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Zwei Fahrzeuge der Polizei verlassen das Gelände von dem Klinikum am Europakanal.

© dpa/Daniel Löb

„Er muss Hilfe gehabt haben“: Amokläufer von Ansbach nutzte „echten Reisepass“ für Flucht nach Kolumbien

Vor Jahren verletzte der Amokläufer von Ansbach mehrere Schüler, im August folgte dann die spektakuläre Flucht aus der Psychiatrie in Erlangen bis nach Kolumbien. Wie hat er das geschafft?

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Nach seiner Flucht und der Festnahme in Kolumbien ist der Amokläufer von Ansbach wieder in der Psychiatrie. Er wurde am Morgen nach Deutschland und dann zurück nach Erlangen in die geschlossene Abteilung gebracht. „Es war eine filmreife Flucht und die Fahndung war oscarreif“, sagte Oberstaatsanwalt Friedrich Weit­ner.

Weitere Details nannte er im Gespräch mit „Bild“. Demnach hatte der Amokläufer zwölf Stunden Vorsprung, bevor seine Flucht den Behörden gemeldet wurde. Zu dem Zeitpunkt soll er aber bereits nicht mehr in Deutschland gewesen sein. Mit dem Zug habe er sich zunächst in ein Land außerhalb der Europäischen Union abgesetzt und sei dann von einem nicht genannten Flughafen nach Kolumbien aufgebrochen.

„Er hat einen echten Reisepass für seine Ausreise genutzt“, sagte Oberstaatsanwalt Weitner „Bild“. Unklar bleibt, woher er diesen bekommen hat. Ebenso, wie er an das Gepäck gelangt ist, das er bei seiner Festnahme bei sich trug. Das sei nun Gegenstand der Ermittlungen.

Ober­staatsanwalt Weitner geht davon aus, dass er die Flucht geplant hat. Der aktuelle Kenntnisstand deute darauf hin, dass der Mann bewusst falsche Spuren gelegt hat. Noch auf der geschlossenen Station habe er davon erzählt, sich in München mit einer nie­derländischen Brieffreundin treffen zu wollen. Die Ermittler vermuten, dass die Frau eine Erfin­dung des Mannes war, um die Polizei zu täu­schen.

Für Oberstaatsanwalt Weitner ist aber klar: „Er muss Hilfe gehabt haben. Wir überprüfen jetzt, wer wel­chen Beitrag geleistet hat“, erklärte er bei der „Bild“.

Blutiger Amoklauf, dann Jahre in der Psychiatrie

Der Mann war für einen Amoklauf im Jahr 2009 an einer Ansbacher Schule verurteilt. Der damals 18-Jährige war mit einem Beil, Messern und Molotow-Cocktails bewaffnet in die Schule gekommen und hatte neun Mitschüler und einen Lehrer verletzt. 2010 war er wegen versuchten Mordes in 47 Fällen zu neun Jahren Jugendhaft verurteilt worden. Eine Jugendkammer hatte zudem die unbefristete Unterbringung in einer Psychiatrie angeordnet.

Der Mann durfte bereits seit Beginn des Jahres regelmäßig die Forensische Psychiatrie zu Tagesausgängen verlassen. Das war Teil der Therapie. Bislang habe es laut Staatsanwaltschaft dabei keine Vorkommnisse gegeben. Seinem Anwalt David Mühlberger zufolge hatte er Fortschritte in der Therapie gemacht. „Er hatte zuletzt 30-stündigen Ausgang pro Woche, da hätte er, wenn es seine Absicht gewesen wäre, die ganze Zeit Straftaten begehen können“, so Mühlberger.

Laut Staatsanwaltschaft wurde zuletzt am 4. Juli dieses Jahres die weitere Unterbringung des Mannes in der Psychiatrie angeordnet. Dabei habe es bis zur Flucht keine Vorkommnisse oder Beanstandungen gegeben.

Ermittlungen bis nach Südamerika

Vor rund drei Wochen dann kehrte der Mann von einem unbegleiteten Ausgang nicht mehr zurück. Zunächst führte die Spur nach München. Direkt nach der Flucht hatte die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass es einen Kontakt in die bayerische Landeshauptstadt gebe, der überprüft werde.

Festgenommen wurde der Mann dann in Kolumbien. „Dank der akribischen Arbeit der Kriminalpolizeiinspektion Erlangen und der speziell ausgebildeten Zielfahnder beim bayerischen Landeskriminalamt konnte der Flüchtige sogar im Ausland schnell ausfindig gemacht und in Kooperation mit dem Bundeskriminalamt in einem Musterbeispiel internationaler Zusammenarbeit zurückgebracht werden“, teilte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann mit.

Warum der Mann überhaupt geflohen ist, wirft Fragen auf. Denn er hätte möglicherweise ohnehin bald mehr Freiheiten genießen können: „Wenn alles komplikationslos gelaufen wäre, wäre ein Entlasszeitraum innerhalb von zwei Jahren nach meiner Überzeugung realistisch gewesen. Das hätte das Probewohnen allerdings schon beinhaltet, heißt, er wäre zwar formal noch in der Maßregel gewesen, tatsächlich hätte er allerdings schon zu Hause gewohnt“, sagte Mühlberger.

Wie es jetzt weitergeht

Einen neuen Prozess erwartet den 34-Jährigen nicht. „Das, was er jetzt getan hat, stellt letzten Endes einen Verstoß gegen die Hausordnung dar, das ist strafrechtlich nicht relevant“, erklärt sein Anwalt. Früheren Angaben der Staatsanwaltschaft zufolge muss der Mann aber damit rechnen, dass alle Lockerungsmaßnahmen zurückgenommen werden. Es werde eine neue Risikobewertung vorgenommen. Das Klinikum wollte sich zunächst auf Anfrage nicht äußern. (dpa, Tsp)

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