Panorama: Entführung aus Protest gegen Missstände
Kindergartenleiter in Manila fordert freie Bildung – Geiseln nach zehn Stunden in einem Bus wieder frei
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Jakarta - Amando möchte, dass die fürchterliche Korruption auf den Philippinen aufhört. Amando will neue, saubere Politiker sehen. Amando will mehr Krankenhäuser und er will, dass die Regierung mehr Schulen baut. Bildung samt Universität soll nichts kosten. Amando „Jun“ Ducat will, was sich die große Mehrheit der Filipinos wünscht. Weil Politiker normalerweise kaum hinhören, hat Amando die Kinder als Geiseln genommen, auf die er eigentlich aufpassen soll. „Ich werde ihnen nichts tun“, meint der Leiter der Musmos-Kindertagesstätte in einem Radiointerview. Dabei hat Amando den Kleinen längst etwas getan, hat sie in Angst und Schrecken versetzt.
Mittwochmorgen: 32 Jungen und Mädchen, zwischen vier und sieben Jahre jung, sind mit zwei Lehrerinnen in einem Reisebus unterwegs zu einem Ausflug. Amando und zwei Freunde begleiten die Gruppe. Plötzlich ziehen die Männer Pistolen. Eine Handgranate und eine Uzi, also eine automatische Waffe, haben sie auch. Als der Bus in der Nähe von Manilas Rathaus hält und Polizisten kommen, sieht es kurz so aus, als könnte es schnell kritisch werden. Doch die Beamten halten sich zurück, nähern sich erst, als Amando sie herwinkt. „Ich liebe diese Kinder, deshalb bin ich hier. Ich werde nicht zuerst schießen, habt Gnade mit den Kindern“, sagt der Geiselnehmer. Er fordert ein Megafon und bekommt es: „Weil die Regierung stiehlt, kann unser Traum von der Entwicklung des Landes nicht in Erfüllung gehen. Schämen wir uns nicht? Wir glauben an Gott und handeln unchristlich.“
Auf den Philippinen – 72 Millionen von 90 Millionen Einwohnern sind Katholiken – geht es in der Tat unchristlich zu. Auf dem Papier ist das Land demokratisch, in der Realität regieren Geld und Gewalt. Wenigen Reichen gehört viel Land, knapp 100 Familien kontrollieren die Wirtschaft, die Mittelschicht ist klein und viele Millionen Menschen bleiben seit Generationen arm. 20 Prozent der Bevölkerung, so die jüngste Umfrage des angesehenen SWS-Instituts, haben regelmäßig Hunger. „Wer Geld hat, sollte es den Armen geben“, sagt Manilas Erzbischof Gaudencio Rosales. Vielleicht macht er es sich damit zu leicht. Zur Gier der schamlos korrupten Elite kommt eine Geburtenrate, die auch durch das Verhütungsverbot der Kirche so hoch ist, dass sie ein eigentlich gesundes Wirtschaftswachstum weitgehend neutralisiert. Die vielen Kinder des Landes wachsen in einem Staat auf, der sich nicht um sie kümmern kann oder will. Millionen Jungen und Mädchen leben in Slums, ohne Bildungs- und Zukunftschance. Gewalt in der Familie ist verbreitet. Viele Kinder wachsen nur mit einem Elternteil auf, auch, weil zehn Prozent aller philippinischen Arbeitskräfte als Gastarbeiter im Ausland leben. In der Heimat gibt es zu wenig Arbeit.
Geiselnehmer Amando Ducat will, dass sich etwas ändert. Und wie zuvor, als er Priester als Geiseln nahm und als er mit Granatenattrappen auf ein Denkmal kletterte, greift der 60-Jährige zu illegalen Mitteln. Zum Glück scheinen ihm die Kinder im Bus zu glauben, wenn er sagt, dass er auf ihrer Seite stehe. Sie winken entspannt, ohne Angst in den Gesichtern. Für sie scheint Amando Held zu sein und nicht Verbrecher. Nach zehn Stunden dürfen die Kinder gehen, langsam klettern sie die hohen Busstufen hinab. Amando sitzt noch am Eingang in der ersten Reihe. Ruhig ist er, mit traurigem Blick. Die Uzi baumelt an einem Band vor seiner Brust, die Granate hält er in der linken Hand. Amando gibt beides ab und steigt aus. Polizisten führen ihn ab.
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