtvergessenen Pauker sind schwer zu disziplinieren. Die meisten bekommen ihre Stelle durch politische Beziehungen oder Bestechung. Einmal eingestellt, sind die Staatsdiener kaum mehr zu feuern. Sie werden zudem durch machtvolle Gewerkschaften beschützt, mit denen sich die Regierenden ungern anlegen. Auch die derzeitige Mitte-Links-Regierung unter Premier Manmohan Singh geht den Weg des geringeren Widerstandes. Statt den Lehrern die Leviten zu lesen und den Unterrichtsausfall zu mildern, will sie nun weitere Lehrer einstellen. Am Grundproblem rührt das nicht.

Der Bundesstaat Gujarat versucht dagegen, neue Wege zu beschreiten. Im Narmada-Bezirk will der Staat schrittweise in 680 Schulen den „biometrischen Fingerabdruck“ einführen, um Blaumachern beizukommen. Am Ende sollen nach Angaben indischer Zeitungen 2500 Lehrer und fast 77 000 Schüler jeden Schultag ihre Anwesenheit per Fingerabdruck belegen. Jede Maschine koste 25 000 Rupien. Das sei kein hoher Preis, wenn man den Nutzen betrachte, sagt der zuständige Beamte Milind Torawane. „Wir geben jährlich 200 Millionen Rupien für Lehrergehälter allein im Narmada-Distrikt aus. Wenn es gelingt, die Fehlquoten um zehn Prozent zu senken, werden wir 20 Millionen Rupien sparen“, so Torawane. Sollte der Versuch Erfolg haben, soll er auch bald in anderen Bezirken Schule machen.

Christine Möllhoff[Neu-Delhi]

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